Amazon hat das Online-Geschäft perfektioniert. Jeder Buchhändler, der meint, er könne das kopieren: Ein Träumer. Anders als einige Interessensgruppen bin ich nie davon ausgegangen, man könne bei der MVB den Online-Shop bestellen, der besser sei als Amazon. Für meine Firma ist das E-Book-Angebot der MVB in Ordnung – und ist mit Blick auf die Zwischenbuchhändler politisch wichtig.
Buchhandlungen sind derzeit wirtschaftlich auskömmlich, wenn sie eine gute Kostenstruktur haben. Die Kernkompetenzen des Buchhändlers, nämlich Wissen über die Inhalte, Wendigkeit im Bibliographieren und Kombinieren, aber auch Meinungsfreude und Umgangsformen: Sie sichern einen soliden Grundumsatz. Zunehmend profitieren solche Buchhändler vom Verschwinden anderer Marktteilnehmer, aber auch von Einschränkungen im Serviceangebot der Filialisten. Zwischen Umsatz und Ertrag stehen Kosten. Es ist hier nicht der Ort, über Lohnnebenkosten zu klagen. Dieses Problem kann kein Börsenverein, können keine Genossenschaft und kein technischer Dienstleister lösen. Es ist, ein gesellschaftliches Ärgernis, ein Jobkiller und Innovationshemmnis.
Raumkosten sind auch so ein Thema. Ich kann mich über steigende Gewerbemieten aufregen, aber ich kann aber mit Buchhandelskompetenz nichts dagegen tun. Energiekosten hingegen, Licht und Wärme: Da sehe ich die erste genuin buchhändlerische Kostenfalle. Ich weiß, dass Warenwirtschaft und Scannerkasse Fetische des hypermodernen Einzelhandels sind. Aber sie sind Stromfresser. Ich bin da geizig, und ich geize derzeit auch noch anderswo. Neben dem Komfort verspricht Technik neuerdings auch Umsatz. Online-Umsatz. Man muss dafür verschiedene Fixkosten bedenken: Domain-Hosting, Miete für den White-Label-Shop, und bei Google ganz vorn aufzutauchen, ist auch nicht umsonst. Ich habe für meine Firma überschlagen, welche virtuellen Raumkosten anfallen würden, nähme ich wirklich alles in Anspruch, was dem Buchhändler derzeit angeboten wird: Ich komme auf etwa den Betrag meiner Nettokaltmiete.
Ob diese ganze Technik das zusätzlich erwirtschaften kann, was ich an virtueller Miete ausgeben soll? Welchen Teil der Online-Umsätze hätte ich nur aus dem Bargeschäft nach anderswo verschoben? Wo würde der Zusatzertrag entstehen? Ich kann das alles nur vermuten, denn ich habe beschlossen, mich digital zu beschränken. Der wesentliche Vorteil des Online-Geschäfts mit physisch greifbaren Artikeln scheint mir die Abfolge von Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Logistik zu sein. Amazon hat das perfektioniert, und jeder Buchhändler, der meint, er könne hier kopieren und sogar noch dieses Duplizieren outsourcen, am besten für ganz kleines Geld: Ein Träumer.
Ich bin deswegen nie davon ausgegangen, man könne bei der MVB den Online-Shop bestellen, der besser sei als Amazon. Es gibt aber Interessengruppen, die wollten das, und nun regen sie sich auf, weil es nicht geklappt hat. Noch dazu tun sie ihren Ärger in einer Weise kund, die die Grenzen der Höflichkeit weit hinter sich lässt. Was soll das? Liebe Sprecher des AKS, die digitale Pubertät liegt hinter uns. Und liebe Kollegen Sortimenter: Ich finde nicht in Ordnung, dass Ihr mit ungenauen und realitätsfernen Forderungen Ressourcen eines Dienstleisters blockiert, der Geschäftsgrundlagen schaffen muss, die uns gemeinsam zukunftsfähig machen.
