Die aktuelle Stellungsnahme des Börsenvereins ähnelt einer Diskussion auf dem Spielplatz: Bisher wollten die großen Wissenschaftsverlage bei Open Access nicht mitmachen, nun möchten sie am liebsten die Spielregeln ändern. Zehn Jahre nach der Berliner Erklärung gilt der freie Zugang zu aktueller Forschung in weiten Teilen der Wissenschaft als selbstverständlich. Angesichts dieser Verspätung überrascht der plötzliche Führungsanspruch der Verleger: Wissenschaftliche Veröffentlichungen werden bereits jetzt mit verschiedenen Dienstleistern realisiert, nicht mehr exklusiv mit einem einzelnen Partner. Wie lässt sich dieser Wandel gestalten?
Bei Open Access handelt es sich um eine „disruptive Innovation“: Das traditionelle Geschäftsmodell wird zunehmend entbehrlich, die Tragweite dieser Entwicklung noch immer ignoriert. In einer bezeichnenden Umkehrung der realen Geschäftsbeziehungen bezeichnen sich die Verleger in dem neuen Positionspapier als „Förderer“ von Wissenschaftlern. Mehrfach wird betont, Open Access sei „kein Kostensparmodell“, um auf die Bedeutung einer „qualitätssicherndern“ Strategie hinzuweisen. Damit entsteht der Eindruck, die vorhandenen Lösungen seien minderwertig und überteuert. Das Gegenteil ist der Fall: Angesichts der Diskussion um überzogene Nutzungsgebühren und Druckkostenzuschüsse erscheint die Verlagswelt hochgradig abhängig von einer Forschungslandschaft, die bisher nicht nur verlässlich die Inhalte lieferte, sondern auch jeden Preis zahlte, ohne Fragen zu stellen.
Durch die Preispolitik der Verlage und die Möglichkeiten des Internets hat die klassische Verlagspublikation ihren Zauber verloren. Die Verbreitung von Inhalten wird verlässlicher von universitätseigenen Online-Repositorien übernommen, Druck und Vertrieb mit Print-on-Demand-Dienstleistern organisiert. Die Verantwortung für die Inhalte tragen wissenschaftliche Autoren traditionell selbst, für die Sichtbarkeit der Publikation fielen Rezensionen und die Reputation der Herausgeber schon immer stärker ins Gewicht als der schönste Verlagskatalog.
Bei epubli beobachten wir seit Jahren eine äußerst positive Entwicklung von Open-Access-Projekten: Neben Forschern, Bibliotheken und Kunststiftungen nutzen auch wissenschaftliche Einrichtungen wie das Max-Planck-Institut unsere Plattform, um ihre Online-Publikationen als gedrucktes Buch zu veröffentlichen. Während klassische Verlage vierstellige Beträge an „Article Processing Charges” als ,Strafgebühren’ für Creative-Commons-Lizenzen verlangen, erscheinen die Bände der Edition Open Access von Anfang an kostenfrei und ohne Mindestauflage. Auf der Internetseite des Projektes lassen sich die Publikationen nicht nur abrufen und als Print-Buch bestellen, sondern sind darüber hinaus mit zusätzlichen Recherche- und Zitiermöglichkeiten ausgestattet. Mit der Willi-Baumeister-Stiftung engagieren sich mittlerweile auch große Kulturinstitutionen für den offenen Zugang: Das neue Kunstbuch der Stiftung ist kostenfrei im Internet erhältlich, bei Bedarf gibt es eine gedruckte Ausgabe im Print-on-Demand. Sämtliches Bildmaterial ist im Netz rund um die Uhr in hoher Auflösung verfügbar: Dank Open Access wird nicht nur Geld gespart, sondern auch der Nutzen erheblich erweitert.
Vielleicht liegt die Zukunft für Wissenschaftsverlage in einer offenen Zusammenarbeit nach einem Beratermodell, bei der sich jeder Partner auf seine Stärken konzentriert und bei Bedarf weitere Lösungen vermittelt. Serviceangebote wie Korrektorat, Layout und PR lassen sich auch einzeln abrechnen und mit weiteren Angeboten nach Wunsch kombinieren. Dass ein solches Modell funktioniert, beobachten wir bei Self-Publishing-Autoren auf unserer „Buchprofis“-Plattform. Für jede Fragestellung sucht man sich den besten Anbieter. Verleger waren immer schon Dienstleister und Vermittler für die Wissenschaft; seriöse Verlage wachsen mit dem Erfolg ihrer Autoren.
Die Entwicklung von Open-Access-Lösungen geht gegenwärtig nicht von Verlegern aus, sondern von der Nachfrage und Initiative der wissenschaftlichen Community. Das neue Positionspapier greift wichtige Fragen auf, tragfähige Antworten sind allerdings nicht von Gremiensitzungen und Strategiepapieren zu erwarten, sondern von Innovationen, Projekten und gezielten Experimenten. Wie der Kunsthistoriker Hubertus Kohle feststellt, ist die Wissenschaft „in erster Linie an der Verbreitung ihrer Ergebnisse interessiert […], nicht an der Alimentierung eines Wirtschaftszweiges.”
Mit dem digitalen Wandel bietet sich eine einmalige Gelegenheit, das verlorene Vertrauen durch Beratung und Service wieder zurückzugewinnen. Solange Verlage in die Diskussion nichts anderes einbringen als Skepsis und die Sorge um Geschäftsmodelle, bleiben sie die Spielverderber – und bei der weiteren Entwicklung von Open Access außen vor.
Dr. Markus Neuschäfer entwickelt seit 2013 Open-Access-Projekte bei der Print-on-Demand- und Self-Publishing-Plattform www.epubli.de.
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