„Subscription, Abo, Leihe, Miete … wie wollen wir mit den zahlreichen neuen digitalen Geschäftsmodellen umgehen?“ Diese Frage stellen sich derzeit viele Verlage, wenn sie durch die Anfrage eines neuen E-Book-Portals oder eines neuen Digital-Start-ups aus der Komfortzone der traditionellen Geschäftsmodelle geholt werden. Bookwire-Geschäftsführer Jens Klingelhöfer beleuchtet Status quo, Zukunftsmodelle und wie sich die Buchbranche verändern wird – auch durch ihre Kunden, die Leser.
Subscription, Abo, Leihe, Miete … gesetzt ist, dass sich derzeit die Nutzungsgewohnheiten der Leser schneller verändern als Verlage ihre Verwertungsmodelle anpassen. Noch agieren die großen Verlagsgruppen eher vorsichtig, zu groß ist die Sorge um eine Entwertung ihres Contents durch neue Geschäftsmodelle. Mittelständische Verlage sind hier meist experimentierfreudiger und sehen in den neuen digitalen Geschäftsmodellen nicht nur eine Gefahr, sondern auch die Chance, mehr Sichtbarkeit für ihre Produkte herzustellen, neue Absatzkanäle zu öffnen und somit neue und insgesamt mehr Kunden zu gewinnen. Ein Patentrezept für den Umgang mit den neuen Verwertungsformen kann und wird es nicht geben, dazu sind die Verlage und ihre Titel und auch die Modelle zu unterschiedlich.
Aber mehr als ein kategorisches „Machen wir nicht mit!“ wird nötig sein, um in dem sich rasant ändernden Markt zu bestehen – egal ob für groß oder klein.
Die Zeit der stabilen, einfachen und über lange Zeiträume hinweg planbaren Absatzmodelle ist in der digitalen Welt vorbei. Das Digitalgeschäft verändert sich und die Kunden exponenziell viel schneller als wir aus früheren Jahrzehnten gewohnt waren. Wer dies nicht im positiven Sinne verstehen und zu nutzen mag, droht irgendwann abgehängt zu werden. Ergo muss die Diskussion geführt werden, auch wenn sie wehtut. Denn nur über die Auseinandersetzung mit neuen Möglichkeiten der Monetarisierung lernen wir, das eigene Geschäft auf nachhaltige Füße zu stellen und das Entstehen neuer Verwertungsketten mitzugestalten. Und wir sind nicht die ersten, die diesen Prozess durchlaufen:
- In der Filmbranche sind sich verändernde Verwertungsketten ein alter Hut: Hier wurden bereits in den 80er Jahren Wertschöpfung von Kino über Video bis zum Free-TV betrieben. Und auch heute werden die Verwertungsstufen immer weiter verändert, denken Sie an TV-Serien und deren Erscheinungstermine in den Digital-Stores zum Kaufen/Leihen und dem Free-TV. Mal erscheinen sie nacheinander in allen Verwertungsstufen, mal zeitgleich. Die eine Serie veröffentlicht alle Folgen auf einmal, andere bleiben im klassischen Wochenrhythmus. Auch hier gibt es offensichtlich (noch) kein Patentrezept, aber ein unendlich großes Experimentierfeld.
- Auch die Musikbranche, die als erstes von der digitalen Disruption erfasst wurde, musste ihre Content-Monetarisierungsstrategie, die lange ausschließlich auf dem Verkauf von Tonträgern basierte, nach Jahren der Krise mühsam neu erfinden und sich von der CD als einzigem Hauptumsatzträger verabschieden. Heute werden durch werbefinanzierte und Streaming-Modelle und mittels Verwertung von Musik in Videoportalen neue Erlösströme aufgebaut.
Die Buchbranche ist derzeit noch in einer komfortableren Situation. Die „alten“ Wertschöpfungsketten funktionieren nach wie vor, und niemand zweifelt an, dass das physische Produkt einen großen Nutzen bietet. Und doch ist nur die Nachricht von einem stark wachsenden Digitalmarkt eine gute Nachricht.
Denn wer sich dafür feiert, dass das Digitale „zum Glück“ nur einen kleinen Teil des Geschäfts ausmacht, wird vermutlich die Wette auf eine ewig von Printerzeugnissen dominierte Zukunft verlieren.
Entwickeln wir also eine moderne, zeitgemäße Verwertungskette für digitale Bücher, die den Vor- und Nachteilen des Wandels Rechnung trägt. So könnte sie beispielhaft für einen Verlag aussehen:
Grafik: Beispielhaftes Verwertungsstufenmodell für E-Books.
Im Laufe eines Produktlebenszyklus verändern und verbreitern sich die Auswertungsformen möglicherweise bis hin zu Flatrate- oder Freemium-Modellen. Doch nicht einmal innerhalb des Titelkataloges eines Verlags kann man dies pauschal festlegen – einige Titel sollten vielleicht wesentlich länger in den traditionellen Verwertungsformen bleiben, andere finden vielleicht nicht zu einem kaufenden Publikum und sind viel früher auf die Sichtbarkeit in z.B. Bibliotheks- oder Subscription-Modellen angewiesen.
In jeder Phase des Produktlebenszyklus müssen wir also die jeweilige Verwertungsstufe optimal bedienen. Aus unserer Sicht als Digitalvertrieb sehen so intelligente Denkansätze und Lösungen aus, die auf ein zu einfaches „Ja“ oder „Nein“ verzichten. Die richtige Verwertungsstrategie entwickelt sich auf der Basis großen Know-Hows über die einzelnen Modelle in Kombination mit der richtigen technischen Lösung, die einen erfolgversprechenden und flexiblen Umgang mit Content überhaupt erst ermöglicht.
Diese neuen individuellen Verwertungsketten müssen intelligent und automatisiert gesteuert werden. Automatisierte Preisaktionen, globale Reichweite, erkenntnisreiche statistische Analysen und Markbeobachtung, dynamisches In-Book-Marketing oder ein vor dem Erstveröffentlichungstermin bereits durchinszeniertes Verwertungsstufenmodell von Kauf bis Abo – all diese technischen Lösungen zahlen darauf ein, das Produkt in jeder Lebensphase optimal zu vermarkten und zu verwerten. Digitale Vertriebs- und Auslieferungslösungen brauchen also hochmoderne technische Plattformen mit einer großen Portion High-Tech, um Verlage adäquat auf dem Weg in die digitale Zukunft zu unterstützen.
Subscription, Abo, Leihe, Miete …! Was benötigt wird, ist eine neue Symbiose aus Markt-Know-How und der optimalen Technologie, um diesem neuen Markt gerecht zu werden. Nur durch fundiertes Wissen über digitale Trends und Mechanismen sowie dem richtigen technischen Setup können agile, innovative und kommerziell erfolgreiche Lösungen gefunden werden. So kann jene Innovation entstehen, die unsere Branche braucht, um auch in der Zukunft ihre Leser zu finden, sie perfekt zu bedienen und sie nicht an andere Bereiche der Unterhaltungsindustrie zu verlieren. Wenn wir in der Komfortzone mit den Logiken und Lösungen von gestern ohne signifikante Investitionen und Innovationsdrang verweilen, wird dies nicht gelingen.
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