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Kundendenke heißt auch: Alte Zöpfe abschneiden

Andrea Ludorf kennt das Geschäft aus Verlags- und Buchhandelssicht. Die Chefin des KulturKaufhauses Dussmann fordert in einem Gastbeitrag bei buchreport einen Paradigmenwechsel in der Branche hin zur Kundenzentrierung. Mit weitreichenden Folgen, auch für Berufsbilder und das Führungsverhalten.

Andrea Ludorf ist seit Februar 2019 Geschäftsführerin von Dussmann das KulturKaufhaus. Nach Stationen bei Droemer Knaur war sie seit 2009 bei Bastei Lübbe als Gesamtvertriebsleiterin für den Vertrieb aller physischen und digitalen Produkte der Verlagsgruppe verantwortlich. Das 1997 eröffnete Berliner Medienkaufhaus Dussmann ist in Größe, Aufmachung und Konzept ein Solitär im Buchhandel: Auf 7500 qm Verkaufsfläche, verteilt über fünf Etagen, werden über 800.000 Kulturmedien verkauft. Aber auch dort spürt man die Herausforderungen durch den allgemeinen Wandel des Einkaufsverhaltens. (Foto: Dussmann Group/Christian Jungeblodt)

Unsere Kund*innen sind hybrid – und sie sind extrem anspruchsvoll. Das wird in den kommenden Jahren nicht anders werden, denn die Generation Z wird schon bald einen erheblichen Einfluss auf das Marktgeschehen nehmen. Das stellt unsere Branche vor große Herausforderungen: Wie wollen wir einer Generation aus globalen Trendsettern erklären, dass zum Beispiel die Individualisierung eines Buchumschlags bei uns – im extremsten Fall – an der Buchpreisbindung scheitert? Wie erklären wir denen, die mit Netflix und Spotify groß geworden sind und sharing economy als selbstverständlich ansehen, warum wir gegen Abo- und Leihmodelle wie Kindle Unlimited oder die Onleihe der Bibliotheken sind?

 

Zielgruppenkenntnis als zentrales Asset

Man braucht nicht viel Fantasie, um zu wissen: Das wird schwierig werden. Deshalb ist es dringend notwendig, sich stärker mit den Kund*innen und deren Bedürfnissen auseinanderzusetzen – auch, aber nicht nur im digitalen Raum. Wer genügend Budget hat, kann dafür Sinus, Limbic oder das Marktforschungsinstitut Rheingold zurate ziehen. Aber auch einfache Kundenbefragungen mit Stift und Papier können hilfreich sein.

Wichtig ist, dass wir uns mit den Bedürfnissen unserer Kunden befassen. Was bewegt sie? Welche Unternehmen begeistern sie? Wie verbringen sie ihre Zeit? – Wenn wir uns diese Fragen ernsthaft beantworten, werden wir merken: Unser Berufsbild verändert sich.

  • Der Vertriebler wird zum Marketing- und Zielgruppenspezialisten.
  • Der Buchhändler wird zum Produkt- und Touchpointmanager.
  • Der Lektor wird zum Trendsetter.

Galt früher ein literaturwissenschaftliches Studium als Basis für eine erfolgreiche Karriere in der Buchbranche, sind heute Kreativität und Zielgruppenkenntnisse (und das Erkennen dieser Fähigkeiten) von höchstem Wert. Das zeigt unter anderem der Erfolg von Community Editions, dem Influencer-Verlag, bei dem erstmals nicht mehr Lektoren, sondern Content-Manager mit Erfahrungen im Künstlermanagement das Programm machen – eine der erfolgreichsten Verlagsneugründungen der vergangenen Jahre. Dussmann das KulturKaufhaus launchte im August mit der KulturManufaktur ein Kreativ-Angebot, bei dem die Wünsche der Kund*innen nach Erlebnissen und Individualität sehr ernst genommen werden (s. Kasten). In diesem Geschäftsmodell gibt es kein professionell erstelltes Trägermedium mehr – kein Buch, keine Platte, kein Einkauf, keine Lizenz. Die gelernte Logik von Produktion und Handel wird auf den Kopf gestellt. Neben neuen Geschäftsmodellen brauchen wir auch neue Services. Dabei steht nur eine Frage im Mittelpunkt: Was hat der Kunde davon?

KulturManufaktur

Die KulturManufaktur von Dussmann ist ein Kreativangebot für Kunden, bestehend aus einer Druckwerkstatt (DruckManufaktur), einem PolaroidLab und einer Schneidemaschine für Schallplatten (VinylManufaktur). In der wohl kleinsten Plattenmanufaktur der Welt können interessierte Profis und Hobbymusiker ihre eigene Schallplatte produzieren. Die Druckwerkstatt führt Workshops durch und veranschaulicht den Druckprozess als wichtige Kulturtechnik und Grundlage für die Buchproduktion. Hier entstehen bibliophile, handgefertigte Editionen, Poster und Papeterie-Produkte.

 

Schlange stehende Fans: Einen Zielgruppenhit landete Community Editions 2018 mit dem Minecraft-Roman „Die Schmahamas-Verschwörung“ des Youtubers Paluten. Das Foto einer Signierstunde belegt eindrücklich die Strahlkraft solcher passgenau konzipierter Bücher. (Foto: buchreport/CO)

(Führungs-)Verhalten ändern

Schaut man sich die wirklich erfolgreichen Unternehmen unserer Zeit in den unterschiedlichen Branchen an, merkt man schnell, dass sie das Kundenbedürfnis in den Mittelpunkt ihres Handelns gestellt haben. Der Mentor Verlag, ausgezeichnet mit dem diesjährigen Sales Award des BuchmarktForums, hat seinen Ursprung in der Berliner Start-up-Szene. Die Gründer Philipp Scharff und Niclas Rohrwacher begannen ihren Weg in den Markt mit Community-Management und Performance-Marketing – und nicht etwa mit dem Einstellen einer zehnköpfigen Außendienst-Mannschaft.

