Der Autor Ulrich Peltzer führt durch seinen Roman „Teil der Lösung“. |
Die Definition des neuesten hauptstädtischen Literaturangebots klingt ein wenig sperrig: Landvermesser.TV – ein „GPS-basiertes Literaturprojekt im Netz und auf den Straßen Berlins“. Doch alles weitere erklärt sich mühelos von selbst und erfreulicherweise ohne das internetübliche Denglisch. Landvermesser.TV lädt zum Spaziergang mit bald zehn Schriftstellern, darunter Tanja Langer, Ulrich Peltzer und Gerhard Falkner. Sie führen an Orte, die in ihren Büchern eine Rolle spielen.
Eine Ausschnittskarte zeigt die Stationen an, zu denen die Erläuterungen der Schriftsteller und die Zitate aus ihren Büchern im Video zu sehen, als Mitschnitt zu hören, als PDF mitsamt Kartenausschnitt herunterzuladen oder mit einem Navigationsgerät vor Ort zu hören sind – womit endlich das satellitengestützte System zur Positionsbestimmung GPS ins Spiel kommt. Mehr Wahlmöglichkeiten zwischen realen und Roman- bzw. Gedichtorten, Netz und Wirklichkeit, Auge und Ohr sind nicht denkbar. Recht traditionell sehen im Vergleich damit die Literatouren des gerade mit dem Grimme Online Award ausgezeichneten Literaturport.de aus, den das Literarische Colloquium Berlin und das Brandenburgische Literaturbüro organisiert haben: Sie bestehen nur aus dem Text eines Schriftstellers und künstlerischen Fotografien.
Hinter Landvermesser.TV stecken drei Mittdreißiger. Tatjana Brode, Jens Krisinger und Matthias Ott sind Kommunikationsdesigner, Kulturwissenschaftler oder „Konzepter“ – und so selbstverständlich vertraut mit den Neuen Medien wie unzufrieden mit ihrem Gebrauch. „Bisher werden diese Zukunftstechnologien nur informativ eingesetzt“, sagt Matthias Ott. „Wir wollen die Neuen Medien, die unsere Wahrnehmung der Stadt verändern, adäquat behandeln“, ergänzt Jens Krisinger.
Dem Landvermesser-Trio hat die Berliner Literaturwerkstatt zu Kontakten mit Schriftstellern verholfen. Sie „besetzen“ die realen Orte: Ulrich Peltzer erzählt am Potsdamer Platz von der Videoüberwachung eben dort, wo sein Roman „Teil der Lösung“ beginnt. Tanja Langer geht im Tiergarten auf den Spuren ihrer Erzählerin in „Der Morphinist…“. Gerhard Falkner stellt nicht ohne Ironie mehrere „austauschbare Orte“ vor, die sein Gedicht „Gegensprechstadt – ground zero“ geprägt haben.
Erst im letzten Jahr hatten die drei Initiatoren die Idee, für deren Umsetzung sie 45.000 Euro vom Hauptstadtkulturfond erhielten. Von Juli bis Oktober ist Landvermesser.TV kostenlos zu nutzen, für die Zeit danach wird gerade ein neuer Antrag gestellt. Jede Woche rückt nun ein anderer Autor in den Vordergrund, es gibt Lesungen und in der Stadt stehen fünf schwere Betonkübel mit Monitoren herum, die Matthias Ott selbst gegossen hat. Geht jemand vorbei, startet das Schriftstellervideo – bewegungsmelderbasiert.
Jörg Plath
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