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Manuel Bonik: Kopf aus dem Sand

Manuel Bonik: Kopf aus dem Sand

Pi mal Daumen käme die deutsche Buchverlagsbranche nicht mal auf einen sechsstelligen monatlichen Betrag, um die Piraterie ganz lässig von sich abgleiten zu lassen. Warum tut sie es nicht, statt ihre Zeit, auch die der Autoren, mit Warnschildern und DRM, Urs und gymnastischen Übungen am Sandeimer zu verschwenden?

In letzter Zeit diskutieren wir in unserer Firma zwei neue Handelszweige: Sand zum einen, und auch das Ur scheint gerade stark benötigt. Sand würde man wohl am besten in Eimern anbieten, praktisch für Verlagsmitarbeiter, die sich mit dem Piraterie-Problem beschäftigen sollen. Und so ein Ur – unglaublich, wie viele Leute es zur Zeit heben wollen (zumal es ja längst ausgestorben ist)!

Reden wir erstmal vom Sand: Ist man Verlagsmitarbeiter, keinesfalls noch und nur informell der offizielle Piraterie-Beauftragte, sollte man eigentlich stets einen Sandeimer mit sich führen. Sobald jemand wie ich anruft, schnell wühlen, und unter Absingen juristischer Mantras den Kopf ganz tief in den Eimer stecken; dann vorsichtig, aber rasch mit der Linken und der Rechten zuwühlen, und dann vielleicht nochmal testen lassen, ob man tatsächlich nichts mehr sieht oder hört. So einfach lässt sich das Piraterie-Problem lösen. Da unten im Eimer ist dann endlich Ruhe. Aber obacht: Bei der ganzen Prozedur unbedingt den Mund geschlossen halten. Sonst knirscht es sehr unangenehm im Gebiss.

Zum Ur: Sie wollen also Auerochsen stemmen und das Ur heben? Sie haben vermutlich den zweiten Teil von Cervantes‘ Don Quijote gelesen. Cervantes fand das mit der Piraterie auch nicht so gut und hat sich zum Thema mal tragisch, mal komisch ausgesprochen. Am Ende hat er einfach aus Ärger über einen Plagiator das zweite Buch geschrieben, und das ist bis heute lesenswert. Da muss man den Buch-Piraten des 17. Jahrhunderts fast ein bisschen dankbar sein für das Katalysieren von Weltliteratur.

Nicht ganz die Klasse von Cervantes haben unsere deutschen Gegenwartsautoren. Haben die auch nicht die Zeit dafür, sitzen die dauernd mit ihren juristischen Beratern zusammen, und die erzählen ihnen ständig irgendwelches Zeugs, das darauf hinausläuft: Es muss mehr Jobs für Juristen geben. Denkt an all die arbeitslosen Abmahnanwälte. Prozessieren! Das Urheberrecht stärken!

Volkswirtschaftlich gesamtökonomisch mag das sinnvoll sein. kino.to und library.nu wurden für jeweils sechsstellige Beträge hochgenommen (wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg angesichts der sofort erschienenen weit größeren Nachfolger dieser Seiten), aber endlich hat mal wieder jemand Geld, das er ausgeben kann. Für Bücher?

Witzig auch neulich die „FAZ“. Frank Schirrmacher knüpfte mal so locker an die Aktion der „Wir sind die“-Urheber an und schrieb dann was ganz Böses gegen die Abmahnanwälte. Die Erstbegegnung mit Kultur fiele für viele Teenager zusammen mit schlimmen, teuren Schreiben. Ja, schlimm, aber hat es was mit der Wirklichkeit des Internets und der Justiz zu tun? Bücher werden nur in den seltensten Fällen („Harry Potter“) über Torrents (P2P, z.B. piratebay, die so genannten Tauschbörsen) verbreitet. Da waren die Abmahnanwälte fleißig in den letzten Jahren, und darum sind Torrents im Bereich Bücher völlig aus der Mode geraten. Torrents spielen bei Film und Software noch eine gewisse Rolle, da haben Abmahnanwälte gewisse Hebel, aber das hat mit der Buchbranche nicht das Geringste zu tun. Bücher werden fast ausschließlich über so genannte Direct Downloads (DDLs, z.B. eine äußerst bekannte westsamoische Piraterieseite in Verbindung mit Filehostern wie Rapidshare) gesaugt. Da haben Abmahnanwälte so gut wie nichts damit zu tun, und Herr Schirrmacher war wohl nicht richtig informiert.

Im Zweifelsfall aber besser als Alexander Skipis vom Börsenverein des deutschen Buchhandels:  – Ich bin ja stets freundlich und geduldig mit den Leuten; das Piraterie-Problems ist ja auch erst schlappe vier Jahre präsent in der deutschen Buchbranche, und läuft es so weiter, dürften sich (mal so dahinprophezeit) die Umsätze dieser Branche in ca. zwei Jahren deutlich reduziert haben. Und man könnte – aber ich will niemanden hetzen, sand anyone? – zur Erkenntnis gelangen – aber wirklich immer mit der Ruhe! –, dass womöglich früher oder später ein ganz klein wenig Handlungsbedarf in Sachen Piraterie bestehen könnte. Mit Lenin: Was tun? Mit Skipis: Warnschilder aufstellen!

