Fred Bass hat aus der Buchhandlung Strand ein Eldorado für Bibliophile in New York gemacht. Im Interview blickt Bass zurück auf die Ursprünge der Buchhandlung in den 1920-er Jahren, berichtet von Besuchen von Michael Jackson und Umberto Eco, singt ein Loblied auf Mister Barnes & Noble und erklärt, ob Bücher eine gute Kapitalanlage sind.
Das Interview, das wir mit freundlicher Genehmigung des Taschen Verlags veröffentlichen, hat Dian Hanson für den Kölner Verlag geführt. Die Impressionen aus New York am Ende des Artikels stammen aus dem Taschen-Bildband „New York. Porträt einer Großstadt“ von Reuel Golden, 560 Seiten, 49,99 Euro.
Der Strand Bookstore ist eine der beliebtesten Anlaufstellen in New York. In einer Zeit sinkenden Leseinteresses und ökonomischer Ungewissheit, in der kleinere Buchläden reihenweise schließen müssen und selbst große Ketten wie Barnes & Noble zum Verkauf stehen, floriert Strand weiterhin. Das ist zweifellos in erster Linie das Verdienst von Fred Bass, der den Laden 1956 von seinem Vater Ben übernahm und die ursprüngliche Ladenfläche von 200 Quadratmetern auf gegenwärtig über 5000 auf fünf Etagen ausdehnte – 29 Regalkilometer mit antiquarischen Büchern und Novitäten (Schwerpunkt Kunstbücher; eine Zwischenetage ist auf Taschen-Titel spezialisiert). 3700 Quadratmeter sind für die Kunden zugänglich. Freds Tochter Nancy (Foto) ist heute die offizielle Ladeninhaberin, die dritte Generation im Strand, doch den Buchankauf, den schönsten Teil des Geschäfts, behält er sich selbst vor.
Wie war es, als Ihr Vater 1927 die Buchhandlung auf der Book Row eröffnete? Wie sah diese Gegend damals aus?
Fred Bass: Damals reihten sich entlang der Fourth Avenue zwischen 14th Street und Astor Place 48 Buchhandlungen aneinander, allesamt Antiquariate. Viele von ihnen führten ein ähnliches Angebot, andere hatten sich spezialisiert, aber im Grunde war es einfach eine wilde Truppe ausgeprägter Individualisten, zu denen auch mein Vater zählte. Er war bis vor 52 Jahren auf der Fourth Avenue.
Mit Glück zur Goldgrube
Als Sie 1956 die Buchhandlung übernahmen und mit ihr umzogen, wurde der Laden größer. Wie haben Sie dieses marode Geschäft in eine Goldgrube umwandeln können?
Das war zum Teil einfach Glück. Der Broadway war nur eine Ecke von der Fourth Street entfernt, doch dort gab es Menschen in Massen. Als wir Strand aufmachten, hatten wir zuerst nur ein paar hundert Quadratmeter im Hauptgeschoss, aber ich kaufte einfach immer mehr Bücher an und machte mich immer mehr breit, ich klaute meinem Hausbesitzer quasi Ladenfläche, bis ich in der Lage war, das Gebäude zu kaufen.
Aber gleichzeitig haben Sie eine sehr wertvolle Sammlung seltener Bücher aufgebaut. Wie haben Sie diese Bücher erworben?
Wenn Sie eine Sammlung von, sagen wir, 500 Büchern kaufen, sind vielleicht fünf oder sechs davon rare Ausgaben von Interesse für Sammler. Wir haben mit einer kleinen Abteilung dafür angefangen, die allmählich wuchs, und schließlich boten uns Kunden ganze Sammlungen mit seltenen Ausgaben an.
Wie ich gelesen habe, besitzen Sie eine Shakespeare-Ausgabe von 1632, die 120.000 Dollar wert ist.
Die haben wir nicht mehr. Jemand kam und hat sie gekauft. Ich glaube, für nur 100.000 Dollar. Da hat er ein Schnäppchen gemacht. Dann kam mal jemand vorbei und bot uns eine Erstausgabe von James Joyce’ Ulysses an. Ich war Feuer und Flamme. Es war ein Rechtsanwalt, der genau wusste, was er dafür haben wollte, und das lag deutlich über dem Marktwert. Aber ich sagte: „Die müssen wir einfach haben.“ Und dann habe ich sie sehr, sehr teuer ausgepreist, weil ich sie eigentlich gar nicht weiterverkaufen wollte. Doch der Wert dieser Ausgabe steigerte sich stetig, und schließlich kaufte sie jemand für 35.000 Dollar. Ich trauere ihr immer noch nach.
Besuch von Umberto Eco und Michael Jackson
Welche Bücher bedeuten Ihnen selbst am meisten?