Das lässt ahnen, was uns in den nächsten Jahren erwarten wird: Es wird ungemütlich. Denn die Orientierung an den Bedürfnissen unserer Kund*innen setzt vieles voraus:

  • Fähigkeiten wie Innovations- und Schaffenskraft
  • Freiräume für Kreativität
  • Mut, alte Zöpfe beherzt abzuschneiden
  • Mitarbeiter*innen, die sich trauen die althergebrachten Strukturen in Frage zu stellen
  • Führungskräfte, die solche Mitarbeitenden fördern und aushalten können.

Reinhard K. Sprenger vermittelt in seinem Buch „Radikal Digital“ (DVA, 2018) unter dem Stichwort „Divendämmerung“ einige Ideen, wie das funktionieren kann. Und auch die großen Verlagsgruppen im Unterhaltungsbereich wie Holtzbrinck, Bonnier oder Random House arbeiten beharrlich an ihren Organisations- und Führungsstrukturen.

Das buchreport.magazin 10/2020 liefert einen Ausblick über die Pandemie-Aktualität hinaus: Diversität, Klimaschutz, Neuausrichtung des Handels, Verlagsinnovation, Audio-Perspektiven, Veränderung der Geschäftsmodelle, Urheberrecht … Ein Panorama voller Zukunftsfragen als angemessenes Stück zu 50 Jahren buchreport – abgerundet durch ausgewählte Statements, wie Leser/innen buchreport nutzen und schätzen. Verfügbar hier als E-Paper und hier als gedruckte Ausgabe.

Die Fachverlage, die den Druck aus dem Markt deutlich früher zu spüren bekamen, sind da schon einige Schritte weiter: Eines der prominentesten und am häufigsten angeführten Beispiele ist die Haufe Group, die die digitale Transformation schon sehr früh eingeleitet hat. Deren CEO Birte Hackenjos hat in ihrer Keynote auf der IG Digital 2019 eindrucksvoll dargelegt, welche strukturellen Veränderungen die Digitalisierung des Unternehmens in den vergangenen Jahren mit sich brachte und welche positiven Konsequenzen daraus auch für das Führungsverhalten entstanden (s. auch Kasten „Innovation und Führung“ unten).

 

Nicht länger in alten Kategorien denken

Das ist es, was den Erfolg oder Misserfolg unserer Branche in den nächsten Jahren bestimmen wird: Wenn wir unsere Branche neu erfinden wollen, müssen wir die alten Kategorien hinter uns lassen. Es geht nicht darum, den Markt aufzuteilen in Geschäftsmodelle. Wir sollten unsere Zeit nicht damit verschwenden, die alten Pfründe sichern zu wollen. Digital und physisch sind nicht zwei Kontinente. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, die für unsere Kunden längst zusammengehören. Deshalb müssen wir, wenn wir unsere Branche in die Zukunft führen wollen, zwei wichtige Aufgaben bewältigen: Wir müssen den Paradigmenwechsel schaffen von der Produkt- zur Kundenzentriertheit. Und damit das gelingen kann, müssen wir unser Führungsverhalten ändern und auch mal lieb gewonnene Strukturen und Gewohnheiten aufgeben:

„… to make an end is to make a beginning. The end is where we start from …“ (T.S. Elliot)

Andrea Ludorf  andrea.ludorf@dussmann.de

Mehr zu Innovation und Führung

Buchtipp: Reinhard K. Sprenger, Radikal Digital (DVA, 2018, ISBN: 978-3-421-04809-7)
Reinhard K. Sprenger konzentriert sich auf drei Kernaufgaben für Führungskräfte: Kunde, Kooperation, Kreativität.

Kommentare

1 Kommentar zu "Kundendenke heißt auch: Alte Zöpfe abschneiden"

  1. Dr. Sonja Ulrike Klug | 26. Oktober 2020 um 16:05 | Antworten

    Den Ausführungen von Frau Ludorf kann ich nur zustimmen – als Verlegerin, Autorin und Agentin. Und im Übrigen empfehle ich die „Engpass-Konzentrierte Strategie“ (EKS) von Wolfgang Mewes als Guideline. Sie zeigt schon seit den 70er Jahren, wie man durch radikale Kundenorientierung zum Marktführer wird. Unternehmen, die sie angewandt haben, wurden nicht selten zu Marktführern (z.B. Kärcher, Kieser und andere). Ich frage mich, warum es so lange dauert, bis sie endlich mal in der Verlags- und Buchwelt ankommt.
    Im Moment haben wir die Situation, dass 1) insbesondere große Verlage sich vorwiegend mit sich selbst und ihrem Managementklimbim einschl. Kennzahlen beschäftigen – Leser/Buchkäufer, Agenten und Autoren stören da irgendwie nur. Auf der Buchmesse sind sie zwar als Aushängeschildchen ganz nett, aber ansonsten nicht. Und 2) die mangelnde Anhebung der Buchpreise in den letzten 15 Jahren versetzt die ganze Branche in Engpässe, weil niemand (Verlage, Händler, Autoren) mehr so richtig auskömmlich leben kann. So geht es nicht mehr weiter! Statt „einen auf billig zu machen“ und Bücher zum Schleuderpreis zu verscherbeln, würde Kundenorientierung gut tun: Was wollen die Käufer lesen? Welche Interessen sind da? Was sind die Kunden für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu zahlen bereit? Auf diese Fragen braucht es Antworten, die jeder Verlag, jeder Händler, jedes Kulturkaufhaus für sich finden muss.

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