Englands unabhängige Buchhändler erleben eine Renaissance. Mit neuem Selbstbewusstsein behaupten sie ihren Platz in der High Street. Noch bis 21. Juni findet die dritte „Independent Booksellers Week“ statt.
Dem unabhängigen Buchhandel in Großbritannien haftete lange Zeit der Ruf einer aussterbenden Spezies an. In der Tat spielten Independents zur Blütezeit des Filialbuchhandels, als außer Waterstone’s auch Ottakar’s, Hammicks und Borders die Muskeln spielen ließen, nur eine Statistenrolle. Aber die Zeiten ändern sich: Die Indies von heute machen mit neuem Selbstbewusstsein auf sich aufmerksam.
Nische zwischen Online und Supermarkt
Die Zahl der Uanhängigen ist in den letzten zehn Jahren zwar von 1700 auf 1289 geschrumpft, doch der Rückgang hat sich deutlich verlangsamt. Seit 2007 haben laut Booksellers Association (BA) 233 Buchhandlungen aufgegeben, gleichzeitig wurden 205 neu eröffnet. Vor allem die neue Sortimentergeneration sorgt für einen frischen Wind im Buchhandel. Sie engagiert sich in ihrem lokalen Umfeld, hat keine Angst vor E-Books und Internet, twittert mit Begeisterung, organisiert Events und schreibt Service in Großbuchstaben. Elemente, die auch in den Strategien deutscher Standortbuchhändler eine Rolle spielen.
Kurzum: Die neuen Unabhängigen haben erkannt, dass sich trotz oder gerade wegen des rasanten Aufstiegs des Online-Handels und angesichts von Supermärkten, die vor allem im Taschenbuch das Bestsellergeschäft absahnen, in der High Street viele Möglichkeiten für einen engagierten Buchverkäufer auftun.
Das sehen offensichtlich auch Verlage und Barsortimente so, die den Indies mit einer Vielzahl von werblichen Initiativen, Schaufensteraktionen und entsprechenden Sonderkonditionen unter die Arme greifen. Zum Beispiel der Zwischenbuchhändler Gardners:
- Er schnürt seit April monatliche Preiskampagnen für mindestens zehn Front- und Backlisttitel, die mit 50% Rabatt abgegeben werden.
- Außerdem tritt der Marktführer aus Eastbourne als „Kontaktbörse“ auf und bringt unabhängige Buchhändler mit kaufstarken Lesezirkeln (Reading Groups) zusammen. Für die Besorgung der Gruppenlektüre erhält der Sortimenter dann ebenfalls Sonderkonditionen.
Meryl Halls, bei der BA für Mitgliederservice zuständig, beobachtet die Entwicklung, die in ihren Augen schon lange überfällig ist, mit stiller Genugtuung: „Spätestens seit dem Aus für Borders unmittelbar vor Weihnachten sind die Independents auf breiter Front in den Branchenfokus gerückt. Alle wollen dazu beitragen, dass dieser Sektor nicht nur überlebt, sondern gedeiht.“
Der Eifer, den die Verlage an den Tag legen, verwundert nicht. Von einer Buchhandelswüste ist das Vereinigte Königreich zwar noch weit entfernt, doch Vielfalt sieht in einem Land mit 61 Mio Einwohnern anders aus: Waterstone’s ist als einziger Großbuchhändler mit 311 Läden übrig geblieben, hat aber derzeit genug mit sich selbst zu tun, WH Smith hat zwar über 1000 Filialen, aber das Buchsortiment dümpelt konstant an der kommerziellen Oberfläche.
Kein Platz für Interessenkonflikte
Auch der Buchhändlerverband macht sich für die Independents stark. Anders als in den USA, wo die American Booksellers Association (ABA) ausschließlich die Interessen der unabhängigen Sortimenter vertritt und mit der Imagekampagne „IndieBound“ werbliches Rüstzeug in allen erdenklichen Formen bereitstellt, ist der britische Buchhändlerverband ein Diener vieler Herren. Großbuchhändler und Supermärkte sind ebenso Mitglieder wie die Indies und wollen ihre Interessen berücksichtigt sehen.
Gleichwohl lehnt sich der Verband weit aus dem Fenster. Das jährlich stattfindende Independent Booksellers Forum, der Buchschenkdienst Book Tokens, regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen und ganz neu die britische Adaption von „IndieBound“ gehören zu den Serviceleistungen, die Halls koordiniert. Das wichtigste und öffentlichkeitswirksamste Marketinginstrument, das die BA für die Indies in den letzten Jahren auf die Beine gestellt hat, aber ist die „Independent Booksellers Week“.
Zum dritten Mal werden vom 14. bis 21. Juni knapp 300 Sortimentsbuchhändler in eigener Sache die Werbetrommeln schlagen. Zwischen Dover und Aberdeen finden Hunderte von Veranstaltungen, Lesungen, Kostüm- und Kinderfeste, Signierstunden und vieles mehr statt. Felicity Denham (Midas): „Es gibt keine Deadline. Die Erfahrung zeigt, dass selbst am Eröffnungstag noch Aktionen angemeldet werden. Viele Buchhändler berichten, dass immer öfter Ideen direkt von ihren Kunden kommen.“
Viele Köche mischen erfolgreich mit
Organisiert und finanziert wird die landesweite Werbewoche in enger Zusammenarbeit mit der Medienagentur Midas gemeinschaftlich vom Buchhändlerverband, Book Tokens sowie den Zwischenbuchhändlern Gardners und Bertrams. Auch viele Verlage engagieren sich und haben zum Teil auf eigene Kosten mehr als 100 Autoren mobilisiert, darunter Hochkaräter wie Michael Morpurgo, Anita Brookner, Allison Pearson, Linda La Plante und Robert Muchamore.
Für alle teilnehmenden Buchhandlungen haben die Organisatoren ein (kostenloses) Aktionspaket mit POS-Material sowie Informationen für Schaufensteraktionen, Events und Aktionen zusammengestellt. Meryl Halls: „Wir haben schon zweimal gezeigt, was Indies leisten können, aber die Botschaft muss immer wieder erneuert werden – nicht nur in der Öffentlichkeit, die Buchhändler brauchen diese Bestätigung.“
Auch die Medien engagieren sich seit Neuestem aktiv für den unabhängigen Buchhandel. Überregionale Tageszeitungen wie „Guardian“ und „Independent“ bringen Indie-Buchhändler mit schöner Regelmäßigkeit ins Gespräch.
Auch der „Daily Telegraph“ ist auf den Zug aufgesprungen und hat sich neulich auf die Suche nach den zehn besten Indies im Land gemacht und diese in ausführlichen Porträts vorgestellt. Das Fazit von Telegraph-Redakteurin Nina Caplan sollte den Indies noch mehr Mut machen: „Kleine Buchhandlungen sind nicht tot, sie gedeihen. Vor allem in Kleinstädten sind sie ein ganz wichtiger Teil des Wir-Gefühls.“
Anja Sieg, sieg@buchreport.de
www.independentbooksellersweek.org.uk
www.booksellers.org-uk
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