Die Bücher, die für mich persönlich signiert wurden. Saul Bellow war oft da und hat viele seiner Sachen für mich signiert. Vonnegut. Umberto Eco kommt gelegentlich vorbei und gibt mir eine signierte Ausgabe. Das heißt aber nicht, dass ich hingehe und diese Menschen belästige; normalerweise erledigt das jemand von meinem Personal hinter meinem Rücken. [Lacht]
Welche berühmten Leute haben darüberhinaus im Strand eingekauft?
Lee Strasberg gehörte zu meinen besten Kunden. Er war ein wirklich kluger Kopf und kaufte viele Bücher über Kunst, Philosophie und Geschichte. Überraschenderweise überhaupt keine Theaterbücher. [Lacht] Er hat mir ein Exemplar von At the Actor’s Studio geschenkt und sowas reingeschrieben wie: „Ich danke Ihnen für das, was Sie tun“, aber anschließend hat er mir erzählt: „Eigentlich wollte ich damit sagen: Bin ich froh, dass Sie Buchhändler geworden sind und nicht Schauspieler.“ Andy Warhol kam auch oft rein. Michael Jackson hat sich hier auch öfter hereingeschlichen, inkognito. Jemand von seinem Büro rief an und sagte: „Michael Jackson möchte bei Ihnen einkaufen, könnten Sie den Laden für ihn länger geöffnet halten?“ Das war 1994, da schloss unser Laden um 19 Uhr, das war also weiter kein Problem. 2002 kam wieder solch ein Anruf, aber da machte unser Laden um 22.30 Uhr zu. Diesmal kam er mit seiner ganzen Entourage und einigen Kindern. Er war enttäuscht, weil er gerne die Abteilung mit bibliophilen Büchern gesehen hätte, um nach seltenen Kinderbüchern zu schauen, doch der Night Manager hatte keinen Schlüssel dafür.
„Leonard Riggio von Barnes & Noble ist ein Genie“
Die meisten unabhängigen Buchhändler betrachten Ketten wie Barnes & Noble als Bedrohung. Gilt das auch für Sie?
Nein. Leonard Riggio hatte ursprünglich einen kleinen Schulbuchladen ganz in der Nähe, und wie ich gehört habe, war Barnes & Noble ursprünglich auch ein Schulbuchladen auf der Ecke 18th Street und 5th Avenue, der zum Verkauf stand. Reggio hat ihn für 75.000 Dollar gekauft und daraus gemacht, was es heute ist. Der Kerl war ein Genie und hat fantastische Arbeit geleistet. Was mein Verhältnis zu Barnes & Noble anbelangt, Folgendes: Als sie richtig groß geworden waren, hat Reggio eine Filiale fünf Straßen südlich von mir aufgemacht, doch meine Umsätze gingen danach sogar in die Höhe. Dann hat er noch eine auf der 6th Avenue/21st Street aufgemacht, und das gleiche Ergebnis. Dann hat er eine der größten Filialen seiner Kette an der 17th Street am Union Square eröffnet, genau fünf Straßen entfernt, und wieder zogen die Umsätze an. Als ich Reggio vor ein paar Jahren traf, hab ich zu ihm gesagt: „Mensch, willst du nicht einen weiteren Laden noch näher bei mir aufmachen? Ich will meinen Umsatz steigern!“ Er hat gelacht und war nicht überrascht, dass meine Verkaufszahlen gestiegen waren: Meine Preise sind besser und meine Auswahl auch.
Viele Mitbürger begeistern sich derzeit für die Fernsehserie Mad Men über eine Werbeagentur im Madison der frühen 1960er. Stimmen Ihre Erinnerungen an New York zu dieser Ära mit dem überein, was wir da von Don Draper und Konsorten zu sehen bekommen?
Ich lebte damals in dem Städtchen Pelham bei New York, und dort gab es Werbeagenturen in Hülle und Fülle. Ein Mann namens Jay McNamara, der Chef von Young and Rubicam, war ein guter Freund von mir und genauso wild wie dieser Don. Sie arbeiteten hart, sie spielten mit harten Bandagen und soffen wie die Löcher. Wenn ich mit ihm essen ging, hatte ich zwei Manhattans vor dem Essen und dann Wein zum Essen. Ich kann Ihnen sagen, so verflog ein Tag wie nichts. Ja, irgendwie ist mir direkt danach, auszugehen und zwei Manhattans zu trinken. Es stimmt, sie hatten Bars in ihren Büros, um ihre Klienten bewirten zu können. Und beim Sex ging es auch sehr locker zur Sache. Das verdankt sich zum großen Teil der Antibabypille (die 1960 auf den Markt kam). Unsere Stadt war die reinste Seifenoper.
Während des Koreakrieges in Deutschland den Buchhandel studiert
Und natürlich war es auch die Zeit, in der Ralph Ginsberg sein umstrittenes Magazin Eros auf den Markt brachte.
