Wir Provinzbuchhändler brauchen inhaltliche Gestaltungsfreiheit, ein logistisch optimiertes Barsortiment. Und wir brauchen unser VlB.
Ich habe Anfang des Jahres hier einen Blogbeitrag veröffentlicht, in dem ich um Hilfe gebeten habe. Diese Hilfe wurde mir vielfach und großzügig zuteil, und sie kam mancherorts unerwartet. Es zeigte sich, dass gerade diejenigen unbürokratisch helfen, denen man in der so genannten Branche gern Häme angedeihen lässt. Das sind meine Freunde, die anderen Provinzbuchhändler. Ich weiß nicht, was ich ohne sie wäre. Ich will es auch nicht wissen.
Ich weiß aber, dass diese Freunde gerade in Bedrängnis kommen. Es geht um E-Books und deren Vertriebskanäle, ein auch und gerade für die Provinzbuchhändler wichtiges Thema. Sie können sich dazu aber schlecht selbst äußern. Zum einen sind sie an ihren Standort gebunden und jeder Tag außerhalb des Geschäfts kostet bares Geld. Und selbst wenn sie nach Frankfurt führen: Hülfe es? Ich denke, nein. Denn sie haben keine Lobby. Vielmehr ist ihre vermeintliche Lobby der ärgste Feind derzeit.
Es ist ein Gemeinplatz, dass zwischen den Sparten Unterschiede bestehen. In den Verlagen gibt es mehr Akademiker als im Einzelhandel, da werden auch andere Gehälter bezahlt. Sie haben Justiziare, ganze Rechtsabteilungen – ich würde meinen, die Verlage sind ihre eigenen, guten Lobbyisten. Es ist nun seit ein paar Jahre Mode, Buchhändlern weiszumachen, dass sie das auch haben können. Sie sollen eine Struktur bilden, sie sollen gemeinsam stark sein, und keiner wird ihnen mehr einen Schaden zufügen. So schön, so einfach, so verlogen unwahr.
Ich habe an das Ammenmärchen nie geglaubt, dass solche Organisationen aus christlicher Nächstenliebe handeln. Warum sollten sie auch? Es sind übrigens einige dabei, die ich gut finde. Wenn hier der Außendienstler eines Dienstleisters auftaucht, dann frage ich, welches ist Ihr Eigeninteresse? Warum tun Sie das für mich, und welchen Preis zahle ich? Wenn einer sagt, liebe Frau Bergmann, Sie wollen leben, wir wollen leben: Dann bin ich beruhigt. Dann schließe ich mich dort an. Das sind nämlich ehrliche Antworten.
Ich habe diese für mich sinnvollen Strukturen bei einem Barsortiment gefunden, von dem man schlecht spricht, weil es kaufmännisch plausible Angebote unterbreitet. Ich habe sie aber auch bei einem Zentralregulierer hier in der Nähe gefunden, dem aggressive Marktbesetzung vorgeworfen wird. Sie soll darin bestehen, dass zu einer Hausmesse unverbindlich eingeladen wird. Man kann dort auch Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater buchen. Dazu erhält man ein Angebot, das man annehmen oder ausschlagen kann. Ich weiß nicht, was daran ehrenrührig ist. Ich weiß aber, dass diese Transparenz an anderem Ort schlecht gelitten ist. Warum nur? Bei beiden Geschäftspartnern habe ich allerdings wenig Sorge, dass sie nicht ihre Schlachten schlagen. Ich will nur sagen: Ich mag KNV.
Ein anderer Geschäftspartner kann aber meine Fürsprache derzeit gebrauchen. Ich finde gemein und fürchterlich die Schlammschlacht der vermeintlichen Buchhandelslobbyisten gegen ihren eigenen Verband. Nochmal zum Mitschreiben: Da sitzen Leute in den Gremien, die erheben sich qua Ehrenamt zu Richtern über die MVB und ihre Online-Shops, aber auch über Libreka, deren eigener Konkurrent sie hauptberuflich sind. Wehren müssten sich die Provinzbuchhändler, die kleinen, meinungsstarken, inhaltlich beschlagenen Voll- und Spezialsortimente. Aber sie sitzen drin wie die Hasen in der Grube, und das ist perfide.
