Eine aufschlussreiche Lehrstunde über die Geburt eines Romanes – eine Kernfrage der Buchbranche überhaupt – geben Hanns-Josef Ortheil und Klaus Siblewski mit ihrem bei Luchterhand erschienen Buch „Wie Romane entstehen“. Burkhard Müller zeigt sich in der „Süddeutschen Zeitung“ beeindruckt: „Wie Romane entstehen – wer wüsste es nicht gern? Ist der Roman doch das Flaggschiff unserer Literatur überhaupt. Und doch ahnt jeder, dass er auf diese Frage eher noch weniger eine exakte Antwort erhalten wird als auf die, wie ein Gedicht oder ein Drama entsteht.“
Da dieses absolute Problem jedoch von vornherein feststehe, sei man umso dankbarer für den relativen Aufschluss, den Ortheil und Siblewski gewähren. „Ortheil ist Romanautor, Siblewski Lektor; sie stehen für die beiden Seiten der Produktion, die sichtbar werden wie bei einem Webstück, auf dem man vorn das Muster, hinten aber, wo es praktischer und gröber zugeht, den Verlauf der Fäden erkennt.“
So agiere Ortheil in einer Personalunion aus Autor und literarischem Gelehrten, der persönliche Erfahrungsbericht und der Blick über die Schultern der Kollegen ergänzten einander. Mit einem gewissen Behagen charakterisiere Ortheil dabei das sumpfhaft Amorphe der Romanwelt, „eine gefräßige, monströse Gattung, er ist vergleichbar einem sich ununterbrochen mästenden, verfressenen Tier, das sein Autor und Erzeuger mit immer neuem Material füttern und stopfen muss.“
Für Siblewski biete sich der Autor als eine Art therapeutischer Fall dar. Der Autor sei erfüllt von einer unklaren Erregung, tausend Einfälle schwirrten ihm im Kopf herum; dem Lektor falle die Aufgabe zu, aus dieser Masse den einen herauszukennen, der zur „poetischen Vision“ taugt; und nur im Fall einer reinen Schnapsidee solle er dem Autor diese ausreden, sonst aber stets fördernd präsent sein. Mit Argwohn und Sympathie zugleich, sage Siblewski, solle der Lektor bei der Sache sein. „Der Lektor verwandelt sich in den Gegenpart des Autors und wird zum Anwalt des Romans, so wie der Autor ihn schreiben möchte und müsste.“
Hier greift jedoch Müller kritisch ein: „Ein ehrenwerter Grundsatz – aber doch auch einer, der Unbehagen schafft: Ein übersensibles Lektorat könnte leicht zu einer Fülle von Romanen führen, die die Welt nicht braucht.“
Hanns-Josef Ortheil / Klaus Siblewski: Wie Romane entstehen. Luchterhand Verlag, München 2008. 283 Seiten, 10 Euro.
„Süddeutsche Zeitung“ (Seite 16)
NACHGELESEN – Bücher heute in den Zeitungen
Belletristik
Constance de Salm: „24 Stunden im Leben einer empfindsamen Frau“. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Claudia Steinitz. Hoffmann und Campe 2008, 14,95 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 36)
Sarah Shun-lien Bynum: „Madeleine schläft“. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Henning Ahrens. S. Fischer 2007, 19,90 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 36)
William Blake: Eine Insel im Mond. Deutsch und Englisch. Aus dem Englischen von Gernot Krämer und Jan Weinert. Mit Illustrationen von Horst Hussel. Matthes & Seitz 200, 18,80 Euro.
„Süddeutsche Zeitung“ (Seite 16)
Iain McDowall: Der perfekte Tod. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. dtv 2008, 8,95 Euro.
fr-online.de
Sachbuch
Stephan Hormes, Silke Peust: Atlas der Wahren Namen – Europa/Atlas der Wahren Namen – Welt. Etymologische Karten. Kalimedia 2008, jeweils eine ausfaltbare Karte, 6,00 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 39)
Oskar Bätschmann: „Giovanni Bellini“. Meister der venezianischen Malerei. C. H. Beck 2008, 58,00 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 39)
Ricky Burdett, Deyan Sudjic (Hrsg.): The Endless City. Phaidon 2008, 59,95 Euro
„Süddeutsche Zeitung“ (Seite 16)
Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels (Hg.): Jahrbuch der Europäischen Integration. Nomos-Verlag 2007, 50,00 Euro
und
Julian Nida-Rümelin und Werner Weidenfeld (Hg.): Europäische Identität. Voraussetzungen und Strategien. Nomos-Verlag 2007, 29,00 Euro
nzz.ch
Léfévre / Guibert / Lemercier: Der Fotograf, Band 1: In den Bergen Afghanistans, Edition Moderne, 24,00 Euro
fr-online.de
Johannes Bähr u.a.: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Oldenbourg-Verlag 2008, 64,80 Euro
fr-online.de
Christoph Then: Dolly ist tot. Biotechnologie am Wendepunkt. Rotpunktverlag 2008, 22,00 Euro
fr-online.de
G. Lauer/Th. Unger (Hrsg.): Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert. Wallstein 2008, 59,00 Euro
fr-online.de
Hörbuch
Thomas Meinecke, David Moufang: flugbegleiter. übersetzungen/translations. Hörstücke. BR / Intermedium Records 2008, 19,95 Euro
nzz.ch
Silvia Bovenschen liest: Älter werden, Tacheles / roof music 2007, 22,95 Euro
und
Silvia Bovenschen: Verschwunden. Lesung mit Sophie Rois, Irene Rindje, Günter Barton u. a. Tacheles / roof music 2008, 22,95 Euro
nzz.ch
Ruth Klüger: Weiter leben. Eine Jugend. Buch plus MP3-CD, Wallstein 2008, 14,90 Euro
nzz.ch
Peter Kurzeck: Ein Sommer, der bleibt. Supposé 2007, 34,80 Euro
nzz.ch
VORAUSGESEHEN – Der Fernsehtipp
Heute heißt es ab 22.30 Uhr im ZDF wieder „Lesen!“. Als Gast begrüßt Elke Heidenreich den Musiker und Entertainer Götz Alsmann, zu den Titeln, die sie vorstellt, zählen u.a. Klaus Wagenbachs „Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben“, Joyce Carol Oates’ „Du fehlst“, Margaret Atwoods „Moralische Unordnung“ und Matthias Polityckis „In 180 Tagen um die Welt“.
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