In dieser Situation fand ich die Einladung zu einem Workshop mit den Mitarbeitern der MVB ein gutes Angebot. Ich fand nicht so gut, dass dazu ein Moderator bestellt worden war, den ich aus Zusammenhängen der Barsortimente kenne. Ich fand auch nicht besonders gut, dass bunt durcheinander Buchhändler saßen, die zum Teil seit Jahrzehnten Geschäfte führen und andere, die allzu frisch dabei sind. Man kann nicht dem Erstklässler vorwerfen, dass er den Abiturienten nicht versteht. Aber man muss sich fragen, ob allzu viel Basisdemokratie strategischer Planung hilfreich ist.
Jetzt, was ich gut fand. Ich war zum einen beruhigt, dass es einen Grundkonsens über digitale Bücher gibt. Und zwar sehen etliche Kollegen mit Unbehagen das scheinbar willkürliche E-Book-Geschäft des Zwischenbuchhandels. Da sind auf der einen Seite Außendienstler unterwegs, die sich beim Buchhändler die Lesegeräte erklären lassen, und andererseits ändern die oberen Etagen ihre Distributionspolitik oft schneller als der Kalendermonat wechselt. Und so albern ich vor einem Jahr noch Wahnvorstellungen vom Kundenklau fand: Inzwischen ist mir das passiert. Ich möchte deswegen meinen Kunden E-Books nicht mehr über Vertriebswege zugänglich machen, wo sie auch physische Produkte auf Rechnung meines Digitalgroßhändlers bestellen können. Da kann was schief gehen, und da geht was schief. Deswegen finde ich das E-Book-Angebot der MVB politisch wichtig. Zu meiner Betriebsform passt es auch wirtschaftlich.
Ich habe nun keine große Nachfrage nach E-Books und Lesegeräten; eher Neugier und Aufgeschlossenheit der Endverbraucher. Den Bedürfnissen dieser digitalen Erstleser werden sowohl der Trekstor in den verschiedenen Ausführungen also auch mit der Liro-Shop gerecht. Für meine Firma ist das Angebot in Ordnung. Es ist solide, und es ist transparent. Ich habe aber erbeten, dass die Vertriebsarbeit den Handelspartnern künftig mehr entsprechen möge. Ich brauche einen Telefonsupport zumindest auch am Samstag, und ich wünsche in den wesentlichen Fragen von Geld und Gesetz konstante und konstant kompetente Ansprechpartner. Ich möchte keine Volontäre, keine Assistenten und keine Road-Shows. Vor allem möchte ich all das nicht mehr in der dritten Adventswoche – wie letztes Jahr. Das sind realisierbare Forderungen. Das Gespräch ging auch noch über unsere Anforderungen an Bibliographien, an die Leistungsfähigkeit der Datenbanken, auch um den Mobile Commerce.
Immer wieder schien aber ein Thema auf, das genuin untechnisch ist. Was ist das Selbstverständnis des Buchhändlers? Und wie kann man es grundsätzlich neu beschreiben, so dass es uns im 21. Jahrhundert und in der virtuellen Welt als Buchhändler von anderen Anbietern positiv unterscheidet? Wir brauchen eine Definition für alle zusammen, die jeder einzelne Kollege so akzentuieren kann, wie es in seine Region passt, wie es seiner Kundenstruktur und Betriebsorganisation entspricht. Nur so sind wir gemeinsam zukunftsfähig.
Das Dreifach-B: Bücher beim Buchhändler schien in Zeiten der Geschenkartikel außer Mode gekommen zu sein. Unser Produkt ist aber als Druckware, zum Hören und nun auch digital ein Evergreen. Insofern wünsche ich mir von der MVB zuallererst nichts Technisches, sondern eine Diskussion über Inhalte, ihre Datenträger und deren Händler. Bücher beim Buchhändler – das sollte auch digital selbstverständlich werden. Dazu hätte ich gern eine frische, frohe, von Pädagogik und Häme weit entfernte Marketingkampagne.
Martina Bergmann ist Inhaberin von Bücherland Westfalen in Borgholzhausen.
Und ich schaffe meine Uhr ab, dann habe ich mehr Zeit.