Am Freitag trommelte die Stiftung Lesen mit ihrem bundesweiten Vorlesetag erneut für das Lesen und Vorlesen. In diesem Jahr beteiligen sich über 11.000 Vorleser an den Aktionen – mehr als jemals zuvor. Neue Leser kann die Branche auch durch digitale Bücher gewinnen, prophezeit der Vorsitzende der Stiftung, Joerg Pfuhl (Foto), im Interview mit buchreport.
Ist Deutschland ein Lese-Entwicklungsland?
Leider ja. In Deutschland gibt es 7,5 Mio funktionale Analphabeten. Dies dürfen wir als Gesellschaft nicht einfach hinnehmen. Und bekanntermaßen werden die Weichen für Lesefreude und -kompetenz in der Kindheit gestellt. Hier müssen wir ansetzen.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung?
Die Lesefreude gewinnt durch digitale Medien eine zusätzliche Dimension – durch Apps oder angereicherte E-Book-Formate entstehen neue Möglichkeiten, über zusätzliche Funktionalitäten die Freude am Lesen auf spielerische Art und Weise zu wecken.
Dann ist die Digitalisierung also eine Chance?
Eine Riesenchance – ökonomisch und gesellschaftlich. Letztlich kann es uns gelingen, auch die Kinder zum gedruckten Wort zu bringen, die wir bisher nicht erreicht haben.
Auf die Gefahr, dass Leser Spieler werden?
Wichtig ist, dass gerade die Jüngsten Spaß am Lesen gewinnen, da ist es fast egal, auf welchem Weg. Insbesondere die Jungen sind schwierig zu erreichen, weil häufig die positiven Vorbilder in der Familie fehlen. Das Vorlesen ist weiterhin in 80% der Familien Aufgabe der Mutter.
Bisherige Umsatzzahlen sprechen eher gegen ökonomische Perspektiven…
Man muss bedenken, dass es Apps gerade erst seit einem Jahr gibt. Es wird schon deutlich, dass wir über das gedruckte Buch hinaus zusätzliche Formate entwickeln können und damit auch neue Zielgruppen erschließen. Jeder hinzugewonnene Leser ist später auch ein potenzieller Buchkäufer.
Ist Vorlesen ein Garant für eine gelungene Sozialisation?
Sozusagen, dies haben wir bei der Stiftung Lesen in unserer aktuellen Studie nachweisen können: Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, schneiden oft erfolgreicher ab als jene, denen nicht vorgelesen wird. Sie haben Spaß am Sport, gute Noten, kulturelles Interesse und gute soziale Kompetenzen.
Worauf führen Sie das zurück?
Das Buch erlaubt dem Leser, eigene Fantasiewelten im Kopf zu entwickeln. Dass Vorlesen die Kreativität fördert, hat meines Wissens noch nie jemand bestritten. Die Ausstrahlgebiete auch auf andere Gebiete hat aber sogar Experten überrascht.
Wie können mehr Leser gewonnen werden?
Immerhin 40% der Kinder sagen, dass ihnen zu Hause nur gelegentlich oder nie vorgelesen wird. Diesen Kindern die Möglichkeit zu geben, mit Büchern in Kontakt zu kommen, ist eine große gesellschaftliche Herausforderung. Die Stiftung Lesen trägt ihren Teil dazu bei, mit Leseklubs, Lesescouts und Lesepaten. Doch dazu zählt auch das Engagement eines jeden von uns, wie z.B. die Teilnahme am bundesweiten Vorlesetag oder als Lesepate. Und die Entwicklung interessanter Stoffe und deren Umsetzung als Buch oder App.
Die Fragen stellte Lucy Kivelip
Foto: © Daniel Reiter
Joerg Pfuhl
ist seit 2002 CEO der Verlagsgruppe Random House, wo er zum Jahresende ausscheidet (hier mehr), und seit Juni 2011 ehrenamtlicher Vorsitzender der Stiftung Lesen. Am 23. November eröffnet er den Kindermedienkongress in München mit seinem Vortrag „Warum Kinder nicht lesen können und Erwachsene auch nicht“. Veranstalter ist die Akademie des Deutschen Buchhandels.
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