Im Mai vergangenen Jahres verwarf das Landgericht auf Vogels Klage hin den Verteilungsplan der VG Wort, allerdings mit anderer Begründung: Das Recht an den Ausschüttungen stehe grundsätzlich demjenigen zu, der die Nutzungsrechte an einem Text zuerst bei der VG Wort per Wahrnehmungsvertrag eingebracht hat. Dieser Argumentation hat sich das OLG angeschlossen.
VG Wort will Revision einlegen
Wie eine Verteilung nach diesem Grundsatz aussehen würde, ist kaum abzusehen. Nach dem Urteil würde es maßgeblich darauf ankommen, was zwischen Autoren und Verlagen individuell vereinbart wird und wer die Rechte an einem bestimmten Text zuerst bei der VG Wort eingebracht hat, erklärt die Verwertungsgesellschaft. Laut Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang bringen in den meisten Fällen die Verlage und nicht die Autoren die Nutzungsrechte bei der VG Wort ein.
Das Urteil habe die gemeinsame Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlagen innerhalb einer Verwertungsgesellschaft grundlegend in Frage gestellt und führe zu „kaum lösbaren Schwierigkeiten“, da der VG Wort die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Autoren und Verlagen nicht bekannt seien, heißt es in der Stellungnahme der Verwertungsgesellschaft weiter. Eine Auszahlung an nur einen Berechtigten sei zudem mit der Satzung der VG Wort nicht zu vereinbaren, die 1958 von Autoren und Verlagen gemeinsam gegründet wurde und auf dem solidarischen Prinzip beruhe.
Die VG Wort will deshalb gegen die Entscheidung des OLG München Revision einlegen. Der Bundesgerichtshof wiederum könnte die Frage zur europarechtlichen Prüfung dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Bis zur endgültigen Entscheidung dürften drei bis vier Jahre vergehen.
Gefragt sind aber auch die Verlage und Autoren: Sie sollten gemeinsam mit dem Verband versuchen, den Gesetzgeber dazu zu bewegen, zu der Verteilungsfrage „ein Schlusswort zu sprechen“, so Sprang.
Es geht nicht darum, ob jemand nebenbei oder hauptberuflich schreibt. Das Urteil des LG München (die Begründung des OLG kenne ich noch nicht) hob darauf ab, dass derjenige, der seinen Wahrnehmungsvertrag vor dem betreffenden Verlagsvertrag geschlossen hatte, alles bekommen solle. Im Umkehrschluss wären dann Rechteübertragungen im Verlagsvertrag an den Verlag vorrangig gegenüber dem Wahrnehmungsvertrag, wenn der Autor diesen erst nachträglich mit der VG Wort geschlossen hat. Während also die Verlage bei Priorität des Wahrnehmungsvertrages immer leer ausgehen würden, käme es im umgekehrten Fall auf den Wortlaut des Verlagsvertrags an. Bei einem Full-Buyout-Vertrag, in dem die Abtretung von Rechten an eine Verwertungsgesellschaft nicht ausdrücklich erwähnt wird, hätte der Autor wohl tatsächlich Pech gehabt: Er schaut in die Röhre, wenn der Verlag sich stur stellt. Bei einem fairen Verlagsvertrag dagegen, der explizit eine solche Rechteeinräumung vorsieht und insofern die Praxis der VG Wort anerkennt, würde sich meiner Einschätzung nach für beide Seiten nichts ändern gegenüber dem Status quo.
Obwohl also theoretisch auch Verlage Rückforderungen zu Lasten der Autoren stellen könnten, trifft die Gefahr wohl in der Praxis nur die Verlage, vor allem die kleineren, für die die Tantiemen nicht nur ein Zubrot sind, sondern ein wichtiger Teil der Kalkulation. Es rentiert sich schlichtweg für die Verlage nicht, in jedem Einzelfall nachzuweisen, dass sie die älteren Rechte haben. Für die VG Wort wäre es auf alle Fälle ein absurder bürokratischer Aufwand. Viele Autoren haben ihre Wahrnehmungsverträge seit Jahrzehnten, aus der vordigitalen Zeit, bei den Verlagsverträgen ist es oft ähnlich. Als gerichtsfest würde wohl nur eine beglaubigte Kopie des Originals durchgehen, und dann müsste noch geprüft werden, ob der ursprüngliche Verlagsvertrag überhaupt noch gilt und nicht durch eine spätere Fassung ersetzt wurde. So hoch dürften die Ansprüche, die ein Verlag bei der VG Wort geltend machen könnte, extrem selten sein, dass sie diesen Personalaufwand betriebswirtschaftlich rechtfertigen würden (bei Vielschreibern vielleicht). Es geht ja nur um drei zurückliegende Kalenderjahre, weil alles davor verjährt ist.
