KI macht Fantasie – auch in der Bildung. Während Massive Open Online Courses (MOOCs), also zulassungsfreie Onlinekurse, seit zehn Jahren zum Bildungs-Alltag gehören, ist deren Unterstützung durch KI das neueste Objekt der Spekulation. Doch ist dies nicht ein weiterer Schritt auf einem fatalen Irrweg? Vor allem: Muss man KI in der Bildung anwenden, nur weil es KI gibt? Im IT-Channel von buchreport.de warnt der US-Informatikprofessor Moshe Y. Vardi vor einem Denken, das IT in der Bildung primär als Mittel zum Sparen betrachtet. Auch im Fall der KI wäre dieses Denken zum Scheitern verurteilt.
Technokratie in der Bildung – keine neue Geschichte
Künstliche Intelligenz ist heutzutage allgegenwärtig. Der National AI Initiative Act wurde am 1. Januar 2021 in den USA zum Gesetz und zielt darauf ab, „die Forschung über und die Anwendung von KI für den wirtschaftlichen Wohlstand und die nationale Sicherheit der Nation zu beschleunigen“. Die U.S. National Science Foundation (NSF) gründete im Jahr 2020 mehrere KI-Forschungsinstitute, um künstliche Intelligenz voranzutreiben. Diese suchen nun Aufgaben. Eines der Themen dieser Forschungsinitiative ist „AI-Augmented Learning“, also ein Lernen, das durch künstliche Intelligenz unterstützt wird.
Ein derartiges Bestreben, Bildung durch Technologie zu verbessern, erinnert mich an „Die Olympiade der Techniker“, eine Science-Fiction-Geschichte von Isaac Asimov aus dem Jahr 1957. Die Geschichte spielt im 66. Jahrhundert, wo Kinder über eine direkte Computer-Gehirn-Schnittstelle unterrichtet werden, ein Prozess, der dort „Taping“ genannt wird. Am Ende der Geschichte erkennt der Protagonist, dass, im Gegensatz zum „Taping“, das Lesen von Büchern Männer und Frauen mit der Fähigkeit zu originellen Gedanken hervorbringt.
Diese Warnung von 1957 vor einem technokratisch-lösungsorientierten Bildungsansatz – vielleicht als Reaktion auf einen US-Vorstoß für Bildungstechnologie nach dem Sputnik-Schock – ist heute wahrscheinlich relevanter als damals. Schließlich äußerte Facebook vor 15 Jahren das schön klingende Ziel, „die Welt offener und vernetzter“ zu machen. Im Jahr 2021 allerdings enthüllten massenhaft durchgesickerte interne Dokumente, dass das Unternehmen von den schwerwiegenden gesellschaftlichen Schäden wusste, die durch seine Technologie verursacht wurden, dies jedoch im Streben nach Gewinn ignorierte.
Mehr zum Thema IT und Digitalisierung lesen Sie im IT-Channel von buchreport und Channel-Partner Xpublisher.
Hier mehr…
Bildungs-Technokratie: die erste Welle
Tatsächlich schwappte eine erste Welle der Bildungs-Technokratie im Herbst 2011 über uns. Sie resultierte zum Beispiel darin, dass sich etwa 450.000 Studenten für drei von der Stanford University angebotene Informatikkurse anmeldeten und den MOOC-Tsunami mit dem hochgesteckten Ziel einer „Erreichung der Qualität einer individuellen Nachhilfe“ auslösten.
Im Jahr 2012 habe ich eine Kolumne mit dem Titel „Werden MOOCs die Wissenschaft zerstören?“ (englisch) verfasst. In dieser zeigte ich, dass die enorme Aufregung um MOOCs nicht auf den inneren Wert dieser Technologie für die Bildung zurückzuführen ist, sondern auf die verführerische Möglichkeit niedrigerer Kosten.
