Michael Justus über betriebswirtschaftliche Folgen der Digitalisierung
Keine goldene Nase durch elektronisches Publizieren
Verglichen mit dem Publikumsverlags-Marktführer Random House hat sich der S. Fischer Verlag nur zögerlich aufs digitale Spielfeld gewagt. Während andere Verlage wie Lübbe viel Geld in die Hand nehmen, um digitale Bücher multimedial aufzurüsten, unternimmt Fischer bislang nur einzelne Versuche mit Bücher-Apps. Taktgeber beim behutsameren Herantasten ans digitale Format ist unter anderem Michael Justus (Foto), seit 2008 kaufmännischer Geschäftsführer des S. Fischer Verlags. Im Interview beschreibt Justus, wie sich die Margen der Verlage entwickeln werden, warnt vor Kannibalisierung und gibt einen Ausblick aufs digitale Weihnachtsgeschäft.
Ist die Digitalisierung ein Segen oder ein Fluch aus Sicht eines Ökonomen?
Es gibt Momente, in denen Verlagsökonomen das Digitalzeug am liebsten aus der Welt beamen würden. Es fällt schwer, langfristige wirtschaftliche Vorteile daraus zu errechnen. Aber das spielt keine Rolle. Es kommt nicht auf die Verlagsnabelschau, sondern die Perspektive der Leser an. Wenn die Verlage für ihre Leser das Beste aus der Digitalisierung rausholen, wird sie für das Lesen als solches zum Gewinn. Das ist dann auch für die Verlage das Ausschlaggebende.
Hierzulande stürmen immer mehr Anbieter mit Tablets auf den Markt, zuletzt Weltbild. Was bedeutet das für die Verlage?
Ich glaube, dass reine Lesegeräte keine Chance haben, sobald es Tablets gibt, die sowohl deren Preis als auch deren Lesekomfort bieten. Für die Verlage wird entscheidend sein, welche Funktionen die Geräte demnächst abdecken werden. Vor allem: Wann werden sie Epub 3 darstellen können? Erst dann werden digitalisierte Texte ihre Vorzüge ausspielen können, und der digitale Markt kann auch für die Verlage vom Fluch zum Segen werden. Die vom Verlag geleistete Arbeit kann dann besser sichtbar gemacht werden als auf den heute verfügbaren E-Ink-Geräten.
„Elektronisches Publizieren ist kein Zusatzgeschäft“
Die Margen sind an vielen Stellen unter Druck: Die Mehrwertsteuer fällt bei E-Books hoch aus, die Autoren erwarten höhere Tantiemen. Müssen sich die Verlage mit kleineren Margen bescheiden?
Damit können wir uns bei Teilkosten-Betrachtung nicht zufrieden geben. Wir haben zwar möglicherweise niedrigere variable Kosten, aber höhere Fixkosten und noch mehr Arbeit als beim gewohnten Printgeschäft, was nur durch größere Margen aufgefangen werden kann. Bei Vollkostenbetrachtung könnte es tatsächlich auf niedrigere Margen hinauslaufen. Wir verdienen uns durch elektronisches Publizieren keine goldene Nase, weil es in der Regel kein Zusatzgeschäft ist, sondern vorhandenes Geschäft ersetzt.
Sehen Sie in Ihren Absatzzahlen schon Kannibalismustendenzen?
Wir sind ja immer noch bei einem Umsatzanteil von E-Books unter 1%, das ist keine vernünftige empirische Basis. Aber in den USA ist der Trend eindeutig: Das Paperbackgeschäft ist dort deutlich zurückgegangen.
Und das erwarten Sie mit Verzögerung auch hierzulande?
Ja.
„Möglicherweise geht es jetzt richtig los“
Amazon behauptet, dass Kindle-Kunden sogar mehr Bücher kaufen. Ist die Kannibalisierung also doch nicht unausweichlich?
Die Frage bleibt aber, ob sie auch mehr Geld für Bücher ausgeben und nicht nur mehr – oft kostenlose – Bücher herunterladen. Ich kenne keine Statistik, nach der das Marktvolumen durch die Digitalisierung wächst. Und deshalb ist mein Ansatz: Wir müssen von digitalen Büchern genauso leben können wie von gedruckten – im Extremfall sogar, wenn wir mit Gedrucktem gar keinen Umsatz mehr machen sollten. Bei einem EP-Anteil von 0% sollten wir keine Investitionsruinen angerichtet haben, und bei 100%-EP-Anteil sollten wir existenzfähig sein.
Wird das Weihnachtsgeschäft 2011 zum Tipping-Point für das E-Book?
Es hat sich zumindest zuletzt viel getan: Amazon hat einen Kindle mit deutscher Menüführung im Programm. Weltbild tritt mit einem preisgünstigen Tablet an. Möglicherweise werden wir im Rückblick sagen: Damals ging es so richtig los. Nach unseren Planungen werden wir in den kommenden ein, zwei Jahren beim E-Book-Umsatz ein paar Hundert Prozent zulegen, auf Grundlage einer kleinen Basis. Gleichwohl dürften wir auch 2012 von einem 10%-Anteil weit entfernt bleiben. Die Ausgangslage in den USA war anders: Es gibt z.B. keine so unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze; unter anderem deshalb konnten die Anbieter bei den E-Book-Preisen deutlich unter das Printniveau gehen. Für den hohen Marktanteil von E-Books war das vermutlich ausschlaggebend: Für die amerikanischen Leser ist Literatur durch E-Books einfach billiger geworden.
Die Fragen stellte Daniel Lenz
Das komplette Interview ist im buchreport.magazin 12/2011 zu lesen (hier zu bestellen).
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