Die Buchmesse 2010 ist eröffnet und steht – wie schon im Vorjahr – im Zeichen der Digitalisierung. Während sich die einen allen Ernstes fragen, „ob es richtig war, dass die Buchmesse das Thema Digitalisierung aufgreift“, sind für die anderen die Konsequenzen aus Digitalisierung und Internet ausgemacht: Autoren müssen sich nun ein Nebeneinkommen suchen, weil sie keine astronomischen Vorschüsse mehr erhalten und aufgrund des niedrigeren Verkaufspreises überhaupt pro verkauftes Exemplar weniger verdienen. Die Zeiten, in denen Autoren also im Land von Milch und Honig gelebt haben, sind vorbei. Von nun an geht alles bergab und das Kulturgut Buch, das sich für viele ohnehin eher durch seine haptischen und olfaktorischen Qualitäten als durch seinen Inhalt als ein solches zu qualifizieren scheint, ist verloren. Kulturelle Ödnis erwartet uns, in der mangels ausreichenden Einkommens niemand mehr schreiben und mangels Interesses und Konzentrationsfähigkeit niemand mehr lesen wird.
Wirklich? Die Realität sieht grundlegend anders aus.
Dass Künstler von ihrer Kunst leben können und nun Digitalisierung und das böse Internet dafür sorgen, dass dies in Zukunft nicht mehr der Fall ist, ist eine Illusion. Nahezu jeder Versuch mit künstlerischem Schaffen Geld zu verdienen, wird sich als Misserfolg herausstellen. So verdienten schon vor Napster und Internet 97 Prozent aller bei einem Major Label unter Vertrag stehenden Musiker unter $600 – pro Jahr! Und dies sind bereits die glücklichen 1 Prozent, die es geschafft haben, von einem Label gesignt zu werden.
Das Bild sieht bei Autoren nicht anders aus: so verdienten in England 90 Prozent aller unter Vertrag stehenden Autoren jährlich weniger als £4000 – kaum eine Summe, die einem ohne Nebeneinkünfte ein Auskommen sichert.
Fazit: Die überwältigende Mehrheit der künstlerisch Tätigen hatte bereits vor Digitalisierung und Internet kein Auskommen und wird es auch mit dem Internet nicht haben. Dies hat sie jedoch nicht davon abgehalten, ihren Beitrag zur kulturellen Vielfalt zu leisten und wird es auch in Zukunft nicht. Das Auskommen der Künstler als Argument gegen E-Books ins Feld zu führen, entbehrt also im günstigsten Fall jeder Sachkenntnis oder wird von Profiteuren der derzeitigen Strukturen deshalb eingesetzt, da sich mit der (vorgeschobenen) Verteidigung der Interessen des darbenden Künstlers leichter Politik machen lässt als mit der Verteidigung der Millioneneinkünfte der Top-Autoren und der Gewinne der Verlage. Geholfen ist den Autoren damit nicht.
Teil 2 der dreiteiligen Serie befasst sich kommende Woche mit den Konsequenzen von E-Books für Verlage: Preise und Umsatzbeteiligung unter Druck
Ich habe kürzlich in einem Interview mit einem Vertreter des Verlegerverbandes gelesen, dass höhere Honorare für Autoren nicht drin seien – wegen der hohen Konvertierungskosten in die elektronischen Formate.
Habe ich etwas nicht mitbekommen, oder haben Autoren früher gleich Druckvorlagen an die Verlage geliefert? Oder wird hier nur ein Vorwand gesucht, bei gesunkenen Kosten die Gewinne selbst zu behalten?
In Ordnung – ein altes Buch, von dem man nicht mehr als die Papiervorlage hat, erfordert schon eine Menge Arbeit, um es in eine digitale Form zu bringen. Aber ich schätze mal, dass es mindestens alle Bücher der letzten zehn Jahre in der einen oder anderen Form digital vorliegen. Die zu konvertieren ist mit den heute vorhandenen Mitteln kaum ein Aufwand.
Mit solchen Ausreden wird nicht gerade die Basis für eine gemeinsame Zukunft gelegt.
Natürlich sind Autoren ein Politikum, denn sie erschaffen die Inhalte, von denen sich eine ganze Industrie ernährt. Vergessen wir bitte auch nicht die chronisch unterbezahlten Übersetzer mit ihren harten Arbeitsbedingungen.
Die Angst dahinter ist doch eine ganz andere: Wer finanziell ohnehin nichts mehr zu verlieren hat, wird sich bei all den neuen Technikentwicklungen langsam überlegen, ob sie nicht einen direkteren Weg zwischen Autor und Leser ermöglichen, zumal der Autor, als „Unternehmer“ gedacht, sehr viel risikofreudiger und beweglicher sein kann als der Apparat großer Firmen. Risikobereitschaft und Innovationsfreude nicht nur technisch aufgefasst, sondern auch die Bücher selbst betreffend.
Mein Fazit als Autorin: Die Frage „Ebooks oder nicht“ stellt sich für mich schon lange nicht mehr, wohl aber die Frage, wem ich dieses Nebenrecht noch anvertraue.
Konsequent weitergedacht heißt das, dass Summen, die bisher Verlage mit den Schöpfungen der Autoren verdienten, künftig an andere Anbieter fließen könnten.
Gerade weil Autoren i.d.R. finanziell nichts zu verlieren haben, können sie es sich leisten, über die Wertschätzung ihrer Arbeit von außen nachzudenken.