Hartmut Binder (Foto: privat |
Der Literaturprofessor Hartmut Binder über die Recherchen zu „Kafkas Welt“.
Was hat Sie motiviert, eine Bildbiografie über „Kafkas Welt“ zu publizieren?
Der Plan zu dem Buch entstand 1983, als ich durch einen Zufall darauf aufmerksam wurde, dass es einen Markt für historische Fotos gibt. Die Produktion des Bandes selbst – von der Bildauswahl und der Niederschrift des Textes bis zur letzten Korrektur – dauerte ziemlich genau drei Jahre. Mein Hauptbeweggrund war – und dies ist eine Besonderheit aller Bildbände, die ich bisher veröffentlicht habe – Lebens- äußerungen und Aussagen Kafkas durch möglichst genaue Bildentsprechungen zu veranschaulichen.
Und wodurch erschließt ein Bildband „Kafkas Welt“?
Er sollte anhand von möglichst authentischem Bildmaterial zeigen, was Kafka selbst gesehen, gelesen, geschrieben und erlebt hat.
Können dies auch Fotos von Alltagsgegenständen leisten? Sie zeigen etwa Kafkas Haarbürste…
Ich bilde solche Dinge aus dem gleichen Grund ab, aus dem beispielsweise die Stiftung Weimarer Klassik Haarlocken Schillers zeigt oder das Weinsberger Kernerhaus das schartige Glas ausstellt, aus dem Justinus Kerner seinen Wein trank.
Wie und wo haben Sie die Fotos und Materialien zu Kafka aufgespürt?
Als ich meinen Farbbildband „Mit Kafka in den Süden“ vorbereitete, der letztes Jahr erschienen ist und anhand alter Fotos Kafkas Reisen in die Schweiz und nach Italien Schritt für Schritt dokumentiert, dachte ich, die Schweizer Archive würden mir weitgehend das benötigte Abbildungsmaterial liefern können, stellte aber zu meinen Erstaunen fest, dass man mir dort nur in wenigen Fällen helfen konnte, obwohl das Land keine Kriegsverluste erlitten hat, eine zentrale Dokumentationsstelle für Topographica besitzt und Kafkas Reiseroute üblichen touristischen Vorgaben folgt: Zürich, Luzern, Vierwaldstätter See, Rigi, Gotthardbahn, Lugano. Was diesen Bereich betrifft, so fand ich das meiste in Antiquariaten und im Postkartenhandel, der sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem selbstständigen Segment des Kunsthandels entwickelt hat. Fotos von Personen kommen dagegen teilweise von den Nachkommen, vor allem aber aus Archiven in Prag, das ja auch den Schwerpunkt meiner Darstellung bildet.
War bei Ihrer Recherche detektivisches Gespür nötig?
Allerdings. Aber man muss auch Lust haben, lebensgeschichtliche Details in Kafkas Briefen und Tagebüchern aufklären zu wollen, zu denen die Kommentare selbst wissenschaftlicher Ausgaben beredt schweigen: Wer beispielsweise nicht den Drang hat, Personen identifizieren zu wollen, die in den Lebenszeugnissen des Prager Autors nur mit ihrem Vornamen oder namentlich überhaupt nicht in Erscheinung treten, wird angesichts der Schwierigkeiten, die sich naturgemäß bei solchen Recherchen einzustellen pflegen, bald entmutigt aufgeben.
Welche Rolle spielt die Sammelleidenschaft?
Ich besitze sehr viele Fotos von Prag sowie von den Orten und Monumenten, die Kafka auf Reisen oder während seiner Kuraufenthalte besucht hat. Da sich immer wieder gezeigt hat, dass nicht vorhersehbar ist, in welcher Weise eine geplante Publikation schließlich realisiert wird, hat es sich als zweckmäßig erwiesen, mehr Bildmaterial zu sammeln, als man in dem Moment zu benötigen glaubt, in dem sich die Gelegenheit zum Erwerb einer Abbildung bietet. Von einer Sammelleidenschaft, die ja eine Liebhaberei allein um des Besitzens willen wäre, würde ich nicht sprechen; ich gebe aber zu, dass mich die ästhetische Qualität der Abbildungen, insbesondere von Paris – den beiden Paris-Aufenthalten Kafkas habe ich einen umfangreichen Bildband gewidmet –, so sehr fasziniert, dass ich mich manchmal beim Kauf etwas zügeln musste.
Wie wahrscheinlich ist es, dass auf Dachböden weitere bislang unbekannte biografische Schätze zu Kafka schlummern?
Ziemlich wahrscheinlich, wenngleich schwerlich ein Dachboden der Fundplatz sein dürfte. Es sind in den letzten Jahren mehrfach von Kafka handschriftlich bewidmete Bücher aufgetaucht, von denen man bisher nur teilweise wusste. Auch ist vor wenigen Tagen in Prag ein bisher unbekannter Brief aufgetaucht, den Kafka im Frühsommer 1919 an seine Verlobte Julie Wohryzek gerichtet hat. Es handelt sich dabei zwar nur um ein kurzes Schreiben, doch ist es das bisher einzig bekannte an diese Adressatin. Der Prager Kafka-Forscher Josef Èermák hat über diesen Fund, der auf einer privaten Auktion von einer Prager Institution ersteigert wurde, am 26./27. April dieses Jahres in der in Prag erscheinenden Zeitung „Lidové noviny“ berichtet.
Gab oder gibt es einen Austausch mit Klaus Wagenbach, in Form von Gedanken oder Materialien?
Der „Austausch“ stellte sich wie folgt dar: Ich habe Wagenbach für seine 1983 erschienene erste Auflage seines Bandes „Kafka. Bilder aus seinem Leben“ (wegen der Lückenhaftigkeit der Darstellung und weil die Bilder kaum erläutert werden, würde ich das Buch nicht als Bildbiographie bezeichnen wollen) auf seinen Wunsch hin sieben Fotos zur Verfügung gestellt, außerdem elf Abbildungen und ein Buch für seine Ausstellung „Kafkas Fabriken“, die 2002/03 im Deutschen Literaturarchiv in Marbach/N. gezeigt wurde. Als „Gegenleistung“ unterstellte Wagenbach mir und anderen in der 2006 erschienenen Neufassung seiner Biographie der Jugend Kafkas, die Tendenz, „Kafka in ein von allen Verschmutzungen der Realität bereinigtes Konstrukt zu verwandeln“, obwohl meine gesamten, sehr umfangreichen Veröffentlichungen in den letzten vierzig Jahren nichts anderes bezwecken, als Kafkas Leben und Werk in der Kontext seiner Zeit zu stellen. Als ich vor Jahren Wagenbach um einige Abbildungen für „Kafkas Welt“ bat, war er einverstanden und schickte mir die gewünschten Bildvorlagen, widerrief seine Zusage aber im November 2007, als mein Bildband schon mitten in der Produktion war. Glücklicherweise sorgten hilfsbereite Kollegen dafür, daß ich das Gesuchte anderweitig erhielt. Wagenbach hat es dann für richtig und angemessen gehalten, mich im Februar 2008 um drei Abbildungen für seine jetzt erschienene Neuauflage seines Bildbandes zu bitten und droht mir und dem Rowohlt Verlag in der irrigen Auffassung, ich hätte unberechtigterweise Abbildungen aus seinem Archiv verwendet, mit juristischen Auseinandersetzungen. Ich habe Wagenbach die von ihm gewünschten Fotos überlassen, aber soviel ich auch darüber nachdenke – ich weiß immer noch nicht, warum ich seiner Bitte nachgekommen bin.
Die Fragen stellte Till Spielmann
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