Über die Zukunft der Buchbranche sollte man sich mehr als nur zehn Gedanken machen. Denn selbst wenn das, was gerade passiert, nicht mit dem Tsunami vergleichbar ist, den die Musikbranche erfasste, steht dem einen oder anderen das Wasser schon bis zum Hals. Andere dagegen surfen munter auf der digitalen Welle und erfreuen sich der neuen Chancen und Möglichkeiten.
Für mein Buch „Books & Bookster. Die Zukunft des Buches und der Buchbranche“ habe ich hauptsächlich mit den Surfern gesprochen – und dem einen oder anderen Bademeister. Ich wollte wissen, was auf Verlage, Buchhandlungen, Autoren und Leser zukommt, welche Folgen dies hat und welche Konsequenzen man auch vielleicht selbst daraus ziehen sollte. Die befragten Experten und Branchenkenner waren sich natürlich nicht in allen Punkten einig, dennoch habe ich im Folgenden versucht, einige Thesen aus den Gesprächen herauszuarbeiten.
Ich beginne dabei mit Amazon, einem Unternehmen, das wie kein Zweites auf der Welle zu surfen versteht und dabei selbst eine solche Bugwelle produziert, das andere dabei mehr als nur nasse Füße bekommen. Und ein Unternehmen, das mir trotz hartnäckigem Nachfragen zu meinem großen Bedauern (aber wenig überraschend) für mein Buch kein Interview gab.
1. Amazon ist ein Segen. Zum Beispiel für Kunden, die englischsprachige, sehr seltene oder vergriffene Bücher suchen. Oder für Selfpublisher, die durch Kindle Direct Publishing (KDP) erst richtig durchstarten konnten. Aber auch manch ein Verlag ist Amazon für sein Online-Angebot dankbar, weil der Verkauf von älteren oder auflagenschwachen Büchern über den stationären Buchhandel in aller Regel nicht besonders gut funktioniert. Und daneben ist Amazon ganz allgemein ein Segen für die Entwicklung des E-Books: „Denn die Angst vor dem großen Gegner aus Amerika ist sehr gut für die Innovationskraft von Tolino und beschleunigt gerade einiges in der deutschen Buchbranche,“ so Matthias Matting, der sogenannte „Selfpublisher-Papst“ aus München.
2. Amazon ist eine Gefahr – trotz der in Punkt 1 genannten positiven Aspekte, die selbst von erklärten Gegnern zähneknirschend eingestanden werden müssen. Während man das Leiden des stationären Handels unter Amazon noch als ganz normale Konsequenz des digitalen Fortschritts abtun könnte, zeigte sich jüngst in den Auseinandersetzungen mit den Verlagen der Kern des Problems: Amazons drohende Übermacht. Erklärtes Ziel von Amazon ist zudem, einziger Intermediär zwischen Leser und Autor zu werden. „Dieses Geschäftsmodell führt – konsequent zu Ende gedacht – zu einem Verlust an Qualität und Vielfalt im Buchmarkt“, warnt Alexander Skipis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Auch Selfpublisher und Kunden müssten damit rechnen, dass Amazon ihnen gegenüber seine Monopolstellung ausnutzen würde, wenn dazu die Möglichkeit bestünde.
3. Im deutschen Buchmarkt gibt es einige interessante Entwicklungen im digitalen Bereich wie Readfy, Flipintu oder Sobooks. Ihr Erfolg hält sich gleichwohl in Grenzen. Warum? „Mit Ausnahme von Amazon haben wir am Markt momentan leider nur Features und keine kompletten Produkte“, meint Volker Oppmann, Verleger von Onkel & Onkel und Initiator von LOG.OS. Während sich zum Beispiel Readfy nur um ein innovatives Bezahlmodell kümmert, konzentrieren sich Flipintu ausschließlich auf das Aufspüren passender Literatur und Sobooks nur auf das Kommentieren und Diskutieren von Büchern. Alles interessante Features, aber eben keine ganzen Produkte. Und schon gar keine Produkte, die mit Amazon mithalten könnten. Ein „Post-Amazon-Konzept“ (Sascha Lobo) ist nirgends auszumachen.
