SPIEGEL ONLINE nimmt sich jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller und Sebastian Hammelehle. Diesmal: Seit 47 Wochen steht Robert Seethalers Dorfgeschichte „Ein ganzes Leben“ auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und ist damit ist der Verkaufsschlager des Jahres (aktuell auf Platz 10). Wir beantworten die entscheidende Frage: Soll ich das lesen?
Keller: Irgendwann kommt der Zeitpunkt im Leben eines Buches, an dem aus einem Bestseller ein Longseller werden kann. Robert Seethalers Roman „Ein ganzes Leben“ ist auf dem besten Weg dorthin – im Juli vergangenen Jahres erschienen und immer noch auf der Bestsellerliste. Das bringt uns gleich zum großen Thema des Romans: Beständigkeit.
Hammelehle: „Ein ganzes Leben“ ist tatsächlich so was wie Bauerntheater für Manufactum-Kunden. Erzählt wird die Geschichte von Andreas Egger, einem ungelernten österreichischen Dorfmenschen. Beim strengen Ziehvater aufgewachsen, hart gearbeitet, kurz verheiratet, dann wird das Schlafzimmer von einer Lawine verschüttet. Krieg, Gefangenschaft, das 20. Jahrhundert im Zeitraffer. Ach, das Leben ist karg – aber Egger erträgt sein Schicksal stoisch. Seethaler erzählt seine Geschichte ganz knapp, auf nur 150 Seiten. Die eigentliche Pointe des Romans aber ist, dass er seit 47 Wochen auf der Bestsellerliste steht. Ein Buch, das wie ein Gegenentwurf zur zeitgenössischen Schnelllebigkeit wirkt, wird zum Verkaufsschlager – eine fast bezwingende Logik.
Keller: Ist es auch ein Gegenentwurf zum Möglichkeitenüberschuss in unseren Leben?
Hammelehle: Ja, Seethaler betreibt die bewusste Reduktion aller Möglichkeiten: Eggers hat nur eine Frau, im Krieg sieht er nur einen Feind und so weiter. Das Landleben erscheint da wieder als vormoderne Einfaltspinselei. Ist das wirklich so? Ich behaupte mal: auch Hinterwäldler haben Hintergedanken.
Keller: In einem Porträt über Seethaler konnte man lesen, dass ihn eben das interessiert, was er die Basis des Lebens nennt. Ich zitiere ihn: „Liebe, Arbeit, Frau, Mann, Kind, darum geht es.“
Hammelehle: Falls dieses Buch mehr sein sollte, als bloß eine ganz einfache Geschichte, dann würde ich auch eine etwas sinnlichere, tiefgründigere Darstellung erwarten. Seethalers Hauptfigur Andreas Egger und seine Lebensgeschichte sind doch sehr eindimensional. Egger wirkt so, wie sich der Städter von heute den Dorfbewohner von gestern vorstellt: Ein bisschen arg schlicht. Wahrscheinlich ist „Ein ganzes Leben“ deshalb so erfolgreich. Die Leute kaufen es, weil sie sich davon die literarische Alternative zum Jakobsweg erhoffen: Hauptsache Entschleunigung.
Keller: Und das soll ich lesen?
Hammelehle: Nur, wenn du die Nachrufe in der Dorfzeitung deiner Wahl schon durch hast – wobei: die sind vielschichtiger.
Sebastian Hammelehle ist Kulturredakteur beim SPIEGEL. Er ist einem alten Freund noch immer dankbar, dass der ihm die autobiografischen Romane von Hermann Lenz empfohlen hat, so „Ein Fremdling“, „Seltsamer Abschied“ und – zuletzt bei Suhrkamp erneut veröffentlicht – „Die neue Zeit“ . Auch die erzählen ein ganzes Leben.
Maren Keller ist Redakteurin beim KULTUR SPIEGEL. Sie würde lieber den Kungsleden als den Jakobsweg entlang wandern.
Wie bitte ?Longseller? Wegen 47 Wochen ? Das ist doch ein schlechter Scherz. Die Kunst des klaren Denkens von Rolf Dobelli , war als Hardcover Version über 100 Wochen in der Bestsellerliste.
Was war das denn ? Long Long Longseller?