Im kommenden Jahr feiert der Bologna-Prozess seinen ersten runden Geburtstag: 1999 beschlossen Bildungspolitiker in der norditalienischen Universitätsstadt, das System der Studienabschlüsse in Europa zu harmonisieren. In Deutschland ist die Umstellung der Studienordnungen auf die international anerkannten Abschlüsse Bachelor und Master noch nicht abgeschlossen, aber so viel steht schon fest: Viele wissenschaftliche Verleger und Buchhändler werden zum zehnjährigen Jubiläum nur zähneknirschend gratulieren.
„Die Umstellung hat einen Trend zum Schmalspur-Studium begründet“, schimpft etwa Manfred Hahn, Geschäftsführer der Fachbuchhandelskette Lehmanns über die Reform. „Jeder Verlag und jede Buchhandlung tut sich schwer damit.“ Bei Lehmanns habe die Umstellung zu einem Umsatzrückgang im hohen einstelligen Prozentbereich geführt. Durch die Verschulung der Studiengänge sei es mittlerweile ein großes Problem, „die Studenten überhaupt noch in die Läden zu bekommen“.
Kaufzurückhaltung hat mehrere Ursachen
Tatsächlich ist der Lehrbuchmarkt in den vergangenen Jahren zum Sorgenkind der Wissenschaftsverlage geworden: Nach Schätzungen aus der Branche ist ihr Umsatz in diesem Segment in den vergangenen drei Jahren um 15 bis 20% zurückgegangen (buchreport berichtete). Auch in der buchreport-Warengruppenstatistik hinterlässt die Schwäche des Lehrbuchs ihre Spuren: So ist der Fachbuch-Umsatz im Jahr 2008 kumuliert um 8,8% zurückgegangen.
Unklar ist allerdings, in welchem Umfang der Rückgang der Umstellung auf die neuen Studienordnungen geschuldet ist. Als wichtige Ursache für den Einbruch gilt auch der seit 2003 geltende §52a UrhG, der Universitäten die genehmigungsfreie Verwendung urheberrechtlich geschützter Dokumente im Intranet gestattet.
Michael Kozinowski von der Fachbuchhandlung Klaus von Mackensen in Wuppertal etwa sieht den Bologna-Prozess nüchtern: „Der Umsatz mit Studenten ist zwar radikal zurückgegangen, aber das hat andere Gründe: Die Studenten tauschen, kopieren und kaufen Gebrauchtbücher.“
Einheitlich ist nicht einmal die Wahrnehmung der Folgen der Krise im Lehrbuchmarkt. „Von den Buchhändlern, mit denen wir zusammenarbeiten, verzeichnen nur ganz wenige einen Rückgang“, berichtet etwa UTB-Geschäftsführer Volker Hühn. „Über 90% haben gleichbleibende oder steigende Umsätze.“
Dozenten werden zunehmend gezielt umworben
Unbestritten ist aber, dass die Bologna-Reformen zu einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeit in den Lehrbuchverlagen geführt hat:
- „Durch die Umstellung müssen wir Buchprojekte jetzt anders planen“, berichtet Hühn. Inhaltlich gehe der Trend zu „großen Themen“, die in immer neuen Aufmachungen präsentiert werden müssten. Exotische Themengebiete verlören dagegen an Bedeutung.
- „Höhere Anforderungen an Didaktik und Layout“, registriert entsprechend Michael Schmid, der Marketing- und Vertriebsleiter der Verlage Schäffer-Poeschel und J.B. Metzler.
- Die Verlage umwerben zunehmend die Dozenten, etwa durch speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnittene Produkte, berichtet Schmid. „Die Dozenten übernehmen oft die Beraterrolle, die früher der Buchhandel hatte“, erklärt auch UTB-Mann Hühn. „Wir haben deshalb unsere Anstrengungen im Dozentenmarketing verdoppelt.“
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