So man im Sandgeschäft wäre, hätte man immerhin auch eine solide Grundlage zur Aufstellung von Warnschildern anzubieten. Ob dann ein vorbeilaufendes Ur lieber oben oder unten hinpisst: Nun ja, das muss man der Paläo-Verhaltensforschung überlassen. Den Piraten wird es jedenfalls verflixt wurscht sein. Da kann man jetzt das Ur so hoch heben, wie man will (vor Schilda muss natürlich gewarnt werden): Es bestehen äußerst geringe Chancen, dass diese sportlichen Leistungen deutscher Autoren, Verleger, Juristen von Betreibern russischer, venezuelanischer, zur Zeit auch gerne mal chinesischer oder iranischer Piratenserver wahrgenommen werden.

Wer sich als Autor oder Verleger Sorgen um Piraterie macht, sollte sich informieren, was Digital Millenium Copyright Act und Notice-and-Downtake-Verfahren sind. Sehr verkürzt: Man macht sich kundig, wo sein „Content“ liegt, schreibt die Filehoster entsprechend an, die nehmen die Links runter (kann schon mal ein, zwei Tage dauern), und endlich entfällt Piraterie mangels Verfügbarkeit. Das ist insgesamt keine Rocket Science, auch nicht für juristische Laien wie mich, und wer sich schwer tut, beauftragt einfach Firmen wie die unsere. Da muss Frau Roche vielleicht mal ca. ein halbes Prozent ihrer Umsätze in Internetpiraterie-Bekämpfung stecken, aber dann muss sie sich auch nicht mehr am Kopf irgendwelcher Kampagnen blamieren.

Lässt sich bei E-Books an Druck und Vertrieb sparen, haben digitale Produkte unvermeidlich ein paar andere Nebenkosten. Grundsätzlich könnten die deutschen Verlage auch insgesamt so verfahren und hätten das Piraterie-Problem recht schnell im Griff. Warum sagt ihnen Herr Skipis zur Abwechslung nicht mal sowas? Warnschilder? Stärkung des Urheberrechts unter Randbedingungen von Realität? – Der britische Verlegerverband bietet seinen Mitgliedern immerhin eine Seite an, über die sie Notice-and-Downtake-Verfahren beauftragen können, und entsprechende Kurse, um zu verstehen, von was da die Rede ist: Pi mal Daumen käme die deutsche Buchverlagsbranche nicht mal auf einen sechsstelligen monatlichen Betrag, um die Piraterie ganz lässig von sich abgleiten zu lassen. Warum tut sie es nicht, statt ihre (rasch ablaufende) Zeit, auch die der Autoren, mit Warnschildern und DRM, Urs und gymnastischen Übungen am Sandeimer zu verschwenden?

Wer hat eigentlich Grund zu jammern? Rowohlt und Suhrkamp nicht; deren Probleme sind überschaubar; könnten sie in ein paar Tagen beseitigt haben und müssten sie halt dann ein Auge darauf haben; ginge relativ lässig. Hanser? Deutlich eher im Sachbuch- als im Belletristikbereich. Der Heyne-Verlag? Oh, wenn das illegale Angebot meines Back-Katalogs das meines legalen bei weitem übersteigt, seit Jahren, nun ja, mir käme der Gedanke, dass ich den vielleicht selber mal wieder auflegen sollte. Warum schaut sich meine Marketingabteilung nicht täglich die einschlägigen Piratenseiten an, mit den hilfreichen Hinweisen von Millionen Usern? Perry Rhodan – absoluter Spitzentitel in der deutschen Buch-Piraterie! – ja, es bestünde Handlungsbedarf! Stattdessen darauf warten, dass eines Jahres das Ur gehoben und ein paar neue Buchstaben im Urheberrecht stehen? Cui bono? Nun ja, meine Bücher werden ja nicht geklaut.

Will sagen: Für Belletristen gibt es insgesamt wenig Grund zum Aufregen. Das deutlich größere Piraterie-Problem haben Sach- und Fachbuchverlage. Galileo, Thieme, Haufe, Markt & Technik, Franzis, Langenscheidt, die Schulbuchverlage, Wiley als weltweit am stärksten betroffener Verlag … – da gäbe es Handlungsbedarf, aber der Leidensdruck ist offensichtlich noch nicht hoch genug. Bislang entstand hier noch nicht einmal Feuilleton. War da jemand schneller im Sandgeschäft?

Wir sind die Roboter! Wir wühlen im Sand! Wir heben das Ur! – Bitte rufen Sie an, bevor Sie pleite sind!

Manuel Bonik ist Marketing Director bei der auf den Schutz vor Piraterie und Copyright-Verletzungen spezialisierten Unternehmensberatung Lisheennageeha.

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