Ein Rant gegen Ewiggestrige im digitalen Wandel | Ich kann es nicht mehr hören! Mir kommt die virtuelle Galle hoch, und zwar literweise. Es ist ja in unserer Gesellschaft ganz große Mode, sich selbst dafür zu exponieren und zu feiern, dass man sich dem digitalen Wandel verweigert. Mir scheint aber vor allem, das wird — während die Entwicklung rasant fortschreitet — eher mehr als weniger. Da sitzen 20-Jährige zusammen und verkünden vollmundig, dass doch nichts über ein „richtiges Buch“ gehe. Da erzählen mir Menschen meines Alters angesichts meines Kindle (E-Book-Reader), dass mit solchen Medien die Kultur den Bach hinuntergehe und die Literatur schon erst recht, und dass ein gebildeter Mensch zu richtigen Büchern auf Papier greife, weil er sonst eben kein solcher sei. Aktueller Auslöser, über meinen ständig schwelenden Ärger zu schreiben: ein Artikel darüber, wie sehr die Franzosen noch ,echte Bücher‘ zu schätzen wüssten.
Medien sagen nichts über Inhalt und Qualität
Ich möchte ja gar nicht darauf herumreiten, dass ich einen Doktortitel in Literaturwissenschaft habe. Aber wenn ich dann mal bei den oben erwähnten Personen vorsichtig nachfrage, welche Bücher sie denn selbst auf Papier läsen, drucksen sie herum oder murmeln etwas von „letztens noch einen Krimi“. Ich will mich mit meinem Literaturkonsum über niemanden erheben. Ich lese ebenfalls historische Romane und Krimis. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Medien gar nichts über den Inhalt und dessen Qualität aussagen. Oder dass ein alter Foliant im Bücherschrank dessen Eigentümer als Vertreter der Hochkultur qualifizieren würde.
Ja, es stimmt, ich bin nicht repräsentativ für meine Generation im Umgang mit Technik und Digitalem, wohl aber für meine medien- und technikaffine Peergroup. Ich bin mir der Risiken bewusst, die diese neuen Technologien mit sich bringen — weil ich mich mit den neuen Technologien auseinandersetze. Und nicht, weil ich gebetsmühlenartig und ohne eigene Kenntnisse irgendwelche diffusen Meinungsbilder wieder und wieder nachleiere. Dadurch werden sie nicht wahrer.
Zugegeben: Ich bin ein Techie
Ja, zugegeben, ich bin ein Techie und ein Mobiljunkie. Ich nutze mein iPhone und mein iPad auf jede mögliche Art und Weise, die mir das Leben erleichtern. Und, ja: Dafür zücke ich sie auch schon mal im Restaurant oder in gemütlicher Gesellschaft. Manchmal sitzen mein Mann und ich einander einträchtig im Restaurant gegenüber und starren auf unsere kleinen Displays. Weil wir zum Beispiel hernach eine ÖPNV-Verbindung erreichen wollen, einen Museumsbesuch planen oder wissen möchten, ob wir beim Spaziergang in einen Regenschauer geraten könnten.
Das letzte Mal, dass jemand daran deutliche Kritik geübt hat, war an einem Nachbartisch und kam von mir völlig Unbekannten. Da röhrte ein rotgesichtiger Mittvierziger selbstgefällig durch das ganze Lokal: „Dass die Leute aber auch nur noch auf ihre Handys starren, statt sich zu unterhalten.“ Vorher, dass muss man dazusagen, hatten seine Begleiterin und er eine halbe Stunde lang schweigend kauend aneinander vorbeigesehen. Was sie übrigens nach dieser Meinungsäußerung noch eine weitere Dreiviertelstunde taten. (Die Frau hatte übrigens ein blaues Auge. Sicher versehentlich vor einen Schrank gelaufen. Tut ja auch nichts zur Sache.)
Über die Qualität des menschlichen Austausches ebenso wie über den Anspruch von Literatur entscheidet doch nicht das Medium. Sondern es bemisst sich an den beteiligten Personen. An den Inhalten. Am Umgang mit eben diesen.
Für mich müsst ihr das nicht machen
Für mich muss sich, bitteschön, außer meinen Mitarbeitern, von denen ich das erwarte, niemand mit neuen Technologien auseinandersetzen. Ich halte eine gewisse Skepsis sogar insofern für gesund, als sie dazu führt (oder führen sollte), dass sich Nutzer intensiv mit dem auseinandersetzen, was sie da nutzen, ehe sie es anwenden.
