Das digitale Zeitalter hat selbst ein Traditionsunternehmen wie Ravensburger erfasst: Im Mai hat oberschwäbische Unternehmen ein Start-up zur Veröffentlichung digitaler Produkte gegründet. Die Ravensburger Digital GmbH soll von München aus Online-Angebote, Programme für Spielkonsolen und mobile Anwendungen entwickeln. Geschäftsführer der Ravensburger-Tochter sind Thomas Bleyer und Clemens Maier, die langjährige Erfahrungen in der Medien- und IT-Branche als Manager, Venture Capital-Investoren und Unternehmensgründer mitbringen. Bleyer ist verantwortlich für die operative Geschäftsleitung und für die Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Vertriebspartnern. Maier, der in Personalunion das Innovationsmanagement des Ravensburger Spieleverlags leitet, ist zuständig für die strategische Ausrichtung der neuen Tochtergesellschaft innerhalb der Unternehmensgruppe sowie für gemeinsame Projekte zwischen der Ravensburger Digital und dem Ravensburger Spieleverlag. Im Interview beschreibt Karsten Schmidt, Vorstandssprecher bei der Ravensburger AG, die Herausforderungen im digitalen Zeitalter.
Ihr Unternehmen ist 2008 nur minimal um 0,7% gewachsen; im Vorjahr war das Plus mit 1,5% ebenfalls bescheiden. Ist Ravensburger Digital die Flucht nach vorne?
Keineswegs. Erstens haben wir mit traditionellen Spielwaren in leicht rückläufigen Märkten zugelegt, womit wir zufrieden sind. Zweitens möchten wir nicht nur umsatz-, sondern vor allem ertragsstark sein. Und mit unserer Ertragssituation sind wir zufrieden. Daraus ergibt sich, dass wir Ravensburger Digital nicht gegründet haben, um fehlenden Umsatz im Unternehmen wettzumachen. Vielmehr wollen wir neue Chancen im Markt nutzen: Wir bauen darauf, dass wir sowohl unsere inhaltliche Kompetenz als auch die Kraft des blauen Dreiecks im digitalen Markt kapitalisieren können.
Ihr Konkurrent Oetinger will das digitale Neuland nur mit Partnern betreten – ohne diese seien technisch aufwendige Produkte kaum möglich. Warum starten Sie alleine?
Oetinger ist in der digitalen Welt nicht unser Konkurrent. Ravensburger Digital hat seine Wurzeln im Ravensburger Spieleverlag und verlegt digitale Spiele, nicht Bücher. Ansonsten sehen wir uns als Publisher, der natürlich auch bei Konzeption, Entwicklung und Distribution mit Partnern zusammenarbeitet.
Für das Unternehmen ist Ravensburger Digital ein Déjà-vu: Schon einmal, Anfang der 1980er, hat sich das Unternehmen im elektronischen Bereich stark engagiert, allerdings ohne große Spuren zu hinterlassen. Was haben Sie aus dem damaligen Ausflug gelernt?
Wir haben durchaus Spuren hinterlassen: Beispielsweise ein gutes Programm, das mit Auszeichnungen versehen wurde. Heute hat sich jedoch der elektronische Markt stark verändert: Seit Nintendo DS, Nintendo Wii und den Online-Browser-Games beschäftigen sich immer mehr Familien, Frauen und Mädchen mit diesen digitalen Medien. Unsere angestammte Zielgruppe kommt uns also in diesem Markt entgegen und bietet so Umsatzchancen. Außerdem konzentrieren wir uns heute auf Videokonsolen sowie Online und mobile Plattformen, die weniger von Softwarepiraterie betroffen sind als beispielsweise PC-Spiele. Gelernt ist auch, dass wir ausschließlich Kinder- und Familienunterhaltung anbieten. Titel für Erwachsene übersteigen unsere Entwicklungsbudgets und sind den „Global Playern“ vorbehalten.
Ravensburger erzielt das Gros seiner Erlöse mit Produkten aus Pappe und Papier. Wie wird sich der digitale Anteil am Umsatz in den kommenden fünf Jahren entwickeln?
