An der Uni Bochum wird Literaturkritik gelehrt und geübt. Kritikerin Sigrid Löffler (Foto: Literaturhaus Stuttgart) veranstaltet ein Blockseminar zu ihrer Profession. Ein Interview mit der „Literaturen“-Chefin.
Kann man Literaturkritik lernen?
Man kann das kritische Instrumentarium für literarische Texte anwenden lernen und durch Übung und Vergleich schärfen und verfeinern. Man kann die Urteilsfähigkeit trainieren und die Urteilslust und die Sprachempfindlichkeit wecken. All dies bis zu einem gewissen Grad. Darüber hinaus führt nur die Begabung. So wie es musikalische und unmusikalische Menschen gibt, gibt es auch Menschen mit einem Talent für frischen und originellen sprachlichen Ausdruck und andere Menschen, die über eine klischierte Sprache nicht hinauskommen.
Wie entwickelt sich die Literaturkritik?
Sie ist eine bedrohte Gattung. Nur in einem kleinen Reservat, in der Belletristik im engeren und strengeren Sinn sowie im Bereich des Qualitätssachbuchs, hat das Urteil der Literaturkritik noch Gewicht. Außerdem ist der Service-Journalismus auf dem Vormarsch und verdrängt den klassischen Rezensionsjournalismus. In vielen neueren Print-Medien gilt Kritik als antiquiert und obsolet, ihre Denkfiguren gelten als zu anstrengend, zu zeitraubend, zu umständlich und werden ersetzt durch Charts und Marketing-Journalismus. Die Literaturkritik hat also die Aufgabe, sich nicht zum Komplizen ihrer eigenen Entmachtung degradieren zu lassen, sondern ihre Freiräume zu verteidigen. Sie darf sich nicht als verlängerter Arm der Marketing-Abteilungen der Verlage instrumentalisieren lassen. Wenn sie sich als Cheerleader des Buchmarktes einspannen lässt, arbeitet sie selbst an ihrer Entlegitimierung mit.
Neben der klassischen Buchrezension in Zeitschriften und Zeitungen passiert einiges im Internet einschließlich Mitmach-Plattformen. Was halten Sie von derartigen Foren?
Da in der Kulturindustrie der Konsument die allmächtige Figur ist, nach der sich alles orientiert, erhält auch die Meinung des Konsumenten immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Seine Möglichkeiten zur Meinungsäusserung nehmen ständig zu. Man kann das Demokratisierung der Kritik nennen oder Verwässerung kritischer Standards, je nach Gusto. Der Konsument hat jedes Recht auf sein Geschmacksurteil. Der professionelle Kritiker hingegen muss sein Urteil nachvollziehbar und möglichst brillant begründen können. Und das unterscheidet ihn doch ganz wesentlich vom munter schwärmenden Blogger.
Zur Person: Sigrid Löffler
1942 geboren und in Wien aufgewachsen. Nach dem Studium (Anglistik, Germanistik, Philosophie und Pädagogik) mit Magisterabschluss 1966 begann ihre journalistische Karriere. 1968–1972 als außenpolitische Redakteurin bei der Wiener „Presse“. Von 1972–1993 war sie Redakteurin beim österreichischen Nachrichtenmagazin „profil“, zuletzt als Leiterin des Kulturressorts. Von 1997–1999 war Sigrid Löffler Feuilletonchefin der „Zeit“. Populär wurde die Literaturkritikerin durch ihre Dispute mit Marcel Reich-Ranicki im „Literarischen Quartett“ (ZDF) von 1988–2000. Seit 2000 ist Löffler Herausgeberin der Zeitschrift „Literaturen“.
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