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Marcus von Jordan: Bio-Medien – über den Weg, der nicht das Ziel sein kann

In den frühen 80er Jahren wurde immer deutlicher, dass es ein „Weiter-so“ in der ökologischen Frage nicht mehr geben konnte. Um die Atomkraftgegner gründeten sich „Die Grünen“ und auch wenn sie als Bewegung viele Jahre brauchten, um aus der säuerlich riechenden Reformhaus-Ecke rauszukommen, so wurden sie doch politisch sofort wirksam. Sie wuchsen nicht schnell, aber beständig und sehr bald wurde in Bonn das Umweltministerium gegründet – eine klare Reaktion auf die neue Partei, der man möglichst gleich den Wind aus den Segeln nehmen wollte. Der grüne Stachel saß im Fleisch der Politik – und blieb.

Ich glaube, dass das normal ist: Gesellschaften kommen an Punkte, wo sich die Politik abseits der Interessen einzelner und ohne wirtschaftliche Beweggründe, bestimmter grundsätzlicher Problematiken annehmen muss. Sie trägt Verantwortung für das Ganze und das Ganze ist eben mehr als die Summe der wirtschaftlichen Einzelinteressen. Und auch wenn es immer noch die sogenannten „Klimarealisten“ gibt und auch wenn ökologische Ziele immer noch im Detail gegen wirtschaftliche Einzelinteressen durchgesetzt werden müssen, so wird doch heute vermutlich niemand mehr grundsätzlich in Abrede stellen, dass es gut ist, dass die Politik sich um unsere ökologische Zukunft bemüht.

Nun haben wir uns in der Frage, wie die Menschen in unserer Gesellschaft informiert werden, an einen ähnlichen Punkt manövriert: Ein „weiter-so“ kann es nicht geben. Und wer vielleicht dachte, dass das ökologische Problem, das denkbar grundsätzlichste wäre, muss heute feststellen, dass es ein weiteres, ebenso grundsätzliches Problem gibt, eine gesellschaftspolitische Metafrage, deren Beantwortung obligatorisch ist, wenn wir als Gesellschaft handlungsfähig bleiben wollen:

Wie stellen wir auf dem permanent mutierenden neuen Medienmarkt die Versorgung mit unabhängiger Information sicher?

Liberale Demokratie ist angewiesen auf mündige Beteiligte. Diese Mündigkeit ist abhängig von Information. Und diese Information braucht stabile, unabhängige, publizistische Strukturen.
Wir brauchen also „Bio-Medien“. Medien, die auch weiterhin auf Relevanz und nicht auf Reichweite optimiert sind. Und wir müssen ein Umfeld schaffen, was für die Produzenten dieser Bio-Medien eine nachhaltige, wirtschaftliche Sicherheit, sowie inhaltliche Unabhängigkeit bietet.

Was macht also die digitale Revolution mit dem Journalismus und der Publizistik? Warum besteht überhaupt Handlungsbedarf?

Die Distribution von Informationen bündelt sich zusehends in Monopolen, um das größte Kind beim Namen zu nennen: facebook. Es wird bei Erscheinen jeder neuen sozialen Plattform totgeredet, verfügt aber 2016 nach einer ARD/ZDF Studie über etwa 26 Millionen Nutzer in Deutschland. Global erreicht facebook täglich eine Milliarde Menschen und ist der größte Anbieter von Nachrichten überhaupt. Aktuell gilt: facebook ist dabei, die Luft zu werden, die der Informationsmarkt atmet. Ob und wie facebook Inhalte fair verteilt, ist dabei völlig offen. Schon eine vorsichtige Manipulation ist bei solchen Nutzerzahlen, bei einem solchen Anteil an medialer Wahrnehmung hochpotent und auch ihm Nachhinein nicht nachweisbar. Erst unlängst wurde bekannt, wie facebook die angeblich algorithmisch generierten „trending topics“ manipuliert. Und facebook hat bereits vor Jahren selber eine Debatte ausgelöst, weil es ein Experiment veröffentlichte, bei dem knapp 700.000 User mit manipulierten Posts emotional gesteuert wurden.

Originäres Publishing direkt bei facebook wird durch den Algorithmus „belohnt“ und der Anbieter bekommt somit mehr Traffic. Auf diesem Wege verlieren die Anbieter der Inhalte endgültig die Kontrolle über die Distribution, werden vollständig abhängig und haben es bis her nicht geschafft belastbare, alternative Erlösmodelle zu entwickeln.

Eine solche Konzentration von Macht würde in anderen Branchen schon in der Entstehung verhindert worden sein. Aber während ich von Herrn Gabriel mit Supermärkten gelangweilt werde, wird facebook hingenommen wie das Wetter.

An dieser Situation ändert auch der Umstand nichts, dass die großen digitalen und dezentralen Netzwerke zunächst eine klare Demokratisierung des Publizierens bedeuten: Jeder kann, wann und was er will nahezu kostenlos publizieren und das mittlerweile auch live und aus jeder Hosentasche. Kein Mensch braucht mehr mühsam um eine UKW-Frequenz zu verhandeln, kein Mensch braucht mehr echtes Kapital um Videoinhalte zu verbreiten. Das ist eine zentrale Errungenschaft des Internets und seiner Netzwerke. Eine Errungenschaft, die das perfekte mediale Allround-Werkzeug ist für die diverse, plurale, liberale und partizipierende Gesellschaft, die wir uns hoffentlich alle wünschen. Eine Errungenschaft, die wir versuchen sollten zu schützen.