Ganz genau. Im Verlagswesen gab es echte Durchbrüche. Grove Press erschien auf der Szene, und danach hieß es: „Alles geht.“ Als ich beim Militär war, brachte ich einen ganzen Stapel von Millers „Wendekreis des Krebses“ und „Wendekreis des Steinbocks“ mit zurück nach Hause und verkaufte sie mit einem hübschen Gewinn. Am liebsten hätte ich Seesäcke voll davon mitgebracht, aber das war damals verboten. Ich war während des Koreakrieges in Deutschland stationiert und konnte diese Bücher in Paris bekommen.
Männer bringen häufig einen weltläufigeren Buchgeschmack aus dem Krieg mit zurück. War das bei Ihnen auch so?
Ich lernte die europäischen Buchhändler kennen, und sah, wie sehr die Europäer ihre Buchhandlungen zu würdigen wissen. In Deutschland hatte jede Kleinstadt ihre zwei, drei Buchhandlungen. In England ebenso. Ich sagte immer, in den USA müsste es doch eine größere Nachfrage nach Büchern geben. Ich wollte die eine große Buchhandlung aufbauen, in der man wahrlich alles finden könnte.
Sie verkaufen Bücher auch meterweise. Was sind das für Menschen, die auf diese Weise Bücher kaufen?
Anfangs war das ein Traum für uns: Leute kamen herein und sagten: „Ach, wir wollen nur ein paar Regale mit Büchern füllen.“ Nun haben wir Kunden, die sagen: „Wir möchten etwas
an zeitgenössischer Literatur und dann noch alle Klassiker.“ Die wollen nicht bloß ihre Bücherregale füllen, sie wollen anspruchsvolle Literatur.
„8 Miles of Books“ als Motto“
Apropos Regalmeter, es heißt, Sie gäben gerne damit an, wie viele Meilen an Büchern Sie im Laden hätten.
Wissen Sie, woher diese Story stammt? Der Pulitzerpreisträger George F. Will war Kunde bei uns. In den 1970-ern hat er mich mal gefragt, ob er über The Strand eine Kolumne schreiben könnte. Ich führte ihn herum und erzählte ihm all die interessanten Anekdoten, und da fragte er mich: „Wie viele Regalmeter an Büchern stehen hier eigentlich?“ Nun hatte Texas Instruments gerade so einen Taschenrechner auf den Markt gebracht, und einer meiner Angestellten hatte sich einen gekauft. Ich schnappte ihn mir und sagte: „Zählen Sie alle Abteilungen durch, multiplizieren Sie das mit den Regalmetern und das wiederum mit …“ Und so kamen wir auf 10.700 Meter beziehungsweise siebeneinhalb Meilen. George Will meinte darauf: „Ach, acht klingt besser.“ Die Stadt New York steckte damals in einer schweren finanziellen Krise, und George schrieb einen Artikel, in dem es hieß: „Die acht Meilen in dieser Stadt, die es wert sind, gerettet zu werden, befinden sich an der Ecke Broadway und 12th Straße. Es sind die dicht gefüllten Regale in der Buchhandlung The Strand.“ Wills Artikel erschien in 80 verschiedenen Zeitungen im ganzen Land, so wurde „8 Miles of Books“ zu unserem Motto.
Wandern diese Bücher dann peu à peu in den Laden, wenn Sie freien Platz bekommen?
Na sicher. Wir schichten permanent um. Damit der Laden reibungslos läuft, habe ich immer vier- bis fünftausend Kisten mit Büchern aus privaten Sammlungen in der Hinterhand: Sollten mir die Leute also aus irgendwelchen Gründen keine Bücher mehr zum Kauf anbieten, habe ich Nachschub für mindestens ein Jahr eingelagert.
„Hochwertige Bücher werden weiterhin im Wert steigen“
Sind Bücher derzeit eine gute Kapitalanlage?
Jedem, der sein Geld in Bücher anlegen will, möchte ich folgenden Rat geben: Wenn Sie etwas kaufen, kaufen Sie nur, was Ihnen auch persönlich gefällt, dann haben Sie in jedem Fall etwas davon. Viele meiner Kunden investieren viel in seltene Bücher und horten sie dann einfach. Die Preise ziehen vielleicht etwas an, aber wenn man, sagen wir, eine Erstausgabe mit 500 Dollar taxiert und plötzlich bieten 20 andere Händler sie für 100 Dollar an, ist sie natürlich keine 500 mehr wert. Trotzdem, wirkliche gesuchte, hochwertige Bücher werden weiterhin im Wert steigen.
Wie geht es nun weiter mit Strand?
Ich überlege, unseren Laden in einen Club für Gentlemen umzuwandeln. Im Ernst. Ich bekomme ständig Anrufe, ob ich Barnes and Noble aufkaufen werde. Ich sag dann bloß: „Tja, es tut mir aufrichtig leid, dass ich sie aus dem Geschäft gedrängt habe.“ Sie haben ja gehört, dass die zum Verkauf anstehen.
Das Gespräch ist auch in der Herbst/Winter-Vorschau des Kölner Verlags zu lesen. Fotos: Strand
Kommentar hinterlassen zu "Meine Auswahl ist besser als beim Filialisten"