Die Vernetzung hat unser Leben verändert. Aber das ist erst der Anfang. Die Digitalisierung dringt im weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts in alle Segmente von Wirtschaft und Gesellschaft ein – und auch in unsere Körper. Menschen und Maschinen verschmelzen, das Internet wird zu unserer zweiten Natur, zur Digisphäre.
Technisch ist heute schon viel mehr möglich, als wir uns vorstellen können. Science Fiction wird Programm: selbststeuernde Autos, Telepathie, Maschinen, die sich selbst reproduzieren, smarte Pillen, die im Notfall den Arzt alarmieren… Wir stehen am Anfang einer Entwicklung hin zu einer beinahe magisch vernetzten Welt, in der Maschinen selber denken und lernen. Eine Welt, in der die Netze autonom werden und sich ohne unser Zutun selbst steuern.
Dabei werden wir uns vor allem mit zwei Konfliktfeldern auseinandersetzen müssen:
- Sicherheit: Wie schützen wir uns und unsere Netze vor Cyberwar und Cybercrime? Wie offen, wie geschlossen müssen die Netze sein, insbesondere die für kritische Infrastrukturen?
- Robotisierung: Roboter und sich selbst steuernde Systeme spielen eine immer wichtigere Rolle in unserem Leben. Wie organisieren wir das Zusammenspiel zwischen Roboter und Mensch? Wie weit lassen wir zu, dass sie für uns entscheiden?
Wirtschaftlich und politisch führen die Größe und die Allgegenwart des Internets zu Machtverschiebungen und zunehmenden Konflikten. Daten lösen als wichtigster Rohstoff das Öl ab. Konzerne, Staaten und Nutzer kämpfen im und mit dem Internet um die Durchsetzung ihrer Interessen. Das Internet wächst auseinander, unterschiedliche Netze entwickeln sich mit unterschiedlichen Graden von Freiheit und Transparenz sowie von Sicherheit und Kontrolle.
Auch hier lassen sich zwei dauerhafte Konfliktfelder identifizieren.
- Qualität der Netze: Wie stellen wir gut funktionierende, schnelle und flächendeckende Netze sicher?
- Privatsphäre: Wie stellen wir sicher, dass die Privatsphäre respektiert wird und der Datenschutz gewährt ist? Wem vertrauen wir welche Daten warum an?
Wir müssen heute die Weichen für die digitale Welt von übermorgen stellen. Aber wie stellt man in einem Netz eine Weiche? Und wie kann man überhaupt eine Richtung festlegen, wenn alles und alle vernetzt sind? Vier Szenarien sollen veranschaulichen, in welche Richtungen sich die Gesellschaft dabei in einer fernen Zukunft entwickeln kann als Gedankenexperimente, nicht als Prognosen. Die Definition der Szenarien orientiert sich an den Antworten auf zwei Leitfragen:
- Wer hat die Kontrolle über unsere Daten?
- Wie entwickelt sich unser (nicht nur finanzielle) Wohlstand?
- Digital 99 Percent. Die Gesellschaft spaltet sich in eine technokratische Elite und eine große Masse, die sich mit mehrheitlich unqualifizierten Jobs über Wasser hält und mit billiger Unterhaltung ruhig gestellt wird (ausgehend von niedrigem Wohlstand und niedriger Selbstkontrolle der Daten).
- Low Horizon. Die Menschen lehnen neue Technologien ab und koppeln sich so weit wie möglich von den digitalen Informationsströmen ab (ausgehend von niedrigem Wohlstand und hoher Selbstkontrolle der Daten).
- Holistic Service Community. Die Menschen vertrauen alle ihre Daten einer großen Institution an, die dann als „Big Mother“ über sie wacht und für sie sorgt. Das Leben ist total transparent und sicher – solange man nicht versucht, das System zu verlassen (ausgehend von hohem Wohlstand und niedriger Selbstkontrolle der Daten).
- Dynamic Freedom. Das Internet wird neu erfunden, radikal dezentral ohne Server, offen, demokratisch, flexibel. Kreativität und Unternehmergeist blühen, Menschen und Maschinen kooperieren, die Technik reguliert sich selbst (ausgehend von hohem Wohlstand und hoher Selbstkontrolle der Daten).
Die Vernetzung beschleunigt soziale Prozesse und verstärkt sowohl positive wie negative Nebenwirkungen. Wir müssen darum heute diskutieren, welche Rahmenbedingungen wir für die Vernetzung von morgen wollen. Wir bewegen uns dabei zwangsläufig auf unsicherem Boden: Wenn sich Märkte und Gesellschaftsbereiche schnell und dynamisch verändern, verändern sich auch die Parameter der Entscheidungen. Gerade weil es keine einfachen Antworten gibt, bietet sich die Orientierung an einfachen Fragen an.
Karin Frick (Foto: re.) und Bettina Höchli (li.) haben für das GDI Gottlieb Duttweiler Institute eine Studie zur digitalen Vernetzung der Gesellschaft im Jahr 2030 erstellt. Die im Auftrag der Swisscom erstellte Studie soll eine Grundlage für eine öffentliche Diskussion über die technologische Entwicklung und den Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bieten. Die Studie kann hier kostenlos bezogen werden.
Danke für den Hinweis auf die Studie. Schaue ich mir an und bin gespannt. Ein Aspekt ist mir in der Zusammenfassung hier nicht unter gekommen: die aufklärerische Eigenverantwortung der Gesellschaft. Sie wurde mir besonders deutlich beim Buch von Yvonne Hofstetter, das ich hier resümiert habe: http://thomasbrasch.wordpress.com/2014/10/16/sie-wissen-alles-und-wir-konnen-nicht-behaupten-wir-hatten-von-nichts-gewusst/