Knapp eine Woche nach dem Start unseres Social Writing-Projekts Mygnia ist es Zeit für eine erste Bilanz. Funktioniert die Idee? Kann eine Online-Community eine fiktive Welt wirklich mit Leben füllen? Das Potenzial ist vorhanden. Doch S-Kurven beginnen flach.
Pünktlich zum geplanten Launchtermin am 30. März ging das Social Writing-Projekt Mygnia live – worauf wir ziemlich stolz sind. Wir hatten bewusst einen „Soft Launch“ ohne große Werbe- und PR-Maßnahmen im Vorfeld geplant, um ggf. noch vorhandene Schwachstellen ohne großen Schaden beseitigen zu können. Auch ohne PR und Werbung, lediglich mit einigen Hinweisen in Forenbeiträgen, in Karl Olsbergs Blog sowie hier im buchreport-Blog haben wir immerhin bereits ca. 250 Interessierte auf Mygnia.de locken können. Sicher zu wenig, um irgendjemanden zu beeindrucken, aber genug, um aus dem Verhalten der Besucher zu lernen. Die wenigen Tage seit dem Launch haben uns bereits eine Menge Verbesserungspotenzial gezeigt. Einiges wurde sofort umgesetzt, doch es bleibt noch viel zu tun.
Die „Nielsen-Regel“ sagt, dass von den 250 Besuchern 90% „nur mal gucken“, sich 10% tatsächlich registrieren und 1% aktiv und engagiert mitarbeitet. Dies entspricht ziemlich exakt unserer bisherigen Beobachtung, auch wenn man bei den niedrigen Zahlen noch nicht von statistischer Validierung sprechen kann.
Erfreulich ist, dass bereits nach wenigen Tagen erste kreative und originelle Beiträge aus der Community vorliegen. Diese zeigen, dass die Ursprungsidee funktioniert: Einer Gemeinschaft von Interessierten fällt mehr ein, und sie kann eine fiktive Welt mit mehr Leben füllen als ein einzelner Autor. Gelernt haben wir aber auch bereits, dass mehr Rahmenvorgaben erforderlich sind, als wir ursprünglich dachten, um es neuen Community-Mitgliedern leichter zu machen, sich in die fiktive Welt hineinzudenken.
Doch der Weg, bis eine florierende, sich selbst tragende Community entsteht, ist noch lang. Eine Online-Community von Null aufzubauen, braucht viel Energie und Geduld. Das liegt an der selbstverstärkenden Eigenschaft sozialer Gruppen im Web: Je größer sie sind, je mehr Inhalte generiert werden, umso attraktiver sind sie für Außenstehende und umso schneller wachsen sie – bis eine natürliche Sättigungsgrenze erreicht wird, die z.B. durch die Attraktivität des Themas gesetzt ist. Entsprechend folgt das Wachstum einer Community typischerweise dem Verlauf einer „S-Kurve“: Sie beginnt sehr flach, wird dann immer steiler, um schließlich nach einer Phase rasanten Wachstums wieder abzuflachen.
Interessanterweise entspricht dieser Kurvenverlauf exakt dem Verlauf der Marktdurchdringung neuer Technologien, wie etwa E-Book-Readern. Das menschliche Gehirn ist jedoch nicht auf solche nichtlinearen Verläufe programmiert, sondern denkt linear. Das führt dazu, dass man dazu neigt, zu Anfang ungeduldig zu sein oder eine neue Technologie vorschnell als Flop abzutun, denn zu Beginn der S-Kurve scheint kaum etwas voranzugehen. Dann wird man plötzlich von dem rasanten Wachstum derselben Technik überrascht. Bill Gates hat dies so formuliert: „Die Auswirkungen einer neuen Technologie werden immer kurzfristig überschätzt, mittelfristig aber unterschätzt.“
Was lernen wir daraus? Ein Experiment wie Mygnia erfordert Geduld – genau wie die Markteinführung der E-Books. Wer zu früh aufgibt oder seine gesamte Energie in der Frühphase vergeudet, verpasst den entscheidenden Moment, in dem sich das Wachstum von selbst beschleunigt. Wer zu spät mit dem Experimentieren beginnt, ist noch in der frühen, flachen Phase, während sich andere bereits den Markt untereinander aufteilen.
Karl-Ludwig von Wendt studierte Betriebswirtschaftslehre und promovierte über künstliche Intelligenz. Er hat neun Jahre Erfahrung als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Online-Transformation im Handel und in der Telekommunikation. Zwölf Jahre war er Unternehmer in der New Economy, wo er zwei Start ups gründete und u.a. mit dem eConomy-Award der Wirtschaftswoche für das “Start up des Jahres” ausgezeichnet wurde. Als Karl Olsberg schreibt er Thriller, Jugend- und Sachbücher. Im Januar 2012 gründete er die briends gmbh, die sich mit der Entwicklung von Contentmarken im Buchmarkt sowie mit Social Writing beschäftigt.
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