Trotzdem gilt: wenige private Unternehmen kontrollieren unseren Nachrichtenkonsum stärker als z.B. Printmedien in Deutschland und sind dabei letztlich unkontrolliert, ob und wie sie diese Macht nutzen oder missbrauchen.

Die Verlagerung des Medienkonsum ins Social Web ist aber auch aus weiteren Gründen kritisch zu betrachten.
Im sozialen Netz bekommen vornehmlich die Inhalte Aufmerksamkeit und Reichweite, die in ihrer Intention sofort verständlich sind und sofort eine Emotion auslösen – kein Raum also für Grautöne, Fragen und Hintergründe. Information ist hier wirklich nur ein beliebiges, kapitales Produkt und muss also immer mehr werden. Diese bedingungslose Hochfrequenz verträgt sich nicht mit eigentlichem Lesen, denn das dauert zu lange und bindet viel zu lange Aufmerksamkeit.

Vielleicht eine dramaturgisch geeignete Stelle um zu erwähnen: Ich könnte selber auf facebook kaum verzichten. Ich habe zwar sehr viele Verbindungen deaktiviert und steuere aus oben genannten Gründen meinen eigentlichen Medienkonsum anders, finde es aber beizeiten herrlich, dass ich in meine eigene Community kommunizieren kann und liebe die abstrusen, zusammenhangslosen, kreativen Samenbomben, die mir täglich ungefragt von geschätzten Menschen über den Zaun geworfen werden.

Aber wer soll auf Dauer noch „guten“ Inhalt anbieten, wenn nur noch der schnelle Klick zählt, alles auf Facebook optimiert und also polarisiert und gehyped werden muss?
Man kann die Augen auch nicht vor der offensichtlichen gesellschaftlichen Konsequenz verschließen: Die so informierte Gesellschaft wird ihrerseits selber immer oberflächlicher, polarer, kompromiss- und demokratieunfähiger werden.

Auch wenn ich mich hier auf facebook kapriziere, man kann den entsprechenden Blick natürlich auch auf den Buchmarkt und Amazon richten. Oder auf Google (hier ein Artikel von „Algorithmwatch“, der sehr aufschlussreich die aktuelle Betrachtung von Google, vermeintlich fairer Suche und politischem Einfluss aufarbeitet). Oder vielleicht schon morgen auf „Udacity“, das genau diesen Supermacht-Status für Ausbildung und Studium anstrebt.

Zurück geht es nicht und wenn es ginge, würde ich es nicht wollen. Die Chancen sind enorm, aber der rein „amerikanische“ Weg, bei dem schon die Formulierung der Risiken als quasi obszön empfunden wird, ist nicht zu verantworten. Die Zeit ist überreif für einen Paradigmenwechsel, für eine Emanzipation unserer gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnisse gegenüber der reinen technischen Möglichkeit. Also: Was brauchen wir und wie kann uns welche Innovation dabei helfen? Und nicht: Was können wir und wie bauen wir das irgendwie in unser Leben und unsere Kultur ein?
Das gilt natürlich weit über den Informationsmarkt hinaus, ist aber nirgends so brisant wie genau dort.

Wir müssen definieren, was uns heilig ist. Wir müssen definieren, was wir brauchen, um unsere diverse, liberale und offene Gesellschaft zu erhalten. Ohne dieses Ziel ist der schönste Weg ein Irrweg. Wir müssen entsprechende politische Forderungen formulieren, ihnen Nachdruck verleihen und den Medienmarkt entsprechend neu organisieren. Postdemokratie ist keine Verheißung, zumindest keine, die schon irgendjemand gefüllt hätte, mit etwas anderem, als innovationshörigen Utopien.

Kunden für Bio-Medien gibt es einstweilen noch reichlich und ebenso Anbieter mit hohen Qualitätsstandards. Die Medienkrise ist hauptsächlich noch eine Vertriebskrise bei uns, was an den scheinbar immer noch ganz gut gefüllten Kriegskassen der alten privaten Marktgrößen liegt und natürlich am öffentlich-rechtlichen Etat.

  • Aber was wird aus diesen Anbietern morgen?
  • Was ist die konkrete Perspektive für das Öffentlich Rechtliche im globalen Netz?
  • Wie schützen wir unsere journalistischen Anbieter vor den Monopolen des digitalen Marktes?
  • Wie gewinnen wir die demokratische Kontrolle zurück?

Wir drücken uns seit Jahren um diese Fragen herum. Aus gutem Grund, denn sie sind fast unerträglich komplex und riechen massiv nach Arbeit. Aber es wird vielleicht etwas erträglicher, wenn man nicht mehr versucht, der ständigen Veränderung zu entsprechen, sondern wenn man das gewünschte Ergebnis definiert und mit klarem Blick darauf argumentiert und handelt.

Zeit ist nicht mehr zu verlieren. Es liegt auf der Hand, dass wir es uns nicht leisten können, wie im Falle des ökologischen Wandels, jahrzehntelang erfolglos an der Nachhaltigkeit herumschrauben.

https://www.piqd.de

Marcus von Jordan ist Geschäftsführer der August Schwingenstein Stiftung sowie Webentrepreneur bei torial und piqd

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