Als Autor, der seinen Wahrnehmungsvertrag oder seine alten VG-Wort-Abrechnungen aufgehoben hat, tut man sich im allgemeinen leichter, Ansprüche zu belegen. Wenn nun der Autor den Verlagsanteil einfordert, muss die VG Wort aber zumindest versuchen, sich das Geld vom Verlag zurückzuholen, um nicht erneut Anlass zu Klagen zu geben. Diese Versuche würden ihrerseits zu weiteren Prozessen führen, da es bislang kein Urteil (schon gar kein rechtskräftiges!) gibt, das eine solche Erstattungspflicht konstatieren würde. Sollten solche Klagen eines Tages (also nach Rechtskraft eines Urteils, wie es das OLG gefällt hat) in großem Stil eingereicht werden, flösse von den Einnahmen der VG Wort wohl mehr in Anwalts-, Gerichts- und Personalkosten als in die Ausschüttung.
Man kann also auch als Autor nur auf den BGH hoffen. Eine VG Wort, die auf diese Weise lahmgelegt würde, nützt weder den Verlagen noch den Autoren.
Holger Ehling: Die VG Wort ist, wie Matthias Ulmer richtig schreibt, nicht nur für die Urheber da. Ohne die Verleger, die ab 1958 mit dem Autorenrechtler Georg Kahn-Ackermann an einem Strang zogen, wäre die Verwertungsgesellschaft gar nicht erst gegründet worden. Ob man ihnen, wie es bei als wissenschaftlich eingestuften Werken Brauch ist, wirklich die Hälfte abgeben muss, darüber kann man natürlich streiten. In der Belletristik und im allgemeinen Journalismus geht es ja auch mit 70:30 zugunsten der Autoren. Mit den „Statuten“ der VG Wort (also ihrer Vereinssatzung) hat das OLG-Urteil übrigens auch nichts zu tun, nur mit dem UrhG in der aktuellen Fassung (§63a).
Fälle, in denen Verlage treuhänderisch für Urheber Rechte ausüben, gibt es ganz offiziell, etwa bei Schulbüchern, aber das gilt nicht allgemein und war auch nicht Gegenstand des Prozesses. Insofern reden vielleicht Sie, Herr Ehling, von „Unterschlagung“, aber sicherlich nicht „wir“. Es liegt auch kein „Fehlverhalten der VG Wort“ vor, wenn sie Verteilungspläne umsetzt, die Jahr für Jahr von der Mitgliederversammlung auch mit den Stimmen der Autoren-Berufsgruppen beschlossen und vom DPMA als Rechtsaufsicht nie beanstandet wurden. Der Fachbuchautor Dr. iur. Martin Vogel, ehedem selbst VG-Wort-Aufseher im DPMA, ist vor Gericht gezogen, weil er – um es freundlich-euphemistisch auszudrücken – für seine radikale, kompromisslos vertretene Position nie eine Mehrheit gefunden hat. Er war der juristisch durchaus brillante Fundi-Einzelkämpfer, der den Realo-Rest der Aktiven unter den Autoren nicht davon überzeugen konnte, dass man mit dem Kopf durch die Wand gehen kann. Es ist ja nicht so, dass wir ihn für seine Konsequenz, die auf die Konsequenzen nicht achtete, nicht auch ein bisschen bewundert hätten. Hand aufs Herz: Wer hätte sich nicht über 100 Prozent gefreut? Vogel verachtet Menschen, die Kompromisse machen. Wer nicht 100 % für ihn ist, den behandelt er, als sei er 100 % gegen ihn.
Die Trittbrettfahrer, die in seinem Gefolge jetzt ähnliche Klagen gegen ihre Verwertungsgesellschaft führen, haben ihn in den Versammlungen der Mitglieder und Wahrnehmungsberechtigten jedenfalls nicht unterstützt. Das wäre auch verwunderlich gewesen, allein schon deshalb, weil allzu viele meiner Autorenkollegen sich jahrzehntelang einen Kehricht um ihre Urheberrechte kümmern (den Scheck nahmen sie immer gern) und erst dann auf die VG aufmerksam werden, wenn mal zusätzliches Geld winkt. Mitbestimmen? Wozu? Dazu haben wir ja unsere Funktionäre, die wir dann hinterher beschimpfen können. (Ja, ich bin so ein Funktionär.)
Letzter Punkt: „Jetzt“ zurückfordern geht nicht. Die Revision zum BGH wurde zugelassen, die Urteilsbegründung steht aus, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Seit dem LG-Urteil wird an beide Seiten, Verleger und Autoren, unter dem Vorbehalt einer späteren Rückforderung ausgeschüttet. Mehr geht nicht. Oder sollte, wenn BGH oder BVerfG eines Tages die Münchner Auslegung des 63a kippen, dann erneut das Geld den Besitzer wechseln? So läuft es im Rechtsstaat nicht. Und es wäre nicht der erste Grundsatzstreit im Urheberrecht, der ganz oben entschieden wird. Manchmal geht es sogar bis auf die europäische Ebene.
Nebenbeischreiber haben genauso einen Anspruch auf Ausschüttung wie hauptberufliche Autoren. Es ist noch nicht einmal ein Wahrnehmungsvertrag nötig, damit ausgeschüttet wird. Es wäre gut, wenn nicht solche Des-Informationen weiterverbreitet werden.