4. Die Unternehmen der deutschen Buchbranche haben alleine gegen Amazon und Co. keine Chance. Sie sind gezwungen, kooperativ vorzugehen, um sich gegenüber übermächtige Hightech-Unternehmen aus Amerika behaupten zu können. „Wir müssten noch viel mehr in Richtung Partnerschaften gehen als bisher“ fordert unter anderem Nina Hugendubel. Die Tolino-Allianz ist ein ermutigender erster Schritt. Hugendubels Einsicht und Appell an Geschäftspartner aber auch an Konkurrenten und Mitbewerber: „Mut und Offenheit, partnerschaftliches Handeln, den Willen, Vorteile für beide Seiten zu schaffen, Denken in Kooperationen und Netzwerken – all das braucht die Branche.“
5. Kooperation kann zwar nur partnerschaftlich, jedoch nicht „basisdemokratisch“ funktionieren – wie die Probleme bei Libreka zeigten. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels sollte deshalb nur als Initiator und Förderer, nicht jedoch als aktiver Player fungieren. Denn: „Das Problem bei solchen Organisationen ist, dass da immer Gleiche mit Gleichen zusammensitzen. Jeder hat eine Stimme. Das ist von der großen Theorie her ja auch ganz toll. Aber sich in einem solch heterogenen Kreise auf einen Weg zu einigen und schnelle Entscheidungen zu treffen, ist nahezu unmöglich,“ sagt Till Weitendorf von Oetinger – ähnlich wie auch Nina Hugendubel, als sie von ihren Erfahrungen mit der Tolino-Allianz berichtet. Ein möglicher Königsweg: Kooperationen mit kleineren Koalitionen starten, deren Teilnehmer willens und in der Lage sind, das gesteckte Ziel mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu erreichen. Und dann den Kreis der Teilnehmer sukzessive und partnerschaftlich ausweiten.
6. Auch das Selfpublishing verändert die Buchbranche. Verlage haben ihr Monopol verloren, sie sind nicht mehr alleiniger Entscheider darüber, was publiziert wird. Damit sind sie aber mitnichten überflüssig geworden. „Verlage und Verleger werden noch wichtiger werden“, meint Buchmessenchef Juergen Boos sogar – denn einen vernünftiger Filter, der Gutes von Schlechtem trenne, brauche man in der Flut der Veröffentlichungen mehr denn je. Auch der gute Name eines Verlages – die Marke – ist unverzichtbar. Und ihre Expertise – vom Lektorat bis hin zum Lizenzverkauf – sowieso. Dennoch werden sich auch Verlage verändern müssen, allein schon deshalb, weil sie nicht mehr alternativlos sind und verschiedene Wege zum Buch führen. Bestenfalls werden Verlage zu echten Partnern der Autoren, die flexibel und auf Augenhöhe auf die Anforderungen und Bedürfnisse reagieren.
7. Doch damit nicht genug des Rollenwechsels. Denn natürlich wandelt sich mit dem Buch auch das Verlagswesen. „Für die Verlage werden (Print-) Bücher als Geschäftsmodell nicht ausreichen, wenn sie nicht schrumpfen wollen,“ sagt Berater Harald Henzler. Und damit verbunden sind nicht nur neue Produkte sondern auch neue Workflows. Denken in Mehrfachverwertungen und mehr Flexibilität und Schnelligkeit sind dabei beispielsweise vonnöten. Sascha Lobo, Internet-Erklärer und Sobooks-Gründer, ist sich sicher: „Die Einstellung auf das Digitale bedeutet auch, Prozesse komplett zu überdenken und neu umzustellen. Und die Verlage, die das nicht begreifen, werden den Wandel nicht überleben.“
8. Der stationäre Buchhandel wird nach dem Darwin’schen Prinzip „Survival of the Fittest“ weiterhin schrumpfen. Denn die „Welt der Bücher“ – der alte Slogan von Hugendubel – ist heute das Internet. „ Man muss den Tatsachen ins Auge blicken, dass wir in einer Welt, in der Menschen online einkaufen und anfangen digital zu lesen, keine x-tausend Buchhandlungen mehr brauchen,“ so Jens Klingelhöfer vom Digitalvertrieb Bookwire. „Es werden wohl nur die Buchhandlungen mit dem besten Konzept und der besten Lage überleben.“ Positiv gewendet heißt das jedoch auch, dass die einzelne Buchhandlung durchaus eine Zukunft haben kann – sofern sie zu den „fittest“ gehört.