Wir alle brauchen ein Barsortiment. Wir brauchen eine Übernachtbelieferung nach Apothekenart, um zu gewährleisten, was der Riese aus Amerika nie können wird: Hyperlokalen Einzelhandel. Wir brauchen ein Barsortiment, auf das wir uns verlassen können. Damit steht und fällt es, und deshalb sind wir Wachs in den Händen der Oligarchen. Mit welchem wir es halten, dafür gibt es Argumente für und wider, da haben verschiedene Buchhändler unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen. Es ist unternehmerische Freiheit, sich entsprechend zu entscheiden.
Aber wie frei sind die Kollegen, die einer Interessenvertretung angeschlossen sind? Die zu einer Genossenschaft mit festen Loyalitäten gehören? Die ihr Geld so gekauft haben, dass sie andernorts keine Ware bekommen? Die sich darauf verlassen haben, dass ihr Barsortiment nun E-Books liefert als eine neue Warengruppe und nicht plötzlich zum Mitbewerber im Endkundengeschäft wird? Die, nicht zuletzt, zu wenig ihr Geschäft verlassen können, um sich über digitale Geschäftsmodelle auch nur halbwegs umfassend zu informieren? Für all diese Leute, für die Provinzbuchhändler meiner Prägung, gibt es an sich eine sehr vernünftige Regelung. Es gibt den Sortimenterausschuss, und es gibt die MVB.
Der eine ist mehr juristisch zuständig, und der andere soll Strukturen schaffen, die wir allein nicht hinbekommen. Ich habe mir das immer vorgestellt wie bei Max Weber: als Idealtyp. Wir überlegen, wie es sein könnte, und daran orientieren wir die Realität. Aber so wenig der Idealtyp ein Maßstab für die inhaltliche oder gar moralische Bewertung historischer Fakten ist, so wenig konnte man von Lösungen aus der Infrastruktur eines Berufsverbandes erwarten, dass sie die Vorlage des Hegemons übertreffen. Aus Mitgliedsbeiträgen kleiner Buchhändler einen besseren Online-Shop bauen zu wollen als Amazon – was für ein Quatsch. Jetzt regen sich alle auf, und am meisten die, die das der MVB ursprünglich aufgetragen haben. Buchhändler sind darunter, aber auch Barsortimentsleute.
Es sei die Frage erlaubt, ob ebook.de so viel kann wie Amazon; egal, ob unter eigener Marke oder als White-Label-Shop für Genossenschaften und Einzelkunden. Und es sei auch erlaubt zu fragen, was mit denen passiert, die sich zu bohren trauen. Warum sind es so wenige? Das hat doch Gründe, liebe Provinzbuchhändler. Wir sitzen deshalb mit der MVB in einem Boot. Wir brauchen einen Dienstleister, der (relativ) frei von Eigeninteresse für uns Strukturen schaffen kann. Und dabei kommen wir nicht umhin, darüber nachzudenken, was wir brauchen und was nicht. Jede Übertragung von Kompetenz macht unfrei, und so verführerisch es scheinen mag, unbequeme strategische Überlegungen abzugeben: Es ist gefährlich.
Wir brauchen erstens inhaltliche Gestaltungsfreiheit, zweitens ein logistisch optimiertes Barsortiment und drittens unser VlB. Und dann würde uns ein bisschen mehr Selbstbewusstsein ganz gut zu Gesicht stehen. Bekennen wir uns zu dem, was wir können: Bücher beim Buchhändler. Wer sonst als die MVB soll uns dazu ein Marketing schaffen? Und schließlich, um auf meine Frage an jeden Dienstleister zurückzukommen: Das Eigeninteresse der MVB sind wir selbst, wir Buchhändler. Das ist das Pfund, mit dem wir wuchern können. Mehr konstruktive Kritik, liebe Kollegen, und nicht immer diese Sandkastenpolemik. Heiße Luft führt nicht zu Umsatz, sondern zu Verdruss beim Endverbraucher. Den interessiert unser Branchenklüngel übrigens herzlich wenig.
Martina Bergmann ist Inhaberin der Buchhandlung Frau Bergmann in Borgholzhausen.
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