„Wir sind angereist mit diffusen Erwartungen und Vorstellungen, haben viel gelernt und versucht, das frische Wissen zu teilen. Vielleicht haben wir nicht immer alles verstanden. Aber wir haben uns bemüht.“ So verabschiedet sich die Redaktion des re:publica Readers Tag 3 von ihren Lesern. Sie bringt drei Tage eBook-Produktion im Höchsttempo auf den Punkt. Gemeinsam haben wir viel gelernt. Fünf wesentliche Erkenntnisse aus dem „Speed Publishing“-Projekt re:publica Reader (#rp13rdr).
Das Team macht’s
Der digitale Tagungsband ist ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Journalistenschule (DJS), der Self-Publishing Plattform epubli und der re:publica, mit 5.000 Teilnehmern Deutschlands größte Konferenz zu Digital-Themen. Produziert wird der re:publica Reader, das schnellste Buch der Welt, mitten auf der Veranstaltung in einem offenen Newsroom.
Während der Vorbereitung steht neben inhaltlichen Fragen vor allem Teambuilding auf der Agenda. Es gibt gemeinsame Workshops in München und am Vorabend der Konferenz klären die DJS-Studenten samt Schulleiter gemeinsam mit dem epubli-Team bei Pizza und Wein die letzten Details.
Während der Veranstaltung selbst gilt eine klare Aufgabenteilung: jeder macht, was er am besten kann. Die „re:porter“ führen Interviews, fangen die Atmosphäre ein und schwärmen zu den wichtigsten Panels aus. Bis zum Abend sind sie abwechselnd unterwegs und verfassen zwischen den Terminen ihre Berichte. Zur Qualitätssicherung werden fertige Texte sofort in der Schlussredaktion redigiert. Die Einhaltung der Deadline – 18 Uhr – bleibt jedoch am ersten Tag ein frommer Wunsch.
Arbeitsteilung im #rp13rdr-Newsroom: Die einen interviewen Sascha Lobo …
… die anderen re:porter arbeiten weiter an ihren Beiträgen.
Während draußen die allabendliche Party steigt, ist im Newsroom von Feierabend keine Spur. Ziel ist es, die fertigen eBooks noch am selben Abend auf allen relevanten Vertriebsplattformen zu veröffentlichen. Dafür arbeitet das epubli-Team bis in die Nacht an der Konvertierung des eBooks – unter erschwerten Bedingungen: Die Getränkebar hat längst geschlossen, der Wachschutz will am liebsten die ganze Halle abschließen.
Nur wenige Stunden später bescheinigen zahllose begeisterte Leser den DJS-Schreibern, dass sie trotz des Zeitdrucks hervorragende Texte produziert haben. Eine besonders enthusiastische Leserin hat sich sogar prompt verliebt:
Nach der Lektüre des zweiten re:publica Readers habe ich mein Herz an die Schreibe von @simonpfanzelt verschenkt. #rp13 #rp13rdr
— Marie-Chr. Schindler (@mcschindler) May 16, 2013
Technik – bloß kein Overkill
„Have you tried turning it off and on again?“ – Das re:publica-Panel mit Johnny Haeusler und dem irischen Komiker Graham Linehan über Comic Misunderstanding und Nerd-Humor sorgt für großes Gelächter unter den Besuchern. Doch wie wir nach Erscheinen des ersten Readers feststellen, ist auch die Netzgemeinde in Sachen eBooks noch nicht ganz so weit, wie gedacht. Das Team wird zum technischen Support und erklärt speziell Android-Nutzern, wie sie Lesesoftware auf ihren Geräten installieren, wo der Rechtsklick beim Tablet ist … Und, ja, man braucht iBooks, um eBooks auf dem iPhone lesen zu können.
Bei der Erstellung des Readers setzt das Team auf eine pragmatisch-minimalistische technische Ausstattung. Vier Tische und 15 Stühle, ebenso viele LAN-Kabel und Steckdosen, dazu unterschiedlichste Laptops und Smartphones – damit machen sich die Journalistenschüler an die Arbeit. Die Beiträge werden in Google Docs erstellt, so dass sie den Ressortleitern und später der Schlussredaktion ohne Verzögerung zur Verfügung stehen. Der E-Mail-Verkehr ist in einem gemeinsamen Postfach organisiert. Die gemeinsame Plattform „in der Cloud“ minimiert die Reibungsverluste und trägt zur schnellstmöglichen Kommunikation zwischen den einzelnen Produktionsstufen bei. Das Internet ist die zentrale Infrastruktur des Projektes. Ein schlankes Format-Template bringt die Inhalte in eine übersichtliche Form und beschleunigt die eBook-Erstellung.
Gratis zieht – auch die Verkäufe in die Höhe
Der aktuelle Teil des re:publica Readers steht täglich von 9 bis 12 Uhr gratis zum Download auf der re:publica-Website bereit. Mehr als 10.000 Nutzer machen von diesem Angebot Gebrauch und verbreiten es bei Twitter. Tweets wie „@fabian_kern: und auch am zweiten Tag rockt @epubli die Berichterstattung mit dem #rp13rdr“, schaffen die nötige Aufmerksamkeit und bewerben den Reader. Laut buzzrank erhält die Reader-Ankündigung der re:publica am 07. Mai die meisten Retweets überhaupt (89).