Aber ich kann diese pauschale Ablehnung der Medien, die nun einmal längst zu unserem Alltag gehören, nicht mehr hören. Ich denke da beispielsweise auch an eine ältere, angeheiratete Verwandte, die ich über Jahre immer wieder treffen musste. Sie tönte ebenfalls des Langen und des Breiten darüber, wie sehr „diese neuen Medien“ die tatsächlichen, echten Unterhaltungen verhindern würden. In Wirklichkeit war bei allen Gelegenheiten, zu denen ich sie traf, der einzige Grund, warum keine vernünftige Unterhaltung zustande kam, ihr pausenloses Monologisieren.
Übrigens besaß die genannte Dame einen Fernseher, einen CD-Spieler und zahlreiche andere Unterhaltungsgeräte. Ich versuchte bei einer der seltenen Gelegenheiten, zu denen sie Luft holen musste, ihr Grammophone, Volksempfänger und Pferdekutschen schmackhaft zu machen. Auch wies ich in einer anderen Atempause darauf hin, wie sehr die im Vergleich zu früheren Generationen deutlich erhöhte Standzeit ihrer künstlichen Hüfte ein Produkt moderner Computertechnologie sei. Von der präzisen Aussteuerung ihres Hörgerätes einmal ganz zu schweigen. Vergebliche Liebesmüh, natürlich. Trotz aller zur Schau getragenen Hochkultur war sie schlicht zu dumm und zu borniert, echte Diskussionen zu führen.
Aber ich steuere hier in eine völlig falsche Richtung, wenn ich die Negierung des digitalen Wandels anhand von Beispielen aus der Seniorenecke belege. Es sind die Gleichaltrigen und Jüngeren, die mich besonders ärgern.
Mit dem rostigen Rad auf der Rennstrecke
Vor allem aber bin ich bestürzt, wie viele Fachkollegen, Agenturen und sogar Ausbildungsinstitute so tun, als gäbe es gar keinen digitalen Wandel. Wir sprechen ja nicht allein über ein paar Handys oder E-Book-Reader. Es geht darum, neue Mechanismen zu begreifen, wie den „Zero Moment of Truth“, der das Käuferverhalten gewaltig verändert hat, und zwar die gesamte Gesellschaft durchdringend.
Wie kann man denn heute allen Ernstes und guten Gewissens einem Kunden noch ausschließlich „klassische Werbung und PR“ verkaufen? So, als ginge es darum, dass man Plakatwerbung anbietet, aber Fernsehreklame nicht im Portfolio hat? Wir reden doch über ganz andere Ebenen. Sich selbst für besonders elitär, gebildet und kultiviert zu halten, weil man Facebook ablehnt und keine Ahnung hat, wie digitale Kommunikation funktioniert: Das ist doch nicht gebildet oder kultiviert. Das ist doch rückständig und ungebildet.
Es ist verantwortungslos den Kunden gegenüber, weil man ihnen auf allen Ebenen die Möglichkeit und das Potential verschließt, ihre Bezugsgruppen wirkungsvoll zu erreichen. Das ist so, als würde man die Werbe- und PR-Kunden beziehungsweise die Studierenden oder Auszubildenden in rostigen Fahrrädern auf eine Teststrecke für Rennwagen schicken und dazu noch behaupten, dass es diese Rennwagen gar nicht gäbe und dass es gefährlich sei, sie sich näher anzuschauen.
Es muss nicht jeder gleich ein Revolutionär sein. Ich bin das auch nicht. Aber reaktionäres Gedankengut, um sich selbst aufzuwerten: Das halte ich seit jeher für eine gefährliche Entwicklung. Für mindestens so gefährlich wie den fahrlässigen Umgang mit neuen Medien oder persönlichen Daten.
Einfach mal die Klappe halten!
Neue Technologien haben noch niemanden verblödet. Rückständigkeit wohl! Hört bitte wenigstens endlich auf, euch selbst dafür zu feiern, dass ihr euch neuen Entwicklungen verschließt.
Dr. Kerstin Hoffmann berät Unternehmen in PR und digitalen Strategien. Sie ist Vortragsrednerin und Buchautorin. Ihr Blog PR-Doktor gehört zu den bekanntesten deutschen Blogs im Bereich PR und digitale Kommunikation.
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Kerstin Hoffmanns von einer Stimmung getragenes Plädoyer für neue Medien ist eine Anregung zu einer differenzierenden Betrachtung.
Gewiss ist richtig, dass wegen des Lesens von E-Books nicht der Untergang kultureller Werte zu befürchten ist. Werke der Weltliteratur behalten ihren Wert auch dann, wenn der Text nicht auf Papier gedruckt angeboten wird.
Für wissenschaftliche Arbeiten, die den Vergleich von Texten aus verschiedenen Quellen erfordern, kann aber die Verwendung gedruckter Bücher vorteilhaft sein. Auch Kinder, die noch nicht lesen können, brauchen gedruckte Bilderbücher. Sie müssen ohne Hilfe von Erwachsenen zu ihren Büchern greifen, Bilder ansehen und träumen können.