Wir berichten Ihnen gerne über Ergebnisse, wenn sie vorliegen, weniger über Erwartungen. Allerdings wollen wir gar nicht künstlich zwischen traditionellen und digitalen Angeboten trennen: Ravensburger möchte gute Unterhaltung anbieten, egal auf welchem Medium. Wenn eine gute Idee als Brettspiel funktioniert, kann sie – gut umgesetzt – auch als Video- oder Handyspiel funktionieren. Man sollte aber nicht vergessen, dass der traditionelle Spielwarenmarkt trotz neuer digitaler Medien einigermaßen stabil geblieben ist und nicht von der digitalen Welt verdrängt wurde. Traditionelle Spielwaren werden weiterhin das Gros des Umsatzes ausmachen.
Ihre traditionelle Zielgruppe sind Kinder und Familien. Wie weit sind diese bisher in die digitale Welt vorgedrungen?
Etwa die Hälfte der Nutzer neuer Konsolen wie der Nintendo DS oder der Nintendo Wii entsprechen unserer traditionellen Zielgruppe. Kinder wachsen mit diesen Medien auf. Das ist eine Chance, die wir nutzen wollen.
Im vergangenen Jahr haben Sie mit der Brainjogging-Reihe „Think“ für Nintendo DS sechsstellige Stückzahlen verkauft. Welche Produkte sind besonders affin für den digitalen Weg?
Aus unserer „Think“-Reihe ist der „Logiktrainer“ mit rund 140000 verkauften Exemplaren der erfolgreichste Titel. „Think again“ erzielte hohe fünfstellige Verkaufszahlen. Aber es gibt auch Ravensburger-Klassiker wie das „Verrückte Labyrinth“ oder „Scotland Yard“, die fünfstellige Verkaufszahlen erreichen. Trotz dieser Erfolge, die wir zusammen mit dem Publisher für Kinder- und Jugendsoftware dtp young entertainment aus Hamburg erreicht haben, maßen wir uns nicht an, das Erfolgsgeheimnis auf dem digitalen Sektor zu kennen. Dort müssen wir noch lernen und Erfahrungen sammeln.
Sie betreten ein Spielfeld, auf dem große Mitspieler agieren. Wie behaupten Sie sich gegen die führenden Computerspiele-Anbieter?
Erstens gehen wir nicht in den Bereich der Erwachsenenspiele, da dort das enorme Niveau der Entwicklungskosten, geprägt durch die „Global Player“, für uns nicht darstellbar ist. Zweitens sehen wir im Bereich der Kinder- und Familienspiele unseren „Reason for Being“ im Eingehen auf kulturelle nationale Bedürfnisse. So vorzugehen differenziert uns naturgemäß von den „Global Playern“.
Welche Rolle spielt Ihre Marke in der digitalen Welt?
Eine große. Mit dem Erfolg der Computer- und Videospiele kam eine Flut von Angeboten auf den Markt. Gleichzeitig hat sich die Nutzergruppe erweitert: Familien, Frauen und Mädchen gehören dazu. Diese neuen Nutzer suchen in dem großen Angebot nach Orientierung. Orientierung gibt entweder ein Lizenzthema oder eine Marke wie Ravensburger – eine Marke, die sich seit Jahrzehnten durch ihre Qualitätsprodukte ein großes Vertrauen bei Verbrauchern erworben hat.
Die Fragen stellte Daniel Lenz
Zur Person: Karsten Schmidt
Kam nach Stationen bei Procter & Gamble, Philip Morris und einem Engagement auf dem Private-Equity-Markt 2002 zu Ravensburger. Die Digital-Tochter soll nach Angaben des Vorstandssprechers nicht den fehlenden Umsatz in traditionellen Unternehmenssparten wettmachen, sondern zusätzliche Erlöse erzielen.
aus: buchreport.magazin 9/2009, buchreport.spezial: Kinder- & Jugendbuch
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