Danke für diese Klärung, Herr Radke. Ich hatte als langjährige Autorin, die alle Werke bei der VG Wort angemeldet hat, schon geglaubt, ich hätte hier seit Jahren etwas grundsätzlich missverstanden!
Auch bei deutschen Autoren kann man weiter dfferenzieren: wenn es um professionelle oder hauptberufliche Autoren geht, dann sind die in der Regel bereits bei der VG Wort registriert und dürften die Ausschüttung erhalten. Bei der großen Masse der nebenbei-Schreiber im Bereich Fachbuch, Wissenschaft und Sachbuch dürfen dagegen die Verlage in den Genuss der Ausschüttung bekommen. Es ist also auch hier wie bei der gesamten Aktion der Professoreninitiative zum Urheberrecht in der „Ära“ Däubler-Gemlin: man wollte die Autoren stärken und hat dabei für eine kleine Zahl gut bezahlter Autoren die Situation weiter verbessert, für die große Masse der Autoren hat man die Situation sogar verschlechtert und insbesondere nur für Rechtsunsicherheit und langatmige Gerichtsverfahren gesorgt. Was für Pfeifen.
Nun ja, die „kleine Zahl gut bezahlter Autoren“, die ihre Rechte selbst bei der VG Wort einbringen, ist so klein nicht – ich gehöre selbst seit 30 Jahren zu dieser nicht so kleinen Gruppe (das mit der Bezahlung ist eine andere Sache…).
Die VG Wort ist nun einmal keine Gesellschaft zur wirtschaftlichen Stärkung von Verwertern, sondern von Urhebern. Das ist für die Verlage schmerzlich, aber seit einigen Jahren in den Statuten deutlich geregelt – sonst hätte Herr Vogel wohl auch nicht zum zweiten Mal obsiegt.
„Gemeinsame EInbringung“ heißt nicht, dass die Erlöse zum Teil den Verlagen zustehen. Falls die Verlage die Rechte von „Nebenbeischreibern“ und übersetzten Autoren einbringen, handeln sie treuhänderisch für diese Urheber – falls sie die Erlöse nicht weiterreichen, reden wir von Unterschlagung. Auch nicht schön.
Das Fehlverhalten der VG Wort, das Herr Vogel beklagt hat, besteht seit Jahren. Sollte die VG Wort die an die Verlage gezahlten Beträge jetzt nicht zurückfordern und an die eigentlich Ausschüttungsberechtigten verteilen, ist die nächste Klage wohl sicher.
Lieber Herr Ehling, Aufgabe der Verwertungsgesellschaften ist die Wahrnehmung der Rechte der Urheber und der Inhaber verwandter Schutzrechte, das sind die Nutzungsrechte. Die Schrankenregelungen, zu deren Ausgleich angemessene Vergütungen über die Verwertungsgesellschaften gesetzlich festgelegt sind, greifen in die Eigentumsrechte der Urheber und der Verlage (als Inhaber verwandter Schutzrechte) ein, faktisch auch erheblich stärker in die Eigentumsrechte der Verlage als der Autoren. Deshalb erfolgt eine Ausschüttung richtigerweise auch an Autoren und Verlage. Was Herr Vogel jetzt durchsetzt widerspricht der Intention des Gesetzes und des Gesetzgebers. Und es ist in seiner Konsequenz vermutlich auch verfassungswidrig. Vogel knüpft an einer Wortlautänderung der Urheberrechtsreform unter Däubler-Gmelin an. Da wurde eine Formulierung ins Gesetz gebracht, die unsinnig ist. Sie wurde in der Folge entsprechend dem Geist des Gesetzes ausgelegt. Und jetzt stellt das Gericht etwas anderes fest. Konsequenz wird sein, dass bei der nächsten Gesetzesänderung die Formulierung korrigiert wird. Andernfalls würde das bestehende System der Verwertungsgesellschaften, das auf einer gemeinsamen Initiative von Urhebern und Verwertern besteht vermutlich keinen Bestand mehr haben.
In der Sache haben wir beiden deutlich unterscheidbare Hüte auf. Das OLG scheint meine Version zu bevorzugen.
Die Verwerter kündigen die Gemeinschaft mit den Urhebern übrigens selbst auf – von den Bemühungen der Presseverlage, eine eigene Verwertungsgesellschaft für die Ansprüche aus dem Leistungsschutzrecht zu gründen, haben Sie ja sicher gehört.
Natürlich haben wir es wieder einmal mit einem schlampig gemachten Stück Gesetzgebung zu tun, das nicht den Betroffenen eine klare Handlungsanweisung gibt, sondern sich darauf verlässt, dass irgendwann die Obergerichte darüber befinden werden, was det Janze eigentlich soll.
Besichtigen ist das eben auch beim Leistungsschutzrecht und natürlich bei der neuen Insolvenzordnung, mit der langfingrige Geschäftsführer sich maulende Gesellschafter vom Hals schaffen können.
Im dritten Buch des „Gulliver“ berichtet Jonathan Swift von einer utopischen Gesellschaft, in der Juristen, die den Text eines Gesetzes zu interpretieren versuchen, sofort hingerichtet werden. Also als Idee …