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Martina Bergmann: Und ob ich das kann!

Martina Bergmann: Und ob ich das kann!

„Ich kann das.“ Ich antworte auf den Konjunktiv immer im Indikativ. „Ich könnte das nicht. Ich könnte nicht sechs Tage die Woche in einem Laden sitzen. In Borgholzhausen.“ Dieser dreifache Konjunktiv – es möge Menschen zugemutet werden, an einem festgelegten Ort zu verbindlichen Zeiten zuverlässig vorfindbar zu sein: Ich habe ihn eine Weile als Herablassung verstanden und schnippisch reagiert: „Zwingt Sie ja keiner“. Inzwischen sage ich mit einigem Stolz: „Ich kann das.“

Diese Könnerschaft ist keine intellektuelle Leistung, sie erfordert kein Diplom und – dies die andere Unterstellung – keine post- oder paramaterielle Lebenshaltung. In einem Einzelhandelsgeschäft sechs Wochentage anwesend zu sein, ist Arbeit. Und Arbeit muss bezahlt sein, weil sie sonst ein Hobby, eine Religion oder einfach Unfug wäre. Diese Einsicht scheint an den Ausläufern des Buchwesens verloren gegangen zu sein. Ich überlege seit einiger Zeit, ob das wirklich eine Frage von Geld ist? Oder von Zeit und Mut?

Die Beschleunigung des Buchhandels durch sich etablierende Filialisten habe ich zur Kenntnis genommen; ich fand sie erklärbar. Die Digitalisierung des Einzelhandels bedurfte auch nicht meiner Zustimmung – sie war weniger erwartbar, aber umso atemberaubender. Es gab nur immer den leisen Zweifel, ob all diese Eile, all das Höherschnellerweiter, ob das im Verhältnis zu meiner Ware stand.

Ein Buch zu lesen, einen nicht überlangen Roman von mittlerem Anspruchsniveau, sagen wir: 200 Seiten, die sich einem begrenzten Personenkreis widmen, ein Buch, wo einiges geschieht, das aber auch beschrieben werden muss: Dieses Buch zu lesen, braucht etwa vier Stunden. Es gibt natürlich Menschen, die jeden Tag vier Stunden lesen, die also jeden Tag einen mittellangen Roman verbrauchen. Sie sind aber nicht in der Mehrheit, und sie sind auch nicht so zahlreich, dass wir Buchhändler allein von ihnen leben könnten.

Da wichtige andere Gegenstände des Buchhandels – wie Landkarten und Reiseführer, Gebrauchsanweisungen, Wörterbücher und nicht zuletzt Lexika – als Ware verschwunden sind, musste Ersatz gefunden werden. Meine Distanz zu Geschenkartikeln und Spielzeug in Buchhandlungen ist bekannt. Sie rührt nicht von einem Dünkel gegenüber Konsumgütern. Das ist Quatsch. Ich habe nur Zweifel, ob das Buch zum Lifestyle-Artikel taugt. Ist ein Buch substituierbar durch Kaffeetassen, Blumenvasen, Flaschenöffner oder Teddybären? Möglich. Aber dann braucht es keine Buchhändler mehr.

Geht man gedanklich den umgekehrten Weg und definiert, dass Bücher grundsätzlich Datenträger sind, dann kommt man, meine ich, viel weiter. Daten sind Informationen, sie bilden Zusammenhänge, erzählen Geschichten, sie erschließen, wenn man es pathetisch fassen will, die Welt. Die Geschichte der Daten und ihrer Beschreibstoffe ist eine Veränderungsgeschichte, sie funktioniert dialektisch. Jeder technisch möglich gewordene Medienwandel hatte inhaltliche Konsequenzen.

