Mittelständische Verlage brauchen zur Zukunftssicherheit eine strategisch richtige IT-Bebauung. Soweit die Theorie. In der Praxis ist ein gewachsenes Patchwork von Lösungen jedoch nicht selten. Das erschwert neue Aktivitäten.
Wie es auch gehen kann, zeigt das Beispiel der Verlagsgruppe Norman Rentrop (VNR). Mit Dienstleister-Unterstützung entstand über vier Jahre eine IT-Landschaft aus einem Guss. Die VNR-Geschichte im IT-Channel von buchreport.de zeigt, worauf es dabei ankommt.
Bei der VNR-Gruppe, einem der größeren deutschen Fachverlage, ist die digitale Transformation der Kern der Unternehmensstrategie. Ein wichtiges Element dieser Digitalisierung ist der konsequente Weg in die AWS Cloud (Amazon Web Services), für den sich das Verlagshaus Unterstützung beim Partner Arvato Systems geholt hat.
Die VNR-Gruppe
Als Norman Rentrop die VNR Verlag für die Deutsche Wirtschaft AG 1975 gründete, erschien das erste Produkt unter dem Titel „Die Geschäftsidee“. Heute ist das mittelständische Verlagshaus mit Hauptsitz im Bonner Stadtbezirk Bad Godesberg der achtgrößte deutsche Fachverlag. Die VNR-Gruppe, die mit 470 Mitarbeitern in sieben Ländern aktiv ist, erzielt Jahresumsätze von 130 Millionen Euro.
Seit jeher war es die Ausrichtung des Familienunternehmens, Menschen beruflich und privat erfolgreicher zu machen. Dazu macht die VNR-Gruppe Expertenwissen und Fachinformationen für unterschiedlichste Zielgruppen verfügbar und nutzbar. Die Produkte von Print bis Webinar werden um Services wie unter anderem Workflow-Lösungen, E-Learning und Sprechstunden ergänzt. Unter dem Dach der VNR-Gruppe gibt es heute sieben Fachverlage und die Platform X, eine datengetriebene Marketing- und Fulfillment-Plattform für digitale Produkte, auch von Drittanbietern. Nachdem die VNR-Gruppe im Oktober 2021 das Berliner Unternehmen PressMatrix übernommen hat, wird dessen SaaS-Plattform für Digital-Publishing künftig ebenfalls Bestandteil von Platform X sein.
Die digitale Transformation
Seit 2017 wird das Familienunternehmen in zweiter Generation durch Richard Rentrop geführt. Anfang 2018 kam Michael Schrader als COO dazu.
Mit der neuen Führungsspitze begann die digitale Transformation des Unternehmens, die das Geschäftsmodell über die Platform-X-Vision erweitert. Es wurden ein umfassender Change-Prozess und die Neuausrichtung der IT in Gang gesetzt. Die IT ist dabei eine zentrale Säule, entsprechend wurde das IT-Team massiv ausgebaut. Waren früher in der IT der VNR-Gruppe 20 Mitarbeiter tätig, sind es heute mehr als 50 – und das Verlagshaus sucht weitere Spezialisten.
Seit 2018 sind mehr als ein Dutzend neuer digitaler Produkte entstanden, von prokita-portal.de über teachtoprotect.de bis zu vetox.de. Dahinter steht die digitale Platform-X-Lösung für Marketing, Kundenservice & Fulfillment sowie Aboverwaltung. Die Platform X nutzen heute auch andere Verlage und weitere Content Creators.
Keine typische Verlagsstruktur
Schon bei seiner Gründung vor mehr als 40 Jahren war der VNR Verlag anders aufgestellt als die meisten anderen Fachverlage. „Bei uns sind es von Anfang an externe Redakteure gewesen, die den Content erstellen“, erklärt COO Michael Schrader. „Die VNR-Gruppe hatte nie eine typische Verlagsstruktur. Bei uns finden Sie keinen Druckereibetrieb und keine Druckstraßen. In einem gewissen Sinn erleichtert uns das die Ablösung vom alten Printgeschäft und den Wandel hin zu digitalen Produkten und Distributionswegen.“
Zum Selbstverständnis der VNR-Gruppe gehört es aber nach wie vor, Produkte von unabhängigen Redakteuren zu verlegen und durch Nutzwertjournalismus von Praktikern für Anwender zu überzeugen. Dabei gibt die Verlagsgruppe keine zentrale Meinung vor.
