Nicht nur bei Thalia steht ein Umbau an, auch der französische Medienhändler Fnac steckt offenbar in der Krise. Der frühere Deutschland-Statthalter der Franzosen, Hartwig Schulte-Loh (Foto) analysiert das Ringen um ein tragfähiges Konzept: Nicht mehr die Fläche, sondern das Internet diktiere inzwischen die neuen Standards im Handel. Woran es hapert und warum Multichannel nicht das Allheilmittel ist:
In Frankreich baut die Fnac Stellen ab, hierzulande könnte Gleiches bei Thalia folgen. Sind die Filialisten in der Krise?
Die Filialisten haben sich im letzten Jahrzehnt ein Elefantenrennen um die Flächen geliefert. Jetzt müssen sie lernen, dass das Internet die neuen Handelsstandards definiert. Ich würde allerdings nicht von Krise sprechen, sondern von erheblichem Umstrukturierungsbedarf, der am Ende des Tages wohl den Abschied von der traditionellen Buchhandlung bedeutet und Bücher zu einem Element anderer Einzelhandelskonzepte macht. Hinzu kommt, dass Mietverträge unter hohem Expansionsdruck abgeschlossen wurden, was ihrer betriebswirtschaftlichen Verträglichkeit eher schadet und dass die Buchhandelsbetriebswirtschaft Größe nicht in dem Maße anderer Branchen honoriert. Zusätzlich sind in Deutschland die verfügbaren Einkommen und damit die Konsummöglichkeiten regional sehr unterschiedlich verteilt. So wird es in den neuen Bundesländern in absehbarer Zeit kaum noch stationären Buchhandel geben.
Thalia hält mit höheren Nonbook-Anteil dagegen. Wie schätzen Sie die Strategie ein?
Ich war immer der Ansicht, dass es um Konzepte und nicht um Anteile geht. Zur Zeit werden zum Beispiel Non-Books mühselig auf oder in Möbeln präsentiert, die eigentlich für Bücher gebaut wurden. Offensichtlich ist Vieles aus der Not geboren. Im Augenblick sehe ich nur Amazon und Weltbild mit einer klaren und zukunftsfähigen Strategie. Wir werden auch erleben, dass andere Anbieter im Internet mit hohen Kundenfrequenzen Bücher in ihr Sortiment aufnehmen und Bücher zu einem Non-Produkt werden. Im Moment ist es sehr schwer, für die Flächen ein tragfähiges Konzept zu entwickeln; diese Konzepte müssen dann auch noch eine Finanzierung finden.
Hauptwaffe im Kampf der großen Buchhändler gegen Amazon ist Multichannel. Wie überzeugend ist das?
Multi-Channel ist ein Etikett, das aus der Dominanz der Fläche entwickelt wurde, um den Internetvertriebswegen eine angemessene Bedeutung zu verschaffen. Mittelfristig wird die Fläche im Vertrieb von Büchern eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Fragen stellte Daniel Lenz.
Zur Person: Hartwig Schulte-Loh
1957 geboren. Studium der Politik, Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre. 1993 bis 1995 stellvertretender Geschäftsführer Fnac Deutschland. Von 1996 bis 2000 und nach verschiedenen beruflichen Stationen von 2006 bis Ende 2008 wieder Geschäftsführer der Dussmann das KulturKaufhaus GmbH. Anschließend war Schulte-Loh Berater der Edel AG im Musikgeschäft. Zurzeit berät er Firmen mit seinem Unternehmen Buchnet.
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