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Marbach bekommt Suhrkamp-Archive

Der auf dem Sprung nach Berlin stehende Suhrkamp Verlag gibt seine Archive an das Deutsche Literaturarchiv Marbach. Wie der Verlag mitteilt, ist ein entsprechender Vorvertrag unterzeichnet worden.

Die Mitteilung des Verlags im Wortlaut:

Das Deutsche Literaturarchiv Marbach wird die Archive der Verlage Suhrkamp und Insel erwerben. Der heute mit dem Deutschen Literaturarchiv geschlossene und von beiden Seiten unterzeichnete Vorvertrag (letter of intent) sieht vor, dass die Archive der Verlage noch in diesem Jahr in die Obhut Marbachs gegeben werden. Damit soll jede Gefährdung der kostbaren Archivbestände etwa durch mehrfachen Transport oder provisorische Lagerung ausgeschlossen und für ihre optimale Unterbringung und Erhaltung gesorgt werden. Mit der Entscheidung für Marbach verbindet die Verlagsleitung auch die Erwartung einer sachgerechten, zügigen Erschließung, die das wissenschaftlich wertvolle Material unmittelbar nach seiner Übernahme durch das Literaturarchiv der Forschung zur Verfügung stellen und in Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich machen wird.

In ihrer literaturwissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Bedeutung sind die Archive der Verlage Suhrkamp und Insel von höchstem Wert: Das Suhrkamp Archiv stellt einen wesentlichen Bestandteil des geistigen Erbes der Bundesrepublik Deutschland dar, das Insel Archiv reicht gar bis in Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück. Für Marbach ist diese Erwerbung allenfalls mit der Übernahme des wichtigsten Archivs des 19. Jahrhunderts, des Archivs der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung im Jahr 1952 vergleichbar. Der Erwerb der Archive der Verlage Suhrkamp und Insel unterstreicht und befestigt den nationalen und internationalen Rang Marbachs als bedeutendste Sammlung der deutschsprachigen Literatur und Philosophie des 20. Jahrhunderts. Zugleich ergänzen und vervollständigen sie eine Fülle von Teilsammlungen und -beständen, die seit langem der Wiederzusammenführung harrten:
Auch hier wächst zusammen, was zusammengehört.

Zu den wichtigsten Punkten der von der Verlagsleitung und dem Deutschen Literaturarchiv getroffenen Vereinbarungen gehört die Aufstellung und Bestandsführung der Archivalien in Marbach. Um dem Umfang und dem überragenden Forschungswert der Archive von Suhrkamp und Insel Rechnung zu tragen, werden diese in Marbach – genauso wie gegenwärtig das Cotta-Archiv – als eigene Abteilung unter dem Namen Siegfried Unseld Archiv geführt und in ihrer Kohärenz erhalten.

Die Sammlungen des Verlagsarchivs Suhrkamp umfassen Manuskripte und Korrespondenzen u. a. von Theodor W. Adorno, Ingeborg Bachmann, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Rainald Goetz, Durs Grünbein, Jürgen Habermas, Peter Handke, Christoph Hein, Wolfgang Hildesheimer, Niklas Luhmann, Arno Schmidt, Martin Walser und Peter Weiss. Zu den Sammlungen des Verlagsarchivs Insel gehören Briefe an Anton und Katharina Kippenberg sowie die Autorenkorrespondenz, u.a. von Johannes R. Becher, Max Brod, Hans Carossa, Paul Celan, Hermann Hesse, Paul Heyse, Ricarda Huch, Marie Luise Kaschnitz, Harry Graf Kessler, Reinhold Schneider und Dolf Sternberger. Manche dieser Briefwechsel sind nach Umfang und Inhalt ungewöhnlich reich und werden das größte Interesse der Forschung auf sich ziehen, so die Korrespondenzen mit Stefan Zweig (846 Briefe, 242 Karten, 36 Telegramme), Hugo von Hofmannsthal (229 Briefe, 125 Karten,
102 Telegramme) und Rainer Maria Rilke (240 Briefe, 30 Telegramme, zahlreiche Fotos).

Zumal auf Seiten des Suhrkamp Verlags sind die Autorenkorrespondenzen ebenso vollständig überliefert wie die Akten der Geschäftsführung, der Lektorate, der Herstellung, der Abteilung Rechte und Lizenzen, der Presse- und Vertriebsabteilung, der Werbung und Buchhaltung. Sie werden zu höchst aussagekräftigen Quellen für die Literatur- und Ideengeschichte, die Editionsphilologie und die Buchhandels- und Wirtschaftsgeschichte und bergen ein wesentliches Kapitel der Wissenschaftsgeschichte nach 1945. Außerdem dokumentieren die Archive das Leben und Wirken Siegfried Unselds, des wohl bedeutendsten Verlegers deutschsprachiger Nachkriegsliteratur, seine Kindheit in Ulm, seine Buchhandelslehre, die richtungweisende Begegnung mit Hermann Hesse, schließlich seine Zeit als Verleger des Suhrkamp Verlags von 1959 bis zu seinem Tod im Jahr 2002. Selbstverständlich umfassen die Archive der beiden Verlage auch die jeweiligen Buchproduktionen in Erstausgaben, die ebenfalls vollständig im Deutschen Literaturarchiv aufbewahrt werden.

