Liebe Kollegen Sortimenter, geht es Euch allen wirklich so gut, dass Ihr nur über die hohe Umtauschquote bei den Ebook-Readern schimpft? Dass Ihr gegen Amazon hetzen müsst, der nun wirklich kein Buchhändler, aber dafür ein perfekter Logistiker ist? Ist es nicht Zeit, dass wir ans Eingemachte gehen? Ans Geld, an die Sicherheit und Absicherung unserer eigenen Existenz?
Ich bin Buchhändler von Beruf. Und dann bin ich als Buchhändler Unternehmer geworden. Soweit, so üblich. Dass die eine andere Arbeit sein würde, war mir bewusst. Ich war mir im Klaren, da investierst Du Geld, aber auch Zeit. Du hast als Unternehmer keine 35-Stunden-Woche, sechs Wochen Jahresurlaub sowieso nicht. Dein Unternehmerstatus wird dir keinen großen Wohlstand bringen, weder heute noch morgen. Und bis übermorgen plane ich erst in fünf Jahren. Vorher ist mir das egal.
Ich hatte mir Gedanken gemacht. Bin ich kompetent in Einkauf? Marketing? Personal? Da habe ich Rat eingeholt an vielen Stellen, da war ich nie allein. Der Verband war vielfach hilfreich, Verlage haben sich großzügig und aufgeschlossen gezeigt, Kollegen im Buchhandel mich von ihrem Wissen profitieren lassen. Marketing ist auch nicht so schwer, denn Lokalzeitungen mögen Kultur, und auf dem Dorf ist das bereits die halbe Miete. Personalführung kann man lernen, wobei das für immer mein zweitunliebstes Thema bleiben wird. Ich finde nämlich, ein Arbeitgeber tauscht Tätigkeit gegen Entgelt. Er ist kein Sozialarbeiter, kein Therapeut, auch kein Familienmitglied seiner Angestellten und vor allem nicht Ausputzer der Jobcenter für alle Studienabbrecher und Alleinerziehenden, die immer schon ganz gern gelesen haben.
Buchhandel als Dschungel?
Jetzt mein eigentliches Thema. Die Geldlieferanten. Banken. Der erste Gründungsberater erläuterte jovial: „Jaja, Buchhändler. Buchhändler bewerten wir etwa so wie Kneipe. Knapp über Schrott.“ Ich habe dem zweiten sofort gesagt: „Ich bin mehr als Schrott. Ich kann was.“ Das war die erste Lektion. In den freundlichen und vielfach verknüpften Buchhändler- und Verlagskreisen muss man sich nicht groß erklären. Ich mag dich, es sei denn, Du beweist mir das Gegenteil. Außerhalb dieser geschützten Zone ist das leider anders. Draußen ist da, wo die Bank wohnt. Lektion zwei: Wo die Bank wohnt, ist es einsam. Da sitzt Du, und Dein Gegenüber findet dich grundsätzlich fragwürdig. Zwielichtig. Undurchschaubar. Ich weiß zwar bis heute nicht, wo für Banken die Dunkelzone des An- und Verkaufs von preisgebundener, also wertstabiler und meistenteils unverderblicher Ware liegt, aber es muss sie geben. Für die Bank ist Buchhandel ein Dschungel, in dem Du mit deinen Büchern wohnst.
Mitunter schicken sie dir einen zur Life-Safari in Dein Dschungelcamp. Er nennt sich Berater. Davon gibt es solche und solche. Die Berater aus der Buchbranche erkennst Du an ihrer Liebenswürdigkeit. Sie sind freundlich und hilfsbereit, sie sind auch Optimisten, sie freuen sich mit dir. Allein – Du brauchst sie meistens nicht. Wenn Du Dein Handwerk beherrschst, dann weißt Du, wie Du räumen musst. Dann kannst Du dekorieren, eine Veranstaltung planen und durchführen, Du hast zuerst das Internet im Allgemeinen betreten und später Facebook aufgeschlagen. Bei Nachholbedarf da oder dort gibt es Seminare vom Verband, vielleicht spendiert sogar das Barsortiment einen Coach. Das spielt sich alles innerhalb der Komfortzone ab.
„Bitte, haben Sie Verständnis“
Bitter denkst Du an all die Wärme, an die guten Worte, an Deinen schönen Plan, wenn plötzlich fünftausend Euro fehlen. Oder zehn, zehntausend. Dann triffst Du den Berater von der zweiten Sorte, und manchmal weiß ich nicht, wer schlimmer ist: Bank? Oder Bankberater? Jedenfalls hast Du sie schnell und ungefragt an Deiner Seite. Drei Wochen schlechtes Wetter, Baustelle vor der Tür, vielleicht ist auch ein Fehler unterlaufen, ein ungeschicktes Marketing, Personal kann krank werden, und sechs Wochen Lohnfortzahlung nimmst Du sicher nicht aus der Portokasse. Pech, wenn Du ein Unternehmer bist. Du gehst zu Deiner Bank und im günstigeren Fall sagt der Firmenkundenbetreuer nur nein. Im schlechteren Fall lacht er dir ins Gesicht. „Jungunternehmer? Nachfinanzieren? Nach neun Monaten? Sie sind wohl wahnsinnig. Ha, ha, ha. Wir können Ihnen natürlich einen Berater empfehlen. Er kostet 400 Euro netto am Tag, plus Reisekosten. Die werden Sie ja wohl noch haben. Und dann gehen wir das mal ganz in Ruhe an.“
Oh, ganz in Ruhe. Da sind dann Feiertage, Brückenwochenenden und Urlaube zwischen, da kann so allerlei geschehen. Gern auch eine interne Umstrukturierung, von all den Besprechungen ganz abgesehen. Du planst und machst und möchtest eigentlich nur schnell Dein Projekt durchziehen, aber Du musst beraten werden, beraten und belehrt. So ganz in Ruhe, und zwar, wenn es der Bank gerade auskommt. Das kann dauern. Knietief im Dispo hast Du leider vieles, aber Ruhe nicht. Mein Lieblingssatz in solchen Situationen: „Bitte, haben Sie Verständnis.“ Das ist der Satz, bei dem ich Ausschlag kriege, hohen Blutdruck, Atemnot.
