Von der Inhaltsanalyse über die Anreicherung bis hin zur Medienproduktion – KI-Tools können Verlage in allen Phasen des Contentworkflows unterstützen. Durch die wachsende Produktivität können Verlage neue Produkte kreieren und die Publikationsschlagzahl erhöhen. Allerdings sollten sie dabei ihre Mitarbeitenden mitnehmen und zudem das Risiko von neuen Abhängigkeiten minimieren, empfiehlt der Berater und IT-Manager Christian Kohl im Gespräch mit seinem Berater-Kollegen Ehrhardt Heinold.
KI-Tools können in vielen Bereichen eingesetzt werden. Welche Einsatzgebiete gibt es speziell im Bereich der Inhalte-Produktion?
Kohl: Die Einsatzgebiete sind bereits sehr vielfältig und werden weiter wachsen. Ganz grob lassen sie sich in 7 Einsatzgebiete gruppieren. KI-Tools können bestimmte Inhalte auswählen, also in vorhandenen Content-Beständen Entitäten oder Daten automatisch erkennen und extrahieren. Sie können zudem Inhalte validieren, um so die Akkuratheit und Verlässlichkeit von Informationen automatisiert zu überprüfen. Im Fokus des KI-Hypes steht vor allem die Möglichkeit, mit KI-Tools Inhalte in allen medialen Formen, also Texte, Bilder, Tabellen, Audio- und Videoformate und auch Animationen automatisch zu generieren und zu produzieren. Sehr spannend sind auch die Fähigkeiten, Inhalte zu analysieren, indem Muster, Relationen oder Trends innerhalb von Contentbeständen erkannt werden. Für die Medienproduktion besonders spannend ist die Möglichkeit, Content automatisch zu formatieren und an bestimmte Stile oder Formatvorgaben anzupassen, zu modifizieren oder automatisch für bestimmte Zielgruppen aufzubereiten. Auch das Suchen und Finden von relevanten Informationen in Contentbeständen wird einfacher. Bekannt und viel genutzt ist die Unterstützung beim Übersetzen durch Tools wie DeepL.
Wo liegt der größte Nutzen beim Einsatz solcher Tools?
Der Nutzen ergibt sich aus drei Aspekten: Erstens können Einsparungen erzielt werden, indem Tätigkeiten reduziert oder eliminiert werden. Zweitens ist eine konsistente Skalierbarkeit durch qualitätsgesicherte, automatisierte Prozesse möglich, weil Wachstum nicht mehr durch (outgesourcte) manuelle Prozesse beschränkt wird. Und drittens werden speziell durch generative KI-Tools neue Formate und Versionen von Content möglich, die bislang nicht wirtschaftlich darstellbar waren. Dies kann einerseits bei der Erschließung neuer Märkte und Zielgruppen helfen, als auch die Wertigkeit bestehender Angebote erhöhen, beispielsweise durch eine bessere Barrierefreiheit.
Die 7 Einsatzgebiete von KI bei der Content-Produktion
- Extrahieren: Identifizieren und Isolieren bestimmter Einheiten oder Datenpunkte innerhalb des Inhalts
- Validieren: Überprüfen der Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Informationen
- Generieren: Produzieren neuer Inhalte oder Ideen, z.B. Texte und Bilder
- Analysieren: Untersuchen von Mustern, Beziehungen oder Trends innerhalb vorhandener Informationen
- Umformatieren: Ändern und Anpassen von Informationen an bestimmte Formate oder Präsentationsstile
- Entdecken: Suchen und Auffinden relevanter Informationen oder Zusammenhänge
- Übersetzen: Umwandeln von Informationen von einer Sprache oder Form in eine andere
Quelle: Die Gliederung stammt von Adam Hyde, John Chodacki und Paul Shannon: „An Initial Scholarly AI Taxonomy“, https://doi.org/10.54900/6p6re-xyj61
Und wo liegen die größten Risiken?
Das größte Risiko liegt meines Erachtens in einer mangelnden Fokussierung auf die Ziele. Vor lauter Begeisterung über neue Möglichkeiten und Tools wird vergessen, dass diese nur Mittel zum Zweck sind. Durch den Einsatz von vielen KI-Tools erfolgt eine Abhängigkeit von den bekannten Tech-Oligopolisten. Sind die Tools erst einmal tief in die eigenen Prozesse integriert, kann ein starker Lock-in-Effekt entstehen und man ist Preissteigerungen der Anbieter, die sicher kommen werden, ausgeliefert. Weitere relevante Risiken liegen im Bereich des Change Managements und der Qualitätssicherung.
Wo genau bewähren sich diese Tools bereits in der Praxis?
