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Mehrwert des Gedruckten handgreiflich machen

Die Industrie ermöglicht Verlagen, mehr in die Verpackung zu investieren. Denen fehlt es nicht an Kreativität, aber an der Fantasie zu höheren Preisen. 

Ein Buch darf so teuer sein wie ein Schuh!“ soll Verleger Joseph Caspar Witsch um 1960 festgestellt haben. Ein anderer Verleger räsonierte 30 Jahre später: „Heute kosten Schuhe durchschnittlich 150 Mark, also müsste ein Buch 75 Mark kosten.“ Ein Hardcover kostete damals im Schnitt nicht mal die Hälfte. Im folgenden Vierteljahrhundert holten die Verlage bestenfalls 25% heraus – trotz Währungsreform, die den Verbrauchern gefühlt die Beträge in Euro aus den Taschen angelte, die sie zuvor in Mark ausgegeben hatten. Den Medienunternehmen misslingt es seit Jahrzehnten, den Wert ihrer Produkte beim Kunden zu beglaubigen. Die Digitalisierung setzt ein Sahnehäubchen auf mit E-Book-Flatrates und beliebiger Kopierbarkeit von virtuellen Produkten.

Buchinszenierung: Gestaltungswille und Ausstattungsdetails erleichtern die Präsentation und können auch höhere Buchpreise rechtfertigen: „Der goldene Grubber“ (Galiani) ist mit 34,99 Euro ausgepreist.

Haptik gegen Digital

Schlechte Zeiten also für gute Preise, nicht nur aus Sicht der Verlage, sondern auch für die mit der Fertigung befasste Industrie. Aber seit einigen Jahren tut sich qualitativ einiges in der Produktion, in Satz, Materialwirtschaft, Druck und Bindung. Die Rede ist nicht von Minipressen und handwerklich erzeugten Sammlerstücken, sondern von wertiger industrieller Buchherstellung. Nach dem Motto: Das gedruckte Buch muss seinen Mehrwert beglaubigen.
Was dabei herauskommt, kann sich im wahrsten Wortsinn sehen lassen – und nicht nur sehen, sondern fühlen und zuweilen riechen oder gar hören. Diese Bücher machen sichtlich Spaß, dem Verlag, dem Handel und dem Konsumenten. Haptik ist das Gebot der Stunde, quer durch die Warengruppen und Bindearten. 
Sie ist zunächst Verpackungsdesign, wie es Dominik Metzler, Geschäftsführer der Passavia Druckerei, formuliert. Sie dient zur Durchsetzung beim Spontankäufer am PoS. Sie ist aber gleichzeitig ein Mittel im Behauptungskampf gegen die Entsinnlichung des digitalen Kaufens und Lesens, die auch die Inhalte zu entwerten droht.

Trend zur Oberflächenveredlung

Der Haptiktrend ist primär aus dem Wettbewerb geboren, nicht nur in der Profilierung gegenüber der digitalen Welt, sondern in erster Linie auch aus dem Wettbewerb der Verlage untereinander. Was auf dem Stapel liegt und in die Hand genommen wird, hat höhere Chancen, auch gekauft zu werden. Was gut in der Hand liegt, bleibt länger drin – oft bis zur Kassenzone. 

„Wenn einer ein Buch erst mal in der Hand hat und es ist nicht zu teuer, fällt die Kaufentscheidung nach einer Zehntelsekunde“, behauptet Karl-Heinz Stockbauer, Verkaufsleiter beim Unterschleißheimer Verpackungs- und Produktionsdienstleister Seismografics und selbst ein erfahrener Verlagshersteller. Im Trend liegen vor allem besondere Oberflächen-Veredelungen und Bindearten, die fast beliebig miteinander kombiniert werden:
  • Hochglänzende, hochglatte Spotlackierungen.
  • Farbige Prägungen mit Farben oder Effektfolien.
  • Prägungen ohne Farbauftrag, sogenannte Blindprägungen, die nur im Streiflicht sicht- und lesbar sind, dafür aber ein besonders starkes Relief spüren lassen.
  • Reliefprägungen des Umschlagkartons bei kartonierten Titeln, die Schriften oder einzelne Gestaltungselemente außen hervortreten lassen.
  • Besondere Formgebungen des Buchblocks, bei der der klassische Dreischneider beim Beschnitt des Blocks durch subtilere Werkzeuge ersetzt wird; Ergebnis: Abgerundete Ecken oder der „ebarbierte Schnitt“ nur am Kopf- und Fußsteg (wie etwa beim  HoCa-Frühjahrsroman „Sonnenschein“).
  • Stanzperforationen des Umschlags.
  • Voll farbige Schnittkanten, sogenannte Farbschnitte; diese Arbeit erledigen Tintenstrahlaggregate in der Bindestraße, die spezielle UV-getrocknete Tinten aufbringen. Damit zieht ein Stapeltitel auch von der Seite gesehen die Blicke auf sich.
Laut Stockbauer ginge technisch noch viel mehr, um alle Sinne anzusprechen: Blüten- und Kräuterdüfte in Garten- und Kochbüchern oder akustische Effekte. 

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Text: Michael Lemster. Der Autor ist Unternehmensberater (alvoloconsult.de) und Journalist. Er schreibt für buchreport und die buchreport-Fachinformationsplattform pubiz.de.
aus: buchreport.spezial „Management und Produktion“ 2015. (Opens external link in new windowhier zu bestellen)

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