Wie wir heute wissen, haben MOOCs die Wissenschaft nicht zerstört, wahrscheinlich wegen ihres bescheidenen Werts für die Bildung. Aber etwas anderes haben sie zerstört: Noch mehr als zehn Jahre nach der Rezession 2008/2009 verharren die staatlichen Ausgaben für die öffentliche Hochschulbildung in den USA weit unter dem historischen Niveau.
MOOCs sind zu einer festen Größe in der US-Hochschulbildung geworden. Meine eigene Institution betreibt Dutzende davon. Während allerdings die Verfügbarkeit kostenloser oder fast kostenloser akademischer Kurse für die Studierenden von Vorteil ist, erzielen solche MOOC-basierten Programme nur nominelle Gewinne. Denn sie ignorieren die wahren Kosten, die des notwendigen hohen Arbeitsaufwands der Lehrenden, die mit der Produktion und dem Betrieb von MOOCs verbunden sind.
KI – ein »glänzender Hammer auf Nagelsuche«
AI-Augmented Learning scheint wieder eine Technologie auf der Suche nach einem Problem zu sein. Der Antrieb kommt aus der Tech-Branche, für die KI ein neuer „glänzender Hammer auf Nagelsuche“ ist. Denn das Ziel der durch den NSF finanzierten KI-Institute in diesem Bereich ist „KI-gesteuerte Innovationen zur radikalen Verbesserung des menschlichen Lernens und der Bildung“.
Aber wissen wir denn, was verbessert werden muss? Woher sollen wir also am Ende wissen, dass wir tatsächlich erfolgreich waren?
Ich sehe viele große Fragen und noch wenige Antworten:
- Welche Probleme versuchen wir zu lösen?
- Wie messen wir Verbesserungen?
- Versuchen wir, den Unterricht zu verbessern oder Lehrer zu ersetzen?
- Was sind die Treiber? Gesellschaftliche Notwendigkeit? Technologie? Geld?
- Schließlich: Da KI-Ethik heutzutage ein heißes Thema ist, ist es ethisch vertretbar, KI in der Bildung einzusetzen, ohne ihre Vorteile klar zu verstehen?
Ich vermute, dass der Einsatz von KI in der Bildung unvermeidlich ist, und ich hoffe, dass sie für das Gute genutzt werden kann, aber diese Fragen müssen angegangen werden.
»Edutech« muss konkrete Probleme lösen können
Der Schlüssel liegt meines Erachtens darin, Technologie nur einzusetzen, um auf ein gut verstandenes Problem zu reagieren.
Ein Beispiel für einen solchen Einsatz von Technologie ist der Online Master of Science in Computer Science (OMSCS), ein Studiengang am College of Computing des Georgia Institute of Technology. Masterstudiengänge in den USA sind in der Regel professionelle Programme; viele Studenten verfolgen solche beruflichen Abschlüsse als eine Form der Weiterbildung. Allerdings ist es für viele Studenten, die bereits eine Berufskarriere gestartet haben, oft älter sind und eine Familie ernähren, schwer, solche Abschlüsse in Präsenzkursen zu machen.
Das Problem, das also in diesem Fall gelöst werden muss, ist das des Zugangs. Wie Zvi Galil in seinem 2020 Communications Viewpoint „OMSCS: Die Revolution wird digital sein“ (englisch) beschrieb, konnte OMSCS, das 2014 ins Leben gerufen wurde, Tausende von Studierenden zu sehr erschwinglichen Studiengebühren ausbilden. OMSCS scheint also die Vorhersage eines Artikels aus dem Jahr 2016 im Chronicle of Higher Education zu erfüllen, der erklärte: „MOOCs sind tot. Lang lebe die Online-Hochschulbildung.“
Das Bildungssystem ist einer der Schätze der menschlichen Zivilisation. Die Anwendung der Haltung der „disruptiven Innovation“ auf die Bildung birgt allerdings das Risiko, enormen Schaden anzurichten. Technologie kann zu einer verbesserten Bildung führen, aber nur, wenn wir behutsam vorgehen und nichts zerstören.
Kommentar hinterlassen zu "Wird KI die Bildung zerstören?"