Editorial, Copy Editing, Übersetzung und Produktion werden bereits massiv durch KI-basierte Tools automatisiert, meistens in Form von Assistenzfunktionen für die Bearbeiter:innen. Das sind beispielsweise die Generierung von Versionen in einfacher Sprache, Kurzfassungen oder die sprachliche und stilistische Verbesserung von Texten – also „Glättung“ und „language polishing“ –, vor allem bei Texten, die nicht von Muttersprachler:innen verfasst wurden. Im Wissenschaftsmarkt erfolgt bei der Suche nach Begutachter:innen zudem bereits ein Matching von passenden Peer Reviewern zu wissenschaftlichen Manuskripten. Auch gibt es eine automatische Generierung von Skripten zur (Re-)Formatierung von Inhalten, wie zum Beispiel die automatische Generierung von XSLT-Skripten, um XML-Dateien umzuwandeln. Dies sind nur drei Beispiele, die Liste ist schon heute fast endlos.
buchreport.spezial Management & Produktion 2023
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im buchreport.spezial Management & Produktion 2023.
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Wie kann sich ein Verlag dem Thema nähern? Sollte er zunächst eine Spielwiese schaffen oder die Tools gleich produktiv im Publikationsprozess einsetzen?
Das hängt stark davon ab, wie der Verlag aufgestellt ist. Eine pauschale Empfehlung lässt sich schwer treffen, da jedes Unternehmen andere Fähigkeiten und Voraussetzungen aufweist. Grundsätzlich empfehle ich bei diesen Themen aber immer ein möglichst agiles Vorgehen sowie ein entsprechendes Framework für Innovationsprozesse. Verlage sollten möglichst datengetrieben arbeiten, idealerweise Build-Measure-Learn-Zyklen immer wieder durchlaufen und den tatsächlichen Impact messen und bewerten, anstatt sich von Features blenden zu lassen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. In Bezug auf die „Spielwiese vs. Produktiveinsatz“-Frage empfehle ich, wenn irgendwie möglich, immer einen „Strangler Fig“-Ansatz zu wählen, um „Big Bang“-Projekte zu vermeiden. Dabei wird ein älteres System stückweise migriert, indem bestimmte Teile der Funktionalität nach und nach durch neue Anwendungen und Dienste ersetzt werden. Durch das fortgesetzte Austauschen von Features des älteren Systems ersetzt das neue System schließlich alle Features des alten Systems, wodurch das alte System unbrauchbar wird und dann außer Betrieb genommen werden kann.
Es gibt viele KI-Tools. Können diese unabhängig eingesetzt werden oder ist eine Integration in die bestehende IT-Landschaft sinnvoller?
Tools können sowohl isoliert als auch in eine vorhandene Landschaft eingebettet eingesetzt werden. So ziemlich jedes Tool hat heute webbasierte Schnittstellen, etliche Tools lassen sich zusätzlich auch in der eigenen Umgebung betreiben – wenn man die Mittel und Fähigkeiten dazu hat. Wichtig ist bei der Einbettung solcher Tools oder Services, dass Aspekte wie Information Governance, Business Continuity, Skalierbarkeit sowie Vendor Lock-in und Kostenprogression berücksichtigt werden.
Was sind die größten Veränderungen in einem Verlag, wenn er KI-Tools einsetzt? Inwieweit entstehen zum Beispiel neue Jobprofile, oder gibt es auch Tätigkeiten, die ganz oder teilweise entfallen?
Es gibt sicherlich eine Verschiebung von Tätigkeitsprofilen. Repetitive Aufgaben werden, nicht nur in Verlagen, zunehmend automatisiert. Ich denke, dass vor allem in den Bereichen Editorial bzw. Redaktion und Produktion sehr große Automatisierungspotenziale schlummern. Die meisten Automatisierungen folgen dem sogenannten „Human in the Loop“-Muster. Das heißt, die menschliche Komponente besteht vor allem im Prüfen, Kontrollieren und Finetunen dessen, was zuvor ein KI-Tool gemacht hat. Da wird es also Verschiebungen in den Aufgaben geben, außerdem entstehen neue Tätigkeitsfelder wie beispielsweise Data Modeler, Data Architect und Data Scientist.
Die Verlagsbranche hat schon so manchen Hype erlebt. Wie stehen die Chancen von KI-Tools, nachhaltig eingesetzt zu werden?
Der Einsatz ist bereits Realität. Das Schwierige an der Einschätzung ist, dass Tools und Verfahren, die gestern noch als „cutting edge“ galten – also auf dem neusten Stand waren –, heute schon breitflächig eingesetzt werden, teilweise auch im Publikumsbereich. Das macht die Verfahren nicht weniger „KI“, aber in der Wahrnehmung vieler geht das oft unter. Der andere Aspekt ist die teilweise übertriebene und reißerische Berichterstattung, die aber nicht als Maßstab gelten sollte.
Die Fragen stellte Ehrhardt Heinold
Christian Kohl ist bei der Digitalkonferenz „CrossMediaForum KI-Spezial“ am 30. November 2023 als Referent dabei.
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