Dr. Konstantin Wegner, LL.M., ist Partner der SKW Schwarz Rechtsanwälte in München. Das Handelsblatt zeichnete die Sozietät als „Deutschlands beste Anwälte für Medien- und Sportrecht 2016“ aus. Mehrere Jahre lang war Wegner Justiziar der Ullstein Heyne List Verlage.
Der Sachstand
Mit Urteil vom 21. April 2016 (Az. I ZR 198/13) hat der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH entschieden: die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort ist rückwirkend bis ins Jahr 2012 und in Zukunft nicht berechtigt, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuzahlen. Damit beseitigen die oberen Bundesrichter eine auch von Autorenseiten überwiegend akzeptierte und seit Jahrzehnten etablierte Ausschüttungspraxis, welcher allein zum Verhängnis gereichte, dass sie in den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen ist.
Was bedeutet und welche Auswirkungen hat die Entscheidung für die Verlagspraxis?
Wer sind die Parteien des Rechtsstreits?
Bei der Beklagten handelt es sich um eine Verwertungsgesellschaft. Verwertungsgesellschaften sind rechtsfähige Vereine, deren Mitglieder sich aus Urhebern und sonstigen Inhabern von Rechten – auf die Rechteinhaberschaft kommt es im vorliegenden Fall entscheidend an – nach dem Urheberrechtsgesetz zusammensetzen. Die Mitglieder beauftragen sie Kraft sogenannter Wahrnehmungsverträge mit der Geltendmachung ihrer Vergütungsansprüche, die ihnen gesetzlich aufgrund der Nutzung ihrer Werke durch Bibliotheken und Vervielfältigung ihrer Werke durch Kopiergeräte zustehen. Diese Einnahmen schüttet die Verwertungsgesellschaft an ihre Mitglieder nach Verteilungsschlüsseln aus, die sie zuvor in ihren Verteilungsgremien bestimmt hat.
Die beklagte VG Wort besteht aus Wortautoren und deren Verlegern und wurde bereits im Jahr 1958 gegründet. Alljährlich schüttet sie rund 300 Millionen Euro an ihre Mitglieder aus. Wissenschaftliche Verlage wurden zuletzt in Höhe von 50%, Publikumsverlage in Höhe von 30% an den auf ihren Bereich entfallenen Ausschüttungen beteiligt.
Diese pauschale Ausschüttung stellte nunmehr der Kläger des Verfahrens, Herr Dr. Martin Vogel, mit seiner Klage in Frage. Als Autor wissenschaftlicher Werke zu meist urheberrechtlichen Themen schloss der Jurist mit der Beklagten bereits im Jahr 1984 einen Wahrnehmungsvertrag. Kraft dieser Vereinbarung müsste die VG Wort an ihn als Urheber seiner Werke, so der Kläger, auch den besagten hälftigen Verlagsanteil auszahlen. Denn, so sein Argument, nach den gesetzlichen, urheberrechtlichen Vorgaben stünden den Verlagen weder eigene noch übertragene Rechte und Ansprüche zu, die von der VG Wort wahrgenommen werden könnten.
Was besagt das Urteil des BGH?
Formaljuristisch ist diese Ansicht nachvollziehbar, wenn auch rechtlich nicht gänzlich unanfechtbar. Dennoch gab der BGH Herrn Dr. Vogel in den wesentlichen Punkten Recht.
Wir zitieren die zentralen Stellen aus der Pressemitteilung des Gerichts:
„Die Beklagte ist […] nicht berechtigt, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuschütten. Eine Verwertungsgesellschaft hat die Einnahmen aus der Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte und Ansprüche ausschließlich an die Inhaber dieser Rechte und Ansprüche auszukehren; […]. Den Verlegern stehen nach dem Urheberrechtsgesetz keine eigenen Rechte oder Ansprüche zu, die von der Beklagten wahrgenommen werden könnten. […] Die gesetzlichen Vergütungsansprüche für die Nutzung verlegter Werke stehen kraft Gesetzes originär den Urhebern zu. Die Beklagte nimmt auch keine den Verlegern von den Urhebern eingeräumten Rechte oder abgetretenen Ansprüche in einem Umfang wahr, der eine Beteiligung der Verleger an der Hälfte der Einnahmen der Beklagten begründen könnte.“
Das heißt folgendes: Da den Verlegern weder eigene Rechte und Ansprüche zustehen noch ihnen derartige Rechte und Ansprüche von den Urhebern übertragen worden sind, die sie sodann der VG Wort zur Wahrnehmung übertragen haben oder übertragen hätten können, sind sie auch nicht dazu berechtigt, an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft wie bisher beteiligt zu werden. Oder kurz gesagt: wer kein Recht hat, kann dieses Recht auch nicht wahrnehmen lassen. Denn die gesetzlichen Vergütungsansprüche für die Nutzung verlegter Werke, wie sie von der VG Wort wahrgenommen werden, stehen, so der Senat ausdrücklich:
„originär den Urhebern zu.“
Jedoch deutete das Gericht an, dass sich solch originären und wahrnehmbaren Rechte der Verlage aus einem eigenen Leistungsschutzrecht ergeben könnten. Dieses stünde bislang kraft Gesetz aber nur den im Streitfall nicht in Rede stehenden Presseverlegern zu. Allein die Tatsache, dass eine pauschale Beteiligung der Verlage seit Jahrzehnten gelebte und akzeptierte Praxis ist, könne es aber nicht rechtfertigen, den Verlagen einen Teil der Einnahmen der VG Wort zuzugestehen.