Rückblick auf ein schauerliches Jahr
Um konkret zu werden: Ich habe vor anderthalb Jahren eine Buchhandlung eröffnet, die gut geht. Ich mag meine Kunden, und sie lieben mich zurück. Wir haben solide Kaufkraft, der nächste Filialist ist weit weg. Außerdem wohnen hier etliche, die im Internet nicht heimisch werden möchten. Viele der oft benannten Strukturprobleme des inhabergeführten Buchhandels sind mir fremd. Das ist ein Teil Glück, aber auch harte Arbeit. Dennoch liegt ein Jahr vom schauerlichsten hinter mir. Ich habe Banken, Bankberater, Rechtsanwälte, Inkassofirmen, Gerichtsvollzieher kennen gelernt. Ich kenne sie alle, und zur Genüge. Hätte ich nicht die Komfortzone innerhalb der Branche, ich hätte meinen Laden längst wieder zugesperrt.
Gewiss nicht, weil ich schnell aufgebe. Nach der ersten Hausbank kommt die zweite, und wenn’s sein muss auch die dritte. Wenn ich allein nicht einen Kredit wert bin, dann nehm ich jemanden dazu; auch das ist machbar. Aber ich kann es an manchem Tag nicht mehr aushalten, ewig mein Wort zu brechen. Das Wort gilt, gerade in der Komfortzone, aber ich stehe mit einem Bein auch außerhalb. Ich stehe auch da, wo die Bank wohnt. Und die Bank kennt keine Freunde, da zählt kein Wort. Da zählt nur das SCHUFA-Rating.
Kein Wohlwollen auf der Geldseite
Ich weiß, wie ich in diese Situation geraten bin. Baustelle: nein. Personal: bei guter Gesundheit. Ausfall durch verkehrten Wareneinsatz oder schlechtes Marketing: niedriger dreistelliger Bereich. Nein, ich war permanent illiquid, weil ich einmal an einer Stelle unachtsam war. Es lief von Anfang an sehr gut, und ich musste schnell neu finanzieren. In der Eitelkeit eines verblüffenden ersten Geschäftswinters habe ich etwas durcheinander gebracht: Was bei den freundlichen Buchhändlern gilt, das Wohlwollen, ist auf der Geldseite nicht vorhanden. Es existiert nicht, nie. Das war mein Fehler. Ich frage mich nur manchmal – Mach ich alleine solche Fehler?
Wenn ich durch die Foren schaue, wenn ich das „Börsenblatt“ lese, wenn ich an Regionaltreffen teilnehme, dann wird viel geklagt. Dann werden Mängel und Desiderate aufgezeigt, da wird auch viel gefordert, von dem ich denke – Na, eigentlich ist es mein Job, mein Job als Buchhändler. Aber dass noch einer außer mir sagen würde: Zweitausendelf stand mir das Wasser bis zum Hals, und leider konnte mir keiner helfen, weil mein Problem ein auswärtiges war; buchhändlerisch betrachtet? Den such ich, diesen Mitstreiter. Liebe Kollegen Sortimenter, geht es Euch allen wirklich so gut, dass Ihr nur über die hohe Umtauschquote bei den Ebook-Readern schimpft? Dass Ihr gegen Amazon hetzen müsst, der nun wirklich kein Buchhändler, aber dafür ein perfekter Logistiker ist? Ist es nicht Zeit, dass wir ans Eingemachte gehen? Ans Geld, an die Sicherheit und Absicherung unserer eigenen Existenz?
Mit den Geldlieferanten teile ich nicht mehr
Wir haben einen mächtigen Verband mit vielen kundigen Leuten, die sich für unsere Interessen stark machen. Aber wir müssen wissen, was wir wollen. In Anmut und Armut vom Ebook träumen? Oder wollen wir Unternehmer sein, Geld verdienen, die Früchte unserer Arbeit genießen? Ich teile gern. Ich teile mit den Kollegen meine Erfahrungen, ich teile natürlich mit den Buchlieferanten meine Umsätze. Aber mit den Geldlieferanten teile ich dieses Jahr nicht mehr. Dieses Jahr wird meins, und nicht das von dieser oder jener Bank.
Martina Bergmann ist Inhaberin bei Bücherland Westfalen in Borgholzhausen.
Aber gern! Können Sie nicht eine Reportage schreiben und ein paar von uns besuchen? Ich bin nämlich beileibe kein Einzelfall.
Interessanter Artikel!
Schön, auch von Ihnen hier im Blog zu lesen, Frau Bergmann!
In diesem Zusammenhang interessante Debatte(n) auf Perlentaucher und Google+ nach meinem Essay „Gutenberg und die Brandstifter“ (http://www.perlentaucher.de/artikel/7286.html). Hoffentlich hören viele den Aufschrei von Frau Bergmann. Danke!