Der Weg in die Cloud
Um die Digitalisierungsstrategie umsetzen und die vielfältigen Projekte rund um Platform X skalieren zu können, musste die VNR-Gruppe ihre IT technisch und strategisch neu ausrichten – auf die Cloud. Eine Reihe von Systemen, die die VNR-Gruppe entwickelt hatte, etwa in Bereichen wie Marketing und Fulfillment, liefen schon mehrere Jahre on premises oder auch gehostet.
Jetzt galt es, sie in die Cloud zu bringen. Christopher Pansch, als Head of Software Solutions verantwortlich für die Softwareentwicklung, DevOps und die Cloud-Umgebung, erinnert sich an den Auswahlprozess: „Zuletzt waren Amazon Web Services, Google und Microsoft Azure bei uns im Rennen. Wir haben uns dann für einen Deep Dive zu AWS entschieden, mit sechs Proof-of-Concept-Projekten.“
Cloud-Spezialisten als Partner
An dieser Stelle kam Arvato Systems ins Spiel, genauer gesagt die „AWS Business Group“ des IT-Dienstleisters. Arvato Systems gehört zum Dienstleistungsunternehmen Arvato und ist Teil des Bertelsmann-Konzerns. Für den IT-Dienstleister sprachen neben seinem Know-how auch seine Mittelstandsorientierung und sein Status als Partner im AWS-Partnernetzwerk APN.
„Arvato Systems ist für uns auch ein wertvoller Mittler gegenüber AWS“, berichtet Pansch, der ein enges Verhältnis zum Dienstleister betont („fast so etwas wie der verlängerte Arm unserer IT“): „Entsprechend viel unserer Kommunikation findet einfach über Instant Messaging statt, spontan und kurzfristig.“
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Eigenes Cloud-Know-how
Dennoch war es der VNR-Gruppe wichtig, im Zuge der Cloud-Migration auch eigenes Know-how zu erlangen. Dies geschieht zum einen durch einen strategischen Ausbau der IT-Abteilung und zum anderen durch ein Schulungsprogramm. Pansch: „Wenn man, wie wir, sein Geschäft digitalisieren will, reicht es eben nicht aus, bloß gute Absichten zu haben, man muss sie auch umsetzen können.“
Von 2019 an gab es darum eine ganze Reihe von Schulungen durch AWS, etwa zu Basiswissen, DevOps, Entwicklung und Sicherheit. Auch Workshops, die Arvato Systems durchgeführt hat, trugen dazu bei, dass das IT-Team heute professionell mit der Cloud umgehen kann. „In den Aufbau von Fachwissen haben wir extrem investiert“, sagt Pansch rückblickend. Die steigende Zahl an AWS-Zertifikaten belegt das wachsende Wissen: 2020 gab es 5 AWS-Zertifizierungen für Mitarbeiter im IT-Team, 2021 waren es mehr als 25.
Cluster-Technologie für skalierbares Webhosting
„Dennoch gab und gibt es Aufgaben, die so komplex sind, dass es uns schlicht lähmen würde, wollten wir sie selbst erledigen“, erklärt Pansch. „Das gilt zum Beispiel für das Kubernetes Cluster, das die Basis für unser skalierbares Webhosting ist. Dieses Cluster hat die Arvato Systems komplett gebaut, und sie betreibt es auch für uns.“ Früher wurden die Digitalprodukte der VNR-Gruppe durch WordPress-Multisites abgebildet, die auf herkömmlich gehosteten, physikalischen Root-Servern liefen. Heute ermöglicht es ein Kubernetes Cluster – unter Einsatz des Amazon Elastic Kubernetes Service –, alle WordPress-Instanzen zu konsolidieren.
