Es bewege sich nichts und das grenze an „Verweigerungshaltung“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Tagung des Verbands deutscher Unternehmerinnen just den „deprimierend“ niedrigen 8,5%-Anteil von Frauen in Vorständen großer börsennotierter Unternehmen kritisiert. In der Gesamtwirtschaft sieht es laut Bundesstatistik über alle Branchen mit einem Anteil der Frauen in Führungspositionen von 29% etwas besser aus, aber auch gesamtwirtschaftlich bleibt die Gender-Entwicklung zäh.
Es bewegt sich was in der Buchbranche, lautet die Einschätzung einer buchreport-Online-Umfrage, an der sich überwiegend Frauen beteiligt haben: 80% haben demnach den Eindruck, dass Frauen etwas häufiger Führungspositionen übernehmen. Das entspricht dem Befund der regelmäßig im Frühjahr ausgewerteten Führungskräfte-Zählung des buchreport-Rankings „100 größte Verlage“: Die Frauenquote in den Chefetagen der Verlage wächst seit Jahren langsam, aber stetig. Aktuelle Zahlen:
- 38% der Führungskräfte sind weiblich. 2010 waren es 29%.
- Auf Geschäftsführungsebene liegt der Wert bei 23% (2010: 14%).
- Auf der zweiten Führungsebene ist dagegen erstmals eine knappe „Mehrheit“ von 52% zugunsten der weiblichen Beschäftigten dokumentiert.
Unternehmenskultur und Familienfreundlichkeit
Welche strukturellen Hemmnisse gibt es für Frauen, Führungspositionen zu übernehmen? In der aktuellen Online-Umfrage werden jeweils mit 70% und mehr Zustimmung genannt:
- Männlich geprägte Strukturen und Seilschaften
- Fehlende Vereinbarkeit von Familie mit den besonderen Anforderungen von Führungspositionen
- Fehlende Angebote, Führung und Teilzeit zu verbinden.
Immerhin 30% machen generell eine frauendiskriminierende Unternehmenskultur aus.
Auf die Frage, wie Unternehmen konkret eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreichen können, nennen über 90% flexible Arbeitszeitmodelle und 70% die Option des Homeoffice auch bei Führungspositionen, was womöglich mit der intensiven Konferenzkultur in vielen Verlagen kollidiert. Genannt werden auch Kinderbetreuungsangebote auf der Skala von „gelegentlicher Notfallbetreuung bis zum Firmenkindergarten“.
»Merkwürdiges Gesellschaftsmodell«: Kinder oder Karriere
Die Befunde der aktuellen Umfrage decken sich mit der Einschätzung von Yvonne de Andrés vom Berufsnetzwerk Bücherfrauen: Eine Bücherfrauen-Studie hat ergeben, dass viele Frauen im Management kinderlos sind. „Sie mussten sich zwischen Arbeit und Kindern entscheiden. Auf Kinder verzichten, um Karriere machen zu können – das ist kein Vorbild und ein merkwürdiges Gesellschaftsmodell“, kommentiert Andrés. Insbesondere große Verlage und Verlagsgruppen entwickelten sich aber durchaus in Richtung einer veränderten Unternehmenskultur und neuen Arbeitszeitmodellen, „weil sie erkannt haben, dass Personal ein wichtiger Erfolgsfaktor ist“.
Das reklamiert die Verlagsgruppe Random House für sich. Auch von einem Gender Pay Gap, in der Umfrage mehrheitlich vermutet, will man bei der marktführenden Publikumsverlagsgruppe nichts wissen: Bei der Bezahlung gebe es keinen Unterschied, versichern die beiden Verlegerinnen Nicola Bartels und Grusche Juncker im buchreport-Gespräch über Gleichberechtigung in Verlagen, Frauen in Führungspositionen und den Stellenwert von Autorinnenin der Juni-Ausgabe des buchreport.magazin (ET: 25. Mai) und online hier PLUS-Beitrag.
Stereotype Führungsqualitäten
Ein weiterer Beitrag im buchreport.magazin, „Verblassende Stereotypen erleichtern Frauenkarrieren“ (Plus) – eine Studie von Ann-Christin Ploeger, befasst sich neben dem auch dort zentralen Befund (fehlender) Familienfreundlichkeit auch mit weiteren Aspekten von Führungskultur und unterschwelligeren Aspekten und Selbst- und Fremdbildern.
Ein paar klassische Klischees hat auch die zitierte kleine buchreport-Online-Umfrage zutage gefördert. Es wurde auch gefragt,
- Welche Eigenschaften verbinden Sie mit einer Führungsposition? (gewichtet auf einer 5-teiligen Skala)
und an anderer Stelle „mit Mut zur Vereinfachung“:
- Welche Eigenschaften ordnen Sie eher Frauen, welche eher Männern zu? (ebenfalls mit Gewichtung)
Die Auswertung der Antworten der Frauen deutet darauf hin, dass Frauen als eher kooperativer, flexibler, einfühlsamer und emotionaler gesehen werden als Männer, denen leichte Vorteile zugestanden werden, was Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit angeht. Die männliche Sicht konnte wegen zu geringer Beteiligung nicht ausgewertet werden.
Die Führungsqualitäten in der Reihenfolge der Wichtigkeit und mit zugeordneter Gender-Tendenz:
- entscheidungsfreudig – neutral
- durchsetzungsfähig – eher männlich
- selbstbewusst – eher männlich
- konfliktfähig – neutral
- kooperativ – deutlich weiblich
- flexibel – deutlich weiblich
- einfühlsam – ausgeprägt weiblich
- emotional – ausgeprägt weiblich
Eine Fassung des Beitrags ist zuerst im buchreport.express 21 (23. Mai 2019) erschienen.
Vielleicht ist auch ein – eher deprimierender – Grund für die Zunahme an führenden Frauen in der Branche, dass ehrgeizige Männer die Branche sowieso nicht mehr auswählen bzw. sie für wirtschaftlich profitablere und zukunftsfähigere Unternehmen verlassen …