9. Ob es dem stationären Buchhandel gelingen kann, am Digitalgeschäft hinreichend partizipieren zu können, ist unter Experten umstritten. Alexander Skipis muss als Verbandsvertreter Optimismus verbreiten, er setzt auf eine Multichannel-Strategie, also der Verknüpfung von Laden- und Onlinegeschäft. Und Nina Hugendubel glaubt, durch die Kooperation mit dem Zwischenbuchhändler Libri jetzt auch kleinere Buchhandlungen erfolgreich in die Tolino-Welt integrieren zu können. Andere, wie Jens Klingelhöfer von Bookwire sind indes skeptisch, dass kleinere Läden mit E-Books und Online-Handel Geld verdienen können: „Außerhalb von großen Ketten kann das nicht funktionieren. Das traut sich niemand zu sagen, aber ich bin davon total überzeugt.“
10. Wie sich der digitale Buchmarkt entwickelt, ist nicht zuletzt abhängig davon, wie sich die Gesellschaft beziehungsweise der einzelne Konsument und Leser zu bestimmten (Fehl-)Entwicklungen der digitalen Welt verhält. Falls es zunehmend Bestrebungen geben würde, den goldenen Käfigen der Großkonzerne zu entfliehen, hätte auch eine Initiative wie LOG.OS eine Chance. Das heißt eine faire und politisch korrekte Alternative zu Amazon und Co., die auf Datensouveränität, Schutz des Kulturguts Buch und dem kooperativen Miteinander aller Branchenteilnehmer setzt, wird sich nur dann durchsetzen können, wenn solche Werte an Relevanz zulegen würden. Und wenn es solchen Alternativen gelänge, in Sachen Komfort, Anwenderfreundlichkeit, Bequemlichkeit und Service zumindest halbwegs konkurrenzfähig zu sein.
Zehn Gedanken. Ihnen hätte es sicher gut getan, weiter ausgeführt zu werden. Und eine Vielzahl weiterer Gedanken aus „Books & Bookster“ hätten noch ergänzt werden können. Doch dafür braucht man eben mehr Platz. Platz, den nur ein Buch bietet, egal ob digital oder gedruckt.
„Books & Bookster. Die Zukunft des Buches und der Buchbranche“ von Martin Schmitz-Kuhl ist gerade im Bramann Verlag erschienen – als E-Book, Social Book (www.sobooks.de) und als gedrucktes Buch, in einer von der Frankfurter Designerin Sandra Doeller gestalteten und auf 1.000 Exemplare limitierten und nummerierten Fassung. Das Buch ist ausgezeichnet im Rahmen der Crowdfunding-Initiative „kulturMut“ und enthält insgesamt zwölf Expertengespräche.
Manches wahr und manches nicht. Aber vor allem: Nichts neu. Namen nicht und Ideen nicht.
Ein mal mehr kann ich nur schreiben und wünschen, dass der Buchhandel aufhört in Feindbildern zu denken. Das ist nicht nur schwaches, sondern auch schlechtes Marketing. Es gibt gute Beispiele wie Osiander, die das abgelegt haben. Doch noch sind es zu wenige. Mehr dazu schrieb ich schon mal im vergangenen Jahr unter https://thomasbrasch.wordpress.com/2014/11/08/umdenken-muss-der-stationare-handel-nicht-der-kunde-von-amazon/
…. denn einen vernünftiger Filter, der Gutes von Schlechtem trenne, brauche
man in der Flut der Veröffentlichungen mehr denn je. Auch der gute Name
eines Verlages – die Marke – ist unverzichtbar. Da habe ich meine Bedenken, ob dies zutrifft. Den Filter könnten Leser und Kunden im Internet ebenso werden, mit Bewertungssystemen sind sie es heute schon und noch ausgeklügeltere Systeme werden wohl folgen. Die Marke eines Verlages ist kaum unverzichtbar. Inhalt, Cover und bestenfalls noch der Autor zählen, die Marke ist für den Leser zweitrangig.
Martin Schmitz-Kuhl bringt es in diesen 10 Fragen, die ja dann auch in seinem gerade publizierten Buch weitergeführt werden auf den Punkt: Der Buchhandel hat in naher Zukunft noch mehr gegen Amazon zu kämpfen und Frau Nina Hugenbubel führt es genauer aus: ,Notwendig im Buchhandel untereinander ist die Kooperation, denn alleine wird es nicht gelingen den Stellenwert des Buches unter den anderen Medien zu festigen. Nur in gemeinsamen Aktionen ist da also etwas auszurichten.
Wichtiger erscheint mir aber, dass die Preisbindung für Bücher erhalten bleibt.
Möge das Buch von Herrn Martin Schmitz-Kuhl ,,Books & Bookster` viele Leser finden, die sich aber auch kritisch mit der Thematik Buch u. a. auseinandersetzen wollen.
H. Kraft