Darüber hinaus hielt der Senat fest, dass auch die Ausschüttung eines pauschalen Anteils rechtswidrig wäre. Denn hiermit sei nicht sichergestellt, dass es sich bei diesem Pauschalbetrag um exakt die Einnahmen handelt, die konkret auf der Verwertung der von der VG Wort wahrgenommenen Rechte der Verlage beruhen.
Kommt diese Entscheidung überraschend?
Bedauerlicherweise nicht. Bereits die Münchner Vorinstanzen hatten Herrn Dr. Vogel in den wesentlichen Punkten Recht gegeben. Und auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) sendete mit seiner sog. „Reprobel“-Entscheidung vom 12. November 2015 (Az.: C-572/13), die der BGH zunächst abwartete, Signale, die auch im hiesigen Verfahren einen für die Verlage extrem nachteiligen Ausgang befürchten ließen.
Die besagter EuGH-Entscheidung zu Grunde liegende Konstellation war dem vorliegenden Fall sehr ähnlich. In Belgien klagte Hewlett-Packard, Importeur von Multifunktionsdruckern, gegen die belgische Verwertungsgesellschaft Reprobel. Im Wesentlichen ging es um die Höhe der Kopierabgaben, die Reprobel für die von Hewlett-Packard importierten Geräte berechnete und an die jeweiligen Rechteinhaber ausschüttete. Der EuGH hatte sich sodann u.a. mit der Frage zu befassen, ob auch Verlagen hieran aufgrund der Urheberrechtsrichtlinie (RL 2001/29/EG) – auf der in Belgien wie in Deutschland die gesetzlichen Vergütungsansprüche für Privatkopien basieren – Beteiligungen in hälftiger Höhe zu gewähren sind. Die Antwort des EuGH lässt sich mit einem klaren „Nein“ zusammenfassen. Denn, so das Hauptargument auch hier, Verlage seien in der besagten Richtlinie nicht als vergütungsberechtigte Rechteinhaber vorgesehen. Nach diesem klaren, wenn auch äußerst knapp begründeten und rechtlich nicht unangreifbaren Urteil ihrer europäischen Kollegen war die Entscheidung des BGH zumindest zu erwarten.
Welche Konsequenzen hat die BGH-Entscheidung für die Verlagspraxis?
Es ist offensichtlich, dass diese Entscheidung massive Auswirkungen auf die deutsche Verlagslandschaft haben wird. Besonders negativ wird sich auswirken, dass sie rückwirkend sämtliche Auszahlungen der VG Wort an die Verlage bis in das Jahr 2012 betrifft. Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels drohen Rückzahlungsansprüche der VG Wort in dreistelliger Millionenhöhe. Insbesondere mittlere und kleinere Verlage werden hierdurch in ihrer Existenz bedroht sein. Zudem wird die Entscheidung des BGH auch Auswirkungen auf die Ausschüttungspraxis anderer Verwertungsgesellschaften haben, wie z.B. die VG Bild-Kunst, GEMA und VG Musikedition.
Ist diese richterliche Entscheidung anfechtbar?
Nein, denn der Bundesgerichtshof entscheidet in letzter Instanz. Rechtsmittel sind hiergegen nicht möglich. Es bleibt lediglich die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde durch eine der beteiligten Parteien. Ob ein solches Verfahren vor dem BVerfG jedoch erfolgversprechend ist, wird man erst beurteilen können, wenn alle Entscheidungsgründe vorliegen.
Was können Verlage bzw. die Politik tun?
Abhilfe verspricht allein der politische Weg. Am rechtlich wirkungsvollsten wäre sicherlich eine Änderung der besagten Urheberrechtslinie auf EU-Ebene, denn auf diese ist auch die deutsche Ausschüttungspraxis der Verwertungsgesellschaften zurückzuführen. Jedoch mahlen die Mühlen der europäischen Bürokratie – das ist bekannt – äußerst langsam. Erfolgversprechender, weil parlamentarisch und verwaltungstechnisch auf kürzerem Wege durchsetzbar, erscheint da eine Initiative auf nationaler Bundesebene. Nebenbei sei angemerkt, dass auch der EuGH in seiner „Reprobel“-Entscheidung den Mitgliedstaaten eine entsprechende Möglichkeit zugesteht.
Erste Bewegungen sind bereits erkennbar. So hat Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, beim Kongress der Initiative „Zukunft des Urheberrechts“ am 01. Dezember 2015 in direkter Reaktion auf die „Reprobel“-Entscheidung ausdrücklich betont, dass die gemeinsame Wahrnehmung von gesetzlichen Vergütungsansprüchen von Urhebern und Verlagen eine große Errungenschaft darstelle, die es zu verteidigen gelte. Die Bundesregierung werde sich daher dafür einsetzen, dass eine Beteiligung der Verleger an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen auch künftig möglich sein wird.
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