Ganz gleich, ob Gutenbergs Schwarze Kunst oder die Erfindung der Klebebindung für Taschenbücher: Bücher wurden immer wieder plötzlich anders und erschwinglicher. Sie wurden für neue Käuferschichten attraktiv. Verweigerten sich die erprobten Bezugskanäle neuen Angeboten, so fanden Leser anderswo zum Buch. Ein schönes Beispiel sind die Frauenbuchläden der alten Bundesrepublik. Sie ergaben sich aus der intellektuellen und moralischen Verklemmtheit konservativer Buchhändler.

Ich frage mich, ob das nicht heute ähnlich ist. Waren wir Buchhändler von so geringem Horizont, dass wir nicht merken wollten: Die Leute lesen mehr denn je. Sie informieren sich digital, sie surfen, sie suchen Geschichten und in den Geschichten dann doch wieder die Welt. Neulich zeigte mir die sehr junge Mitarbeiterin ein YouTube-Video von LeFloid. Ich sah seine Lektüre von Henning Sußebachs „Liebe Sophie“, ein Brandbrief gegen zeitökonomisch optimierte Kindheiten. Wir hatten dieses Buch auch vorher gut verkauft, aber ich hatte nicht vermutet, dass es eine Zielgruppe neben besorgten Eltern gibt: Die Kinder selbst.

Das Bedürfnis der Kunden nach Orientierung steigt mit der Anzahl von Informationsmöglichkeiten. Ganz gleich, ob Handbücher zu veganer Ernährung, Strömungen der globalisierten Belletristik oder die Darstellung neuer sozialer Situationen im Kinderbuch: Es braucht jemanden, der sich auskennt. Das Buchhändlerwissen speist sich aus der Lektüre physischer wie digitaler Bücher, aus Zeitungen und Gesprächen. Es speist sich aber auch aus der Offenheit, neuen Produkten und Milieus aufgeschlossen zu begegnen. Und ganz besonders speist es sich aus dem Selbstbewusstsein, dass man sagt: Ja, ich kann. Ich lege mich fest – auf meinen Ort, seine Kunden, deren Ware. Nur Mut!

Martina Bergmann ist Buchhändlerin in Borgholzhausen

Kommentare

6 Kommentare zu "Martina Bergmann: Und ob ich das kann!"

  1. Martina Bergmann | 30. Januar 2014 um 14:13 | Antworten

    Was mich ja interessiert: Wie kann man all die Dienstleistungen, die ein Buchhändler en passant erbringen kann/muss/soll – wie kann man die monetarisieren?

  2. Kleine Sortimenterin | 30. Januar 2014 um 11:16 | Antworten

    Spiegelbest, wo sind Sie noch gerade mit Ihrem „Programm“
    ansässig? Ukraine oder schon das Land gewechselt?
    Wir hatten hier ja schon die Diskussion über Ihre Arbeitsmethoden,
    fremde Server von ahnungslosen Buchhändlern und
    Hoteliers zu nutzen, auch wenn ich es Ihnen nicht beweisen
    kann, warum hatte ich wohl so viele Anfragen aus der Ukraine,
    ich bin nur eine kleine Buchhandlung und mußte deswegen
    meine Seite vom Netz nehmen.

  3. Ich hab Respekt vor deiner Haltung. Trotzdem seh ich nicht, wie eine Buchhändlerin, die den ganzen Tag im Laden steht und Kunden bedient, online vollwertig präsent sein kann. Ich glaub, du beschreibst da zwei völlig unterschiedliche Berufsprofile. Einmal eine Buchhändlerin von früher, und zum anderen eine Buchhändlerin, deren einziger Arbeitsplatz der PC ist.

    • Martina Bergmann | 30. Januar 2014 um 14:06 | Antworten

      Das ist ein Punkt, da hast Du Recht. Die Herausforderung besteht darin, online ausreichend präsent zu sein. Vollumfänglich geht das nicht.

  4. Das sollte eine Pflichtlektüre für Buchhändler sein! Profund auf den Punkt gebracht.

  5. Ein Artikel, dem ich hundertprozentig zustimmen kann

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