Durch Kubernetes gewinnen die Online-Services der VNR-Gruppe eine viel höhere Ausfallsicherheit und Verfügbarkeit, weil der Betrieb an mehreren Standorten in Containern erfolgt, die nur die Dienste enthalten, die benötigt werden. In den Containern sind sowohl Word-Press-Plug-Ins als auch Themes integriert. CloudFront, das Amazon Content Delivery Network, übernimmt die Auslieferung, und eine Web Application Firewall sichert sie ab.
Damit sind Datenhaltung und Auslieferung entkoppelt und skalieren völlig unabhängig voneinander. Nur bei Lastspitzen werden heute zusätzliche Container erzeugt. „So können wir zugleich die Pay-per-Use-Modelle in Sachen Servereinsatz optimal nutzen und Kosten reduzieren“, erläutert Pansch.
Fulfillment-System für die USA
Auch in anderen Bereichen, etwa im Enterprise-Development, greift die VNR-Gruppe auf Arvato Systems zurück. Deren Java-Entwickler tragen zur Umsetzung eines neuen Fulfillment-Systems für die USA bei, das als Bestandteil von Platform X in einem zweiten Schritt auch für Europa genutzt werden soll. Der Dienstleister stellt Entwicklungsressourcen für dieses große Projekt bereit und berät und unterstützt bei der Umsetzung in der AWS-Cloud-Infrastruktur.
Dabei ist es der Ansatz der VNR-Gruppe, alles, was neu entwickelt und gebaut wird, auf der Plattform miteinander zu verzahnen. So greifen beispielsweise Self-Service, Nutzerverwaltung, Marketingplattform und Fulfillment-System ineinander.
IT-Security und Machine Learning
Der Einsatz von Kubernetes-Clustern – ob in Sachen Webhosting oder Fulfillment – führt auch zu einem Mehr an Sicherheit: „Gegenüber klassischem Webhosting bieten die Cluster eine viel kleinere Angriffsfläche“, sagt Pansch. „Davon profitieren wir im Hinblick auf unsere IT-Security.“
Eine weitere wichtige Säule für die VNR-Gruppe ist die neue Datenplattform, mit der das DATA-Team (also die Data Scientists des Verlags) arbeitet. „Die Datenplattform ist für uns zum einen die Basis für Data-Driven-Marketing und zum anderen für die Erstellung von Prognosen“, so Pansch.
Die VNR-Gruppe hatte eine große Menge an Kundentransaktionsdaten in einer Oracle-Datenbank abgelegt. Hier haben Arvato Systems und VNR eine automatische Extract-Transform-Load-Pipeline (ETL) geschaffen, die die Datenrohformate mithilfe von Transformationsvorlagen in mehreren Schritten in verschiedene Zielformate konvertiert.
Die Ergebnisse werden dann für das Datawarehousing in Amazon Redshift und für Machine-Learning-Zwecke in DynamoDB, den NoSQL-Datenbankservice von Amazon, importiert. Amazon SageMaker wiederum, die cloudbasierte Machine-Learning-Plattform, erfüllt den Integrationsbedarf von Daten und Maschinen im Hinblick auf das Training und Hosting von Machine-Learning-Prozessen. Neuen Mitgliedern im DATA- beziehungsweise Machine-Learning-Team der VNR-Gruppe vereinfacht SageMaker so den Einstieg.
Das Ziel: Zukunftsfähigkeit
Die VNR-Gruppe setzt auf eine Strategie der konsequenten Digitalisierung ihres Geschäfts. „Nur der stringente Weg der Digitalisierung sichert unsere Zukunftsfähigkeit“, betont COO Michael Schrader. Damit verändert die Gruppe ihr Gesicht: vom klassischen Fachverlag hin zu einem Tech-Unternehmen.
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