Zu den literarischen Beständen, die mit den Archiven von Suhrkamp und Insel vom Deutschen Literaturarchiv Marbach übernommen werden, gehört auch das Autorenarchiv Uwe Johnson, das die Manuskripte, Briefe und die Bibliothek dieses Giganten der deutschen Nachkriegsmoderne enthält. 1984 waren die Papiere Uwe Johnsons von Siegfried Unseld, dem damaligen Vorsitzenden der Peter Suhrkamp Stiftung, als Depositum an die Universität Frankfurt gegeben worden. Aber bereits in den neunziger Jahren hatte Unseld gegenüber dem damaligen Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach, Ulrich Ott, prophezeit: „Wenn alles getan ist, wird auch das Johnson-Archiv seinen Ort
in Marbach finden.“

Die jetzt von Seiten der Verlage getroffene Entscheidung würdigt insbesondere die Sonderstellung, die Marbach aufgrund seiner einzigartigen Verbindung eines forschungsstarken Archivs mit zwei Literaturmuseen einnimmt. Sie versetzt Marbach in die Lage, so bedeutende und umfangreiche Sammlungen wie die Archive von Suhrkamp und Insel nicht nur rasch zu erschließen und der internationalen Forschung zugänglich zu machen, sondern sie auch in ästhetisch anspruchsvollen Ausstellungen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Insofern können sowohl der Forschungswert der literarischen und geisteswissenschaftlichen Quellen als auch ihr Anschauungswert in Marbach gleichermaßen gut zur Geltung kommen. In der Dauerausstellung und in vielen der wechselnden Ausstellungen des Literaturmuseums der Moderne werden die Verlagsarchive von Suhrkamp und Insel künftig eine herausragende Rolle spielen.

Bestimmend für die Entscheidung der Verlagsleitung war fernerhin die Tatsache, dass Marbach aufgrund seiner Personallage von derzeit knapp 200 Mitarbeitern sowie seiner seit Jahrzehnten im Umgang mit Archivmaterial erworbenen Kenntnisse in der Lage ist, die anstehenden Arbeiten zur Erschließung und Erhaltung des kostbaren Materials unverzüglich anzugehen und nach einem mit
der Verlagsleitung abgestimmten Plan abzuwickeln. Auch die international hohe Reputation Marbachs als Ort geisteswissenschaftlicher Forschung und seine erst kürzlich vom Wissenschaftsrat gelobte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch ein differenziertes Stipendienprogramm sprachen nach Ansicht der Verlagsleitung für Marbach als Bestimmungsort der Archive von Suhrkamp und Insel. In diesem Zusammenhang wurde auch die Ankündigung des Deutschen Literaturarchivs gewürdigt, spezielle Suhrkamp- und Insel-Forschungsstipendien einzurichten.

„Wenn man in Deutschland so etwas sucht wie ein Zuhause für die Literatur, dann findet man es hier in Marbach“, sagte Bundespräsident Horst Köhler zur Eröffnung des Literaturmuseums der Moderne im Jahr 2006. Dieser Erwartung wird Marbach auch dadurch gerecht, dass es sich über die Jahrzehnte hinweg zu der zentralen Sammelstelle für Verlagsarchive in Deutschland entwickelt hat. Hier sind unter anderem die Archive der Verlage Cotta, S. Fischer, Rowohlt, Luchterhand, Piper, März, Diederichs, Claassen und Langen-Müller gesammelt und erschlossen. Bereits 1967 konnte das Marbacher Literaturarchiv einen wichtigen Teil des Insel Verlagsarchivs aus dem Besitz von Anton und Katharina Kippenberg erwerben; neben der Verlagsproduktion von 1899-1943/44 eine umfangreiche Sammlung von Werkmanuskripten und Korrespondenzen. Die Bestände aus der Frühzeit des Suhrkamp Verlags schließen unmittelbar an das in Marbach befindliche Archiv des S. Fischer Verlags an. Die schier endlose Liste der Suhrkamp-Verlagsautoren, deren Vorlässe, Nachlässe und Teilnachlässe sich bereits in Marbach befinden, reicht von Hans Erich Nossack, Siegfried Kracauer, Nelly Sachs, Paul Celan, Peter Szondi und Hans Robert Jauss bis zu Hans Blumenberg, Peter Handke und Reinhart Koselleck.

Der Stadt Frankfurt am Main und ihren kulturellen Einrichtungen ist Marbach in vielfacher Weise freundschaftlich verbunden. Die Aufforderung von Oberbürgermeisterin Petra Roth bei der Architekturöffnung des Literaturmuseums der Moderne – „Wir sollten noch viel mehr miteinander machen!“ – hat Marbach gern aufgenommen und unter anderem durch regelmäßige gemeinsame Veranstaltungen mit dem Frankfurter Literaturhaus realisiert. Der Präsident der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Werner Müller-Esterl, und der Direktor des Deutschen Literaturarchivs,
Ulrich Raulff, sind seit längerem im Gespräch über konkrete Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der Nutzung und der Bestandsführung der Archive. Enge Kooperationen mit der Johann Wolfgang Goethe-Universität im Bereich der Forschung und mit der Deutschen Nationalbibliothek im Bereich der Ausstellungen sind vorgesehen. Die Sammlungen sollen in Frankfurt im Rahmen von Ausstellungen, wissenschaftlichen Veranstaltungen und Tagungen präsent bleiben – repräsentieren sie doch in weiten Teilen auch das kulturelle Gedächtnis der Stadt, mit der der Suhrkamp Verlag traditionell verbunden ist.

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