Der offene #rp13rdr-Newsroom weckt das Interesse der re:publica-Besucher. So findet sich beispielsweise Renate Künast zufällig am Stand ein und gibt ein spontanes Interview zu ihrem Internetnutzungsverhalten. Die politische Konkurrenz reagiert schon am nächsten Tag mit Schwung:
Shit… RT @hildwin: Achtung, Achtung! Renate Künast legt sich einen Wahlkampf-Twitter-Account an. Quelle: #rp13rdr-Interview. #rp13
— Bjoern Boehning (@BoehningB) May 9, 2013
Solche journalistischen Scoops und die mit den Tweets verbundene mediale Aufmerksamkeit schaffen Interesse und treiben auch die Verkäufe der kostenpflichtigen Version in die Höhe. Als wir den Reader am zweiten Tag mit Flyern bewerben, winken viele Besucher ab: „Danke, schon gekauft!“, hören wir immer häufiger.
Schnelles Feedback hilft … meist
Das digitale Echo auf den Reader bei Twitter und Co. ist riesig. Dank des offenen Newsrooms erreicht das Team aber auch noch ganz analoges Feedback. Viele Leser kommen an den Stand, um sich einfach für das tolle Projekt zu bedanken. Konstruktive Kritik wird gern aufgenommen. Den Lesern fehlen Bilder? Kein Problem – dank leistungsstarker Smartphonekameras werden ab dem zweiten Tag auch Fotos zu den einzelnen Sessions eingebunden.
Andere Features wie Scetchnotes zu den Beiträgen werden für eine mögliche Fortsetzung aufgenommen. Weniger konstruktive Kritik aus dem Netz behandelt die Twitter-Gemeinde auf ihre Art. Der Blogger Deef Pirmasens lästert stundenlang heftig über den Reader und keiner weiß so richtig, warum. Seine Kommentare ernten vor allem Gelächter.
DRM braucht kein Mensch
Auf DRM, also einen Kopierschutz oder eine Verschlüsselung, wird beim re:publica Reader bewusst verzichtet. Die Nutzer können problemlos zwischen verschiedenen Lesegeräten wechseln und plattformübergreifend lesen. Dass dadurch Piraterie möglich ist, sieht Online-Visionär Cory Doctorow nicht als Gefahr. Ihm zufolge wirkt sich DRM sogar negativ auf die Verkaufszahlen aus, „weil es niemanden gibt, der DRM haben will. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Leute wollen Bücher ohne DRM lesen.“
Die Verkaufszahlen des Readers belegen, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht von der Härte des Kopierschutzes abhängig ist.
Dem Schlusswort der wirklich tollen DJS-Schreiber haben wir nichts hinzuzufügen: „Es war toll“.
Dr. Jörg Dörnemann ist seit Januar 2010 Geschäftsführer der Print-on-Demand- und Self-Publishing-Plattform www.epubli.de. Zuvor war er in der Geschäftsleitung des epubli-Mehrheitsgesellschafters Holtzbrinck Digital, bei MTV Networks und bei BCG.
Die Qualität der Beiträge war allerdings recht unterschiedlich. Und meine Kritik an dem Beitrag über meine Session wurde eher wenig souverän aufgenommen. Schade, denn da wurde einiges falsch bzw. schief wiedergegeben. Aber das wurde ja durch die vielen Blogbeiträge und Tweets über die Session und die Interviews im Nachhinein geradegerückt.
Wir hatten übrigens schon vor der Konferenz ein Magazin für die re:publica produziert, auch in der Sprint-Methode, als Print und Ebook. Letzteres kann man sich kostenlos hier herunterladen:
http://newthinking.de/magazin-sprint/
Unüberraschenderweise können DJS-Schüler auch unter Zeitdruck gut texten. Das ist nämlich ein wesentlicher Teil unserer Aufnahmeprüfung. Und ja, während der Ausbildung lernen wir auch, schnell mal ein Magazin zu machen. Man stellt also fest: Begabte angehende Profis können professionell arbeiten.
Und allerdings, spätestens nach dem Abschluss lässt die Lust für umme zu arbeiten merklich nach. Warum sollte die ein DJS-Profi auch haben? Gotteslohnschreiberei überlässt man dann doch lieber den Bloggern oder wen sonst die Eitelkeit oder Dritter Absichten oder auch das reine Engagement treiben mag.
Wie der Artikel andeutet: Den Preis für die Speed-Produktion der Inhalte zahlt man zum Beispiel für die Schlussredaktion. (Lustig, mal nach gut dreißig Jahren [auch] als Self-Publisher ein
Plädoyer für gewisse [Kern-]Funktionen von Profi-Verlagen zu halten, aber
Texte, die nur ein Rechtschreibprogramm durchlaufen haben, quälen mich.)
Auch sonst bleibt, jenseits des Autors, ein Weniges zu tun übrig, und diesen Qualitäts-Bottleneck kriegt man, für kein Geld, nicht weggespeedet (wie etwa an anderen Stellen das Peer-Review-Verfahren, einen Plagiats-Check oder eine kompetente Übersetzung).
Will sagen: Es gibt weiterhin – Cloud hin, „Speed Publishing“ her – für
minderperfekte Schreiber keinen mit Praktikanten gepflasterten Königsweg zur Publikation. Umsonst ist der Tod.