Ein Vorschlag zur Vorbereitung des nächsten Kommentars zugunsten der E-Books: Vor dem Schreiben erst einmal Luft ablassen.
„Für wissenschaftliche Arbeiten, die den Vergleich von Texten aus
verschiedenen Quellen erfordern, kann aber die Verwendung gedruckter
Bücher vorteilhaft sein“ – Ich versteh die Argumentation nicht. Gerade beim wissenschaftlichen Arbeiten haben Ebooks doch viele Vorteile: Zitate können digital direkt übernommen werden, und sie sind mit Suchmaschinen durchsuchbar.
Warum so verbiestert, Frau H. ?
Warum muß ein besserer Mensch sein, der von amazon abspeichern läßt, was er auf dem Kindel markiert hat oder wer seine fruchtbaren Tage in die Welt hinaus posaunt (Verzeihung: „postet“).
Ob neue Technologien niemanden verblöden ist doch sehr fraglich, wenn wir uns die Ausschließlichkeit ansehen, mit der viele Menschen ihnen anhängen.
Wenn Sie einen tragbaren Computer brauchen, der Ihnen sagt, wohin Sie Ihr Weg führen soll oder welche Bücher Sie lesen sollen, bitte schön. Aber auch für solche Wesen wie Sie gilt bisweilen, einfach mal die Klappe halten!
nein, Frau Hoffmann, es tut nicht zur Sache, dass die Frau ein blaues Auge hatte. Und nein, es tut auch nichts zur Sache, dass der Mann „rotgesichtig“ war. Es tut auch nichts zur Sache, dass Sie blond und eher blassgesichtig sind.
Aber es tut etwas zur Sache, dass Sie sich mit Dummheit, Borniertheit und Ewiggestrigkeit auskennen.
Sie sind genervt von anderen und Sie nerven andere. Das aber gewaltig!
Digitalmuffel sterben sowieso weg. Wir müssen nur noch ca. 10 Jahre durchhalten…
Zu meinen treuesten Käufern gehören Rentner (Mann/Frau), die einfach keine Lust mehr haben, Tausend-Seiten-Schmöker in Papierform zu lesen. Wer einmal ein Buch auf dem Kindle gelesen hat, der fasst Papierbücher nur noch wiederwillig an.
Ich liebe es, Tausend-Seiten-Schmöker als Holzbuch in der Hand zu lesen, obwohl ich wahrlich ein Technik-Freak bin. Den von mir erworbenen Kindle habe ich nach einigen Stunden Lese(UN)vergnügens verschenkt.
Wer wirklich in sich ruht und von sich überzeugt ist, der muss andere Menschen nicht abwerten, überheblich sein oder sich als Besserwisser hervortun.
Manchmal ersaufen wir alle in unserem Mainstreamwahn und unserer politischen Korrektheit. Deshalb ist es so wichtig, dass zwischendurch immer mal wieder jemand das Hirn einschaltet und Tacheles redet. Vielen Dank, Kerstin Hoffmann!
Ich denke, es ist völlig wurschtpiepegal, wie und wo gelesen wird. Das einzig Wichtige ist, dass wir es überhaupt tun. Meinen Sohn habe ich in der dritten Klasse die Inhaltsstoffe auf der Limoflasche etc. lesen lassen. Na und? Das schult unheimlich die Affinität zur Fremdsprache und die Wahrnehmung darüber, was so drinsteckt in unserem Essen/Trinken. In diesem Sinne… das WAS zählt und nicht das WIE. Also, einfach mal die Klappe halten und machen! Jeder für sich und alle gemeinsam. Eure Mari März
Bei einem Vortrag, gehalten auf dem rhetorischen und inhaltlichen Niveau dieses Beitrages, hätte ich nach 10 Minuten den Raum verlassen.
Naja, die Technikrentner die einem überall ihren überteuerten Technikschrott unter die Nase halten und mir dann vorschwärmen das sie „…Weil wir zum Beispiel hernach eine ÖPNV-Verbindung erreichen wollen, einen Museumsbesuch planen oder wissen möchten, ob wir beim Spaziergang in einen Regenschauer geraten könnten blablabla“, nerven (zumindest mich) mindestens genauso.
Ich weiß dann nie, was von mir erwartet wird…soll ich Ihnen wie bei meinem Hund den Kopf tätscheln a la “ Ja brav. gaaaaanz toll ,hast ja doch nicht auf den Teppich geschissen.Hier hast ein Leckerli.“
Nix für ungut, aber wenn ich mal kurz spiegeln darf 😉
BITTE (!) Einfach mal die Klappe halten.