Die ganz große Überraschung war es nicht, als Len Riggio kürzlich bei der Vorlage von Barnes & Nobles Geschäftsbericht 2009/10 das digitale Geschäft als Markt der Zukunft für den amerikanischen Buchhandelskonzern in den Mittelpunkt stellte. Das hat er schon mehrfach getan, doch diesmal hat der Chairman, Mehrheitsgesellschafter und Begründer von Barnes & Noble in der heutigen Form seinen ehrgeizigen Ambitionen erstmals handfeste Zahlen zugeordnet: Immerhin 1 Mrd Dollar Umsatz soll Barnes & Noble.com 2010/11 einspielen, ein Wachstum von satten 75%.
Den Appetit für steiles Wachstum hat das Online-Geschäft mit einem Umsatzplus von 24% auf 573 Mio Dollar angeregt. Besonderen Anlass für Optimismus gibt dem Chairman das vierte Quartal (von Februar bis April), das der Geschäftsbereich mit einem Plus von 51% auf 141 Mio Dollar abgerechnet hat. Für die ersten drei Monate des laufenden Geschäftsjahres rechnet Barnes & Noble.com nicht zuletzt dank „des explosiven Wachstums der digitalen Bücher“ im eigenen eBookstore mitsamt eigenem E-Book-Reader Nook erneut mit einem Zuwachs zwischen 30 und 50%.
Tiefer Griff ins Portmonnaie
Damit nichts schief geht, sind Riggio und CEO William Lynch mit Blick auf „die spannenden digitalen Möglichkeiten, die sich uns auftun“, großzügig wie selten. Bei einem im Internet übertragenen „Investor Day“ ließen sie wissen, dass 140 Mio Dollar in den kommenden Monaten in den Ausbau von Technologien sowie deren Verkauf und Marketing investiert werden sollen. Fast täglich verbreitet die Presseabteilung des Konzerns derzeit Meldungen über immer neue Innovationen, Apps und Angebote für den Nook.
Angesichts des „erheblichen mittel- und langfristigen Wachstumspotenzials des digitalen Marktes“ nimmt das dynamische Duo bei seinem tiefen Griff in die finanziellen Ressourcen des Buchhandelsunternehmens billigend in Kauf, dass sich diese Ausgaben 2010/11 mit ziemlicher Sicherheit negativ auf die Ertragslage auswirken werden. Was wiederum die Finanzmärkte nicht begeistert, die Barnes & Noble ohnehin seit Längerem kritisch auf dem Radar haben. Viele Analysten bezweifeln, dass es der Buchhändler schaffen wird, digital auf Augenhöhe mit Amazon und Apple mitzuhalten.
Der Gewinn lässt zu wünschen übrig
So gut das digitale Geschäft derzeit vom Umsatz her auch laufen mag, messen lassen muss sich Barnes & Noble letztlich an dem, was unter dem Strich übrig bleibt. Doch da reißt ein operativer Gewinn von 73,24 Mio Dollar bei einem Konzernumsatz von 5,81 Mrd Dollar wahrlich keine Bäume aus. Und Verluste in Höhe von 32,1 Mio Dollar im vierten Quartal, die das Unternehmen u.a. mit Investitionen in das E-Book-Business begründet, schon gar nicht.
Prompt stürzte der Aktienkurs nach der Vorlage des Geschäftsberichts um 16% auf den niedrigsten Stand seit 18 Monaten ab und hat sich seither auch nicht nennenswert erholt. Viel hängt deshalb davon ab, wie sich das erste Quartal 2010/11 darstellt, das am 31. Juli zu Ende gegangen ist. Zahlen dazu werden voraussichtlich am 24. August veröffentlicht. Als Richtschnur hat der Vorstand neben dem bereits erwähnten Umsatzsprung im Online-Shop für den stationären Buchhandel Wachstum bis zu 3% in Aussicht gestellt. Für die College-Buchhandlungen wird mit einem Umsatz auf Vorjahresniveau gerechnet.
Nachdrücklich ist der Vorstand beim „Investor Day“ Spekulationen entgegengetreten, dass der Handelsgigant die Filialkette zugunsten des digitalen Geschäfts zurückfahren will. Mitchell Klipper, CEO der Retail Group: „Die Buchhandlungen sind unser größtes Kapital und die beste Werbeplattform für unsere digitalen Produkte.“ Vorbei ist allerdings die Zeit, in denen monatlich Buchhandlungen im Dutzend eröffnet wurden: Bei acht neuen Läden war 2009/10 schon wieder Schluss.
Wie in Deutschland bei Thalia und Weltbild heißt auch für Barnes & Noble das Stichwort Multichannel. Klipper, Lynch und Riggio sind davon überzeugt, dass die enge Verzahnung von Online-Shop, digitalem Geschäft und Ladenkette Barnes & Noble einen Wettbewerbsvorteil beim Konsumenten verschafft, dessen Potenzial noch lange nicht ausgereizt ist. Vor allem für den persönlichen Kontakt sind die Buchhandlungen aus Vorstandssicht (noch) unersetzlich. Jährlich knapp 200000 Veranstaltungen sprechen eine deutliche Sprache für die Bedeutung der Filialen in ihrem lokalen Umfeld.
4,3 Mrd Dollar Umsatz als Hausnummer
Trotz der angespannten wirtschaftlichen Großwetterlage in den USA und des rapide wachsenden digitalen Marktes stellen die aktuell 720 Vollbuchhandlungen, die im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 4,3 Mrd Dollar generiert haben, unverändert eine kapitale Präsenz dar. Einen kleinen Einblick in das Innenleben des weltweit größten Buchhändlers geben diese Zahlen:
- Über 300 Mio Bücher wurden im Vorjahr stationär und Online verkauft.
- Zwar werden Bücher von über 1700 Verlagen und 50 Zwischenbuchhändlern geordert, doch die fünf größten Lieferanten decken ca. 50% des Bestellvolumens ab.
- Mit 5500 Magazinen und knapp 1000 Tageszeitungen im Presseshop ist Barnes & Noble der zweitgrößte Zeitschriftenhändler in den USA.
- Die Bandbreite der Buchhandlungen reicht von 300 qm bis zu knapp 6000 qm, das Sortiment umfasst je nach Ladengröße 20000 bis 200000 verschiedene Titel.
- Die Top-10-Bestseller sind mit nicht mehr als 3 bis 5% am Umsatz beteiligt.
Anja Sieg, redaktion@buchreport.de
www.barnesandnobleinc.com
www.bn.com/ebooks
aus: buchreport.magazin 8/2010
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