„Am Ende geht es immer darum, einen Informationsvorteil zu haben“, sagt Bookwire-CEO Jens Klingelhöfer. Der Frankfurter Digitaldienstleister entwickelt zusammen mit Datenexperten auf Basis von Big Data und Machine Learning einen Empfehlungsmechanismus, der Verlagen automatisiert lohnende Preisänderungen und Preisaktionen für E-Books vorschlagen soll. Das selbstlernende Tool „Bookwire Predictive Pricing“ ist noch in der Entwicklung; ab Sommer soll es den Kunden dann zur Verfügung stehen. Im Interview spricht Jens Klingelhöfer über die Neuentwicklung und Data Driven Marketing.
Wieso haben Sie sich ausgerechnet das Pricing vorgenommen?
Im Pricing sehen wir das größte Potenzial im E-Book-Bereich. Es ist ja sehr wahrscheinlich, dass das Pricing ein wichtiger Grund ist, wieso der E-Book-Markt in Deutschland nur einen Anteil von unter 10% hat, in den USA aber einen Anteil über 25. Dort wird wie in anderen Märkten auch mit dem Faktor Preis viel aktiver umgegangen. Hierzulande wurde – auch wegen der Preisbindung, die ja gerade im Printbereich kaum Möglichkeiten zulässt – bislang wenig über Pricing geforscht.
Wir selbst betreiben seit Jahren aktives Preismarketing im Digitalbereich und sehen rückwirkend bei der Erfolgskontrolle, dass es sehr positive Effekte haben kann. Das ist aber nicht zwangsläufig so. Hier wollten wir deshalb – so fängt eine Innovation oft an – etwas entwickeln, was zuerst einmal unsere Arbeit erleichtert. Denn unser Team hätte schon vor längerer Zeit gerne ein System gehabt, das ihm sagt, für welchen der zehntausende Backlisttitel sich eine Preisaktion lohnt, weil zehn Aktionen mit vergleichbaren Titeln gute Ergebnisse erzielt haben. Wir entwickeln nun „Bookwire Predictive Pricing“ für E-Books und Audiobooks, aber es kann auch eine nachhaltige Lösung für Printpreise werden.
»Das Entscheidende ist doch: Wie kann ich das Produkt mit dem besten Preis am Markt anbieten, und zwar dynamisch über den gesamten Lebenszyklus? Das sind Themen, zu denen andere Branchen schon seit Jahren forschen. E-Commerce-Giganten wie Zalando beispielsweise spielen in einer ganz anderen Liga. Wir als Branche müssen hier aufholen. Am Ende geht es immer darum, einen Informationsvorteil zu haben und hier ist die Buchbranche nicht immer gierig genug.«
Wie groß ist das Thema Data Driven Marketing bei Buchverlagen?
Es gibt einige Verlage, die hier sehr aktiv sind und auch gute Ansätze verfolgen, sodass es falsch wäre zu sagen, dass die Branche hier eine Entwicklung verschläft. Aber in der Breite wird noch nicht stark genug auf die Möglichkeiten datenbasierter Entscheidungen zurückgegriffen. Im Zweifelsfall werden viele Verlage, die traditionell von den Inhalten her kommen, noch immer sagen: Wenn das Produkt gut ist, wird es sich auch verkaufen. Das stimmt auch bis zu einem gewissen Grad. Hat man aber viele Titel im Portfolio und lebt zudem in einer vernetzten Welt, ist es lohnend, sich die Datenpunkte, die über die verschiedenen Kanäle zurückfließen, genauer anzusehen. Hier fehlen auch oft die technischen Infrastrukturen wie Business Intelligence Systeme, um die losen Enden dieser einzelnen Datenpunkte zu verknüpfen.
Andere Branchen sind hier deutlich weiter.
Das stimmt. Das Entscheidende ist doch: Wie kann ich das Produkt mit dem besten Preis am Markt anbieten, und zwar dynamisch über den gesamten Lebenszyklus? Das sind Themen, zu denen andere Branchen schon seit Jahren forschen. E-Commerce-Giganten wie Zalando beispielsweise spielen in einer ganz anderen Liga. Wir als Branche müssen hier aufholen. Am Ende geht es immer darum, einen Informationsvorteil zu haben und hier ist die Buchbranche nicht immer gierig genug.
Welche Daten sind bei Ihnen für „Bookwire Predictive Pricing“ zusammengeflossen?
Im Wesentlichen handelt es sich um unsere Verkaufsdaten und unsere Informationen zu Preisänderungen bei Produkten, die wir seit Tag 1 der Unternehmensgeschichte pflegen. Auch Informationen zu allen Point-of-Sale-Marketingaktionen sind hinterlegt. Diese Bestandsdaten haben wir verlagsübergreifend und anonymisiert zusammengetragen. Externe Daten wie z. B. Wetterdaten oder Informationen zu Feiertagen liefert unser Dienstleister. Es ist im Handel ja hinlänglich bekannt, dass man an bestimmten Tagen bestimmte Produkte besonders gut verkauft.
»Wir haben noch Luft nach oben, sind aber davon überzeugt, dass wir ein sehr treffsicheres Tool bauen.«
Was hängen die einzelnen Informationen zusammen?
Die interessanteste Korrelation gibt es zwischen der Preisänderung und dem Absatz – und das in bestimmten Genres, zu bestimmten Jahreszeiten, zu bestimmten Wochentagen. Hier wird es dann spannend; hier lohnt es sich die Muster zu identifizieren und die Titel mit dem größten Upsell-Potenzial zu ermitteln.
Wie treffsicher kann Ihr selbstlernendes Tool aktuell solche Muster erkennen?
Zunächst einmal: Unsere Data-Science-Partner, mit denen wir das Tool gemeinsam entwickeln, waren in verschiedenen Branchen aktiv und Verhaltensmuster von bestimmten Kundengruppen gibt es grundsätzlich überall. Aktuell prognostizieren wir nur die Vergangenheit. Das heißt, wir legen einen Tag in der Vergangenheit fest und lassen das Tool mit seinem bisherigen Wissen vorhersagen, wie die Preisaktion für Bestseller X an diesem Tag funktioniert hat. Dadurch, dass es bei jedem Durchlauf „hinzulernt“, nähert es sich im Laufe der Zeit immer stärker an die tatsächlichen Werte an. Wir haben noch Luft nach oben, sind aber davon überzeugt, dass wir ein sehr treffsicheres Tool bauen. Bis zum Sommer, wenn wir „Bookwire Predictive Pricing“ launchen, haben wir ja auch noch etwas Zeit. Jetzt jedenfalls sind wir an einem Punkt, unsere Entwicklung mit der Welt zu teilen. (lacht)
In welchen anderen Bereichen sind auch Lösungen auf Basis von Machine Learning denkbar?
Wir arbeiten parallel auch an einer intelligenten, automatisierten Optimierung von Metadaten. Hier geht es um ähnliche Themen: Es sollen Muster bei verbesserten, erfolgreichen Metadaten erkannt werden, sodass sich vorhersagen lässt, welcher Effekt mit der Schlagwort-Änderung X in einem bestimmten Handelskanal erzielt wird.
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