In den aktuellen Frühjahrsprogrammen finden sich zahlreiche Romandebüts deutschsprachiger Autoren. buchreport stellt 13 dieser Nachwuchsschriftstellerinnen und -schriftsteller in Steckbriefen vor. Den Anfang macht Kenah Cusanit, die im Januar bei Hanser ihren Erstling „Babel“ vorgelegt hat. Der Titel ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und auf Rang 16 der SPIEGEL-Bestsellerliste eingestiegen.
Mein Roman in drei Sätzen
Frei nach Francis Ford Coppola: Der Roman ist nicht über die Ausgrabung Babylons, er ist die Ausgrabung Babylons. Oder eine Art Archäologie moderner Erkenntnis. Wer beim Lesen eine Schaufel in die Hand nimmt, kann selbst bestimmen, wie viele Schichten er/sie freilegt.
Mein Weg zu Hanser
Über die Literarische Agentur Michael Gaeb und eine immer – auch nach wenigen neuen Manuskriptseiten – von Enthusiasmus ergriffene Elisabeth Botros.
Das Verdienst meines Lektors
Ebenso enthusiastisch überzeugt zu sein von Text und Autorin und in der Lektoratsarbeit maximal noninvasiv vorzugehen.
Mein Eindruck vom Literaturbetrieb
Ich bin noch mitten in der teilnehmenden Beobachtung. Bislang kann ich sagen: Der Literaturbetrieb ist genauso gut geeignet für eine wissenschaftssoziologische Feldstudie wie die Labore der Hochenergiephysik.
Meine Lieblingsbuchhandlung
Die verfallende Buchhandlung meiner Kindheit: Jugendstilfachwerk, große Schaufenster, in meiner Erinnerung im Inneren und nach hinten immer weiter, aber auch dunkler und leerer werdend, als stünden die meisten Bücherregale im Eingangsbereich und würden immer weniger, je weiter man in den Laden vordringt, bis man schließlich, hinten angekommen, nur noch auf sich selbst gestellt ist. Zurzeit halte ich mich gern im Bücherbogen am Savignyplatz auf, wo die Berliner Stadtbahn mit ihrer körperlich belebenden irren Haptik im Dreiminutentakt drüberfährt – gäbe es die Gleise der Stadtbahn nicht, besäße ich wohl einige (viel zu teure) Kunst-, Foto- und Architekturbände weniger.
Meine Lieblingsautoren
Ich bin keine Freundin von Superlativen, ich habe nur einen Lieblingsfilm – und ist das nicht schlimm genug.
So lese ich
Meistens zu schnell. Viel zu viel Zeitung, zu viel Sachbuch, zu wenig Belletristik, viel zu wenig Lyrik.
Schreiben ist für mich
1. Offiziell angegebene berufliche Tätigkeit, nachdem ich mir alle anderen Wege selbst verstellt habe. 2. Nah dran an etwas, das an Heimat erinnert, ein temporäres Zuhause, aus dem man, wenn man es fertig geschrieben hat, so denkt man immer wieder entgegen aller Erfahrung, diesmal hoffentlich nicht ausziehen muss.
Wenn ich nicht gerade schreibe
Sitze ich im Archiv. Oder baue Harfen. Und Küchenmöbel. Oder ich atme aus und stelle mir vor, dass ich einatme, und atme dann ein und stelle mir vor, dass ich ausatme usw. – Folge: so eine Art freundschaftliches Aufgehen in die Umgebung, besonders wirkungsvoll im Berliner Stadtverkehr (oder gegenüber Kritik).
Warum haben Sie dieses Debüt ins Programm genommen?
Als ich die ersten Auszüge aus „Babel“ gelesen habe, konnte ich gar nicht sicher sagen, ob es sich hier tatsächlich um Auszüge aus einem Roman handelte. Ich kannte Kenah Cusanit nicht, ich verstand nicht, was sie vorhatte, ich war nur sofort sehr fasziniert. Das war sprachlich, formal und dramaturgisch derart eigensinnig komponiert, dass es eines Tages einen wichtigen Text ergeben könnte. Diese Autorin schrieb an einem Roman über die Deutschen und ihre Ausgrabung Babylons vor den zwei Weltkriegen – und ging als hochreflektierte Sprach- und Geschichtenarchäologin selbst wie eine Ausgräberin an ihr Thema heran. Als ich dann Jahre später das vollständige Manuskript las, veränderte es meinen Blick auf die Welt. Nach „Babel“ fällt es schwer, über die Gegenwart nachzudenken, ohne die Auswirkungen von Kolonialisierung und kultureller Aneignung zu sehen.
Martin Kordić, Lektor
Debütanten im Frühjahr 2019
– im buchreport.magazin 3/2019
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