Fehler sind unbedingt zu vermeiden, lautet ein Management-Credo. Dabei ist Fehler nicht gleich Fehler – manche bemerkt man gar nicht, andere sollte man öfter machen. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen und Fehlertypen zu klassifizieren.
Die meisten Organisationen sind darauf ausgerichtet, Fehler zu vermeiden. Es gibt Vorschriften, Kontrollmechanismen und Schutzvorrichtungen, die verhindern sollen, dass etwas schief geht. In umfangreichen Meetings werden Investitionsvorhaben auf mögliche Risiken abgeklopft, um Fehlinvestitionen möglichst auszuschließen. Treten trotzdem Fehler auf, so neigen wir dazu, nicht nur die Ursache, sondern auch den Verursacher, sprich den „Schuldigen“, zu suchen und zur Rechenschaft zu ziehen. Irgendwie wissen wir intuitiv, dass dieses Verhalten jede Innovation im Keim ersticken kann. Aber wo kämen wir hin, wenn wir einfach jeden Fehler durchgehen lassen würden, geschweige denn, Fehler als etwas Wünschenswertes anzusehen?
Das Problem dabei ist, dass wir dazu neigen, alle Fehler über einen Kamm zu scheren. Dabei gibt es gewaltige Unterschiede, je nachdem, ob man vorher weiß, dass etwas ein Fehler ist, und ob dieser Fehler durch aktives Handeln verursacht wurde.
Klassifizieren wir Fehler nach diesen beiden Merkmalen, so ergibt sich grob ein Diagramm mit vier Feldern:

Handlungen, die man aktiv begeht, obwohl man weiß, dass sie falsch sind, darf man mit Fug und Recht als „Dumme Fehler“ bezeichnen. Dazu gehören etwa das Hineingreifen in eine laufende Maschine, ohne diese vorher abzuschalten, riskante Überholmanöver oder eine ungesunde Ernährung. Kein Zweifel: Solche Fehler sollten durch Kontroll- und Schutzmechanismen nach Möglichkeit verhindert und in Unternehmen notfalls auch rigoros geahndet werden. Es ist zum Glück relativ leicht, solche Fehler zu erkennen.
Anders sieht es mit Fehlern aus „Nachlässigkeit“ aus. Das sind Handlungen, von denen man weiß, dass man sie eigentlich tun sollte, es aber nicht macht. Ein Vertriebsmitarbeiter, der einen Kunden nicht anruft, obwohl er es eigentlich tun müsste, oder ein Lektor, der ein Manuskript nicht gründlich genug überarbeitet, begehen diese Art von Fehler, ebenso wie jemand, der zu wenig Sport treibt. Solche Fehler sind nur schwer zu entdecken und noch schwerer zu verhindern. Sie sind daher viel häufiger als „dumme“ Fehler.
Die dritte Fehlerkategorie unten rechts ist noch tückischer: Etwas nicht zu tun, von dem man sich nicht sicher ist, ob man es tun sollte, fällt leicht – auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass man es besser getan hätte. Solche Fehler werden, wenn überhaupt, nur sehr selten entlarvt. Dabei sind Fehler dieser Kategorie der Unternehmenskiller Nummer eins!
Schaut man sich Firmenpleiten (wie z.B. jüngst die Schlecker-Insolvenz) genauer an, so stellt man fest, dass sie meist nicht auf aktive Fehler (etwa massive Fehlinvestitionen) zurückzuführen sind, sondern darauf, dass das Management etwas nicht getan hat, was es hätte tun sollen – ein neues Produkt entwickeln etwa, Filialen modernisieren oder rechtzeitig die Kosten senken. Leider weiß man das oft erst im Nachhinein.
Diese Fehler sind deshalb so häufig, weil sich Manager, die eine Entscheidung nicht treffen, nur selten einem persönlichen Risiko aussetzen. Für Umsatzrückgänge oder Firmenpleiten sind dann in der Regel „verändertes Verbraucherverhalten“, „Konkurrenzdruck“ oder „Globalisierung“ verantwortlich, nicht aber diejenigen, die nicht rechtzeitig auf diese Einflüsse reagiert haben. Ein Manager, der eine Fehlinvestition zu verantworten hat, kann dagegen sehr wohl persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Daher ist es oft „sicherer“, die Hände in den Schoß zu legen – selbst, wenn das die Zukunft der Firma kostet. Ich nenne diese Art von Fehlern daher „Angststarre“.
Die vierte Fehlerkategorie sind Handlungen, die man aktiv begangen hat, die sich aber im Nachhinein als falsch herausstellen – „fehlgeschlagene Experimente“ also. Jedes innovative Unternehmen muss sich mit ihnen herumschlagen. Diese Fehler haben allerdings gegenüber den anderen Kategorien einen entscheidenden Vorteil: Sie sind die einzige Art von Fehlern, aus denen man konkret etwas lernen kann! Denn nur, wenn man etwas aktiv tut, ist man in der Lage, die Konsequenzen seiner Tat direkt zu beobachten und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Tut man es nicht, kann man dagegen nie genau wissen, was passiert wäre, wenn man gehandelt hätte.
Fehlgeschlagene Experimente sind somit eigentlich gar keine Fehler, sondern wertvolle Lerninvestitionen. Und die weitaus meisten Unternehmen machen zu wenig davon.
Im letzten Beitrag habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie man sich auf Marktveränderungen einstellen kann, bevor sie passieren – in einer Phase extremer Unsicherheit also. Die Antwort lautete: Experimentieren, Ausprobieren – auch auf die Gefahr hin, dass es nicht klappt und man hinterher feststellt, dass man einen Fehler gemacht hat. Nun sollte klar sein, worauf sich diese Empfehlung gründet.
Eine Frage ist jedoch noch offen: Wie viele solcher fehlgeschlagenen Experimente kann und sollte man sich leisten? Dazu im nächsten Beitrag mehr.
Karl-Ludwig von Wendt studierte Betriebswirtschaftslehre und promovierte über künstliche Intelligenz. Er hat neun Jahre Erfahrung als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Online-Transformation im Handel und in der Telekommunikation. Zwölf Jahre war er Unternehmer in der New Economy, wo er zwei Start ups gründete und u.a. mit dem eConomy-Award der „Wirtschaftswoche“ für das „Start up des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Als Karl Olsberg schreibt er Thriller, Jugend- und Sachbücher. Im Januar 2012 gründete er die briends gmbh, die Verlage insbesondere bei der Entwicklung von Contentmarken sowie Social Writing unterstützt.
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