Wie sieht die Branche aus Verlagssicht aus?
Fundamental anders, obwohl Buchhandel und Verlag denselben Gegenstand im Fokus haben: Das Buch und den im Idealfall lesenden Endkunden. Aber während sich ein Verlag intensiv mit dem Einzeltitel im Rahmen seines jeweiligen Programmauftritts beschäftigt, hat der Buchhändler seinen Kunden fest im Blick. Dies führt auf vielen Feldern zu sehr unterschiedlichen Bewertungen und Strategien, und hier liegen die großen Herausforderungen für ein gemeinsames und sinnvolles Handeln von Verlagen und Buchhandlungen in der Zukunft.
Wie sehen Sie den unabhängigen Buchhandel aus der neuen Distanz?
Mein Herz schlägt noch immer für den Buchhändler am Ort, der seine Kunden kennt und ihnen ein maßgeschneidertes Sortiment anbietet. Aber ich sehe manches gelassener als noch vor einiger Zeit, denn ich bin davon überzeugt, dass es den unabhängigen Buchhandel auch auf Dauer weiter geben wird. Auch die Filialisten werden auf diesen befruchtenden Wettbewerb nicht verzichten können. Was das branchenpolitische Engagement des unabhängigen Buchhandels angeht, haben wir es – das sage ich durchaus auch selbstkritisch – oft mit großen Emotionen zu tun. Leidenschaft ist ein unverzichtbarer Treibstoff, sollte aber nicht über der kaufmännischen Vernunft stehen.
Wo regiert die Emotion?
Häufig dort, wo angesichts eines sich dramatisch verändernden Marktes die Orientierung fehlt. Dort vermischen sich dann Wehmut, Leidenschaft und unrealistische Erwartungen, und am Ende läuft vieles auf den Wunsch hinaus, es allen recht machen zu wollen und für alle Kunden da zu sein. Man muss aber auch mal einen Schnitt machen und sagen, ich kann nicht das Gleiche machen wie mein großer Mitbewerber gegenüber, ich muss entweder sehr zielgruppengenau und konzentriert arbeiten…
… oder wie Sie aufgegeben und verkaufen?
Den Einwurf muss ich mir gefallen lassen, komme dann aber wieder zurück auf das Kaufmännische. Mit einer 150-qm-Buchhandlung kann man eine Nischenstrategie fahren, aber auf 500 qm funktioniert das häufig nicht. Wenn man als Platzhirsch mit der Expansion eines Filialisten konfrontiert wird, muss man die Leidenschaft zügeln und verantwortungsvoll handeln. Und das kann auch bedeuten, dass ein geordneter Rückzug besser ist als eine heftige und verlustreiche Schlacht mit sehr unsicherem Ausgang.
Zur Person: Folkert Roggenkamp
1966 in Gütersloh geboren, dem Studium in Berlin und Marburg folgte die Ausbildung zum Sortimentsbuchhändler mit Stationen bei Buchhandelsunternehmen und Verlagen.
1996 übernahm Roggenkamp die Geschäftsführung des seit 1893 in Familienbesitz befindlichen Gütersloher Marktführers Buchhandlung Osthus.
2006 gehörte Roggenkamp zu den Initiatoren der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Buchhandlungen (AUB). Im Frühjahr 2007 verkaufte er Osthus an den nach Gütersloh drängenden NRW-Filialisten Mayersche, der die beiden Osthus-Standorte zugunsten seiner eigenen neuen Großfläche schloss und die Mitarbeiter übernahm. Folkert Roggenkamp wechselte als Key-Accounter in die Verkaufsleitung des Deutschen Taschenbuch-Verlags.
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