Am 21. Juni vor 74 Jahren wurde Françoise Sagan geboren. Zum Jahrestag erinnert buchreport in Kooperation mit dem Verlag J.B. Metzler an den Roman „Bonjour tristesse“. Ein Auszug aus dem neuen Kindlers Literatur Lexikon, das am 4. September 2009 erscheint.
Bonjour tristesse
Hauptgattung: Epik/Prosa, Untergattung: Roman (frz.; Bonjour Tristesse, 1954, H. Treichl)
Schauplatz des 1954 erschienenen Romans ist das mondäne Milieu der französischen Riviera, wo die 17-jährige Cécile mit ihrem Vater Raymond die sommerlichen Ferienmonate verbringt. Zwischen beiden besteht ein betont kameradschaftliches Verhältnis; jeder toleriert und billigt die durchaus unbürgerliche Lebensweise des anderen. Raymond wird von seiner Geliebten Elsa, einer Frau der Halbwelt, begleitet; Cécile hat ein Verhältnis mit einem sympathischen Studenten, den sie beim Segeln kennenlernte. Diese Menschen neigen weder zu starken seelischen Affekten noch zu quälerischen Grübeleien; sie sind »glücklich«, wenn man darunter im Sinne der Autorin eine zwar anspruchsvoll sich gebärdende, im Grunde aber naiv-bescheidene Art des Lebensgenusses verstehen will.
In diese Welt bricht Anne Larsen ein, eine frühere Bekannte von Céciles Vater, eine ehrgeizige und intellektuelle, im positiven Sinne bürgerliche Frau in mittleren Jahren. Ihre Andersartigkeit nimmt Raymond plötzlich so gefangen, dass er den Entschluss zu einer bürgerlichen Heirat fasst. Cécile, die fürchtet, ihr Vater werde ihr auf diese Weise entzogen oder sie selbst müsse sich zu einem anderen Leben bequemen, versucht, ihn in seiner bisherigen Lebensweise zu bestärken, indem sie ihren Cyril, den sie mit sinnlich-verspielter Zuneigung liebt, zu einem Scheinverhältnis mit Elsa veranlasst. Raymond ist in der Tat aufs höchste bestürzt, nicht weil ihm Elsa insgeheim mehr bedeutet als Anne, sondern weil er einsieht, dass er seine Wirkung auf diese Frau überschätzt hat. Nicht um Elsa zurückzugewinnen, sondern seiner Selbstbestätigung zuliebe trifft er sich mit der früheren Geliebten zu einem Rendezvous. Dabei wird er von Anne überrascht, die sofort abreist und bei einem Autounfall stirbt.
Cécile, deren Verhältnis zu Anne eher von heimlicher Bewunderung als von Hass bestimmt war, ist von dieser Wendung der Dinge betroffen, aber nicht erschüttert. Sie und ihr Vater kehren zur früheren Lebensweise zurück. Aber manchmal überkommt Cécile die Erinnerung: »Dann steigt etwas in mir auf, das ich mit geschlossenen Augen empfange und bei seinem Namen nenne: Traurigkeit – komm, Traurigkeit.«
Mit beachtlicher Einfühlung stellt Sagan hier die Mentalität der französischen Nachkriegsjugend dar. Die Personen des Romans sind zu Enthusiasmus oder Verzweiflung nicht fähig. In früheren Epochen der französischen Literatur als tiefes Ungenügen am Dasein, als Weltschmerz (ennui) und schließlich bei Baudelaire als »spleen« bezeichnet, wird jene Melancholie, die im Europa seit der beginnenden Moderne des 19. Jh.s immer wieder junge Menschen ohne gesellschaftliche Funktion und Perspektive befällt, bei Sagan zur »tristesse«, einem vagen Gefühl von kaum motivierter Traurigkeit, zu einer wohligen Niedergeschlagenheit, vermischt mit Langeweile, ohne freilich je die existenzialistische Fatalität eines Camus oder Sartre zu thematisieren.
Lit.: H.-M. Schuh: ›Bonjour Tristesse‹, in: Einführung in das Studium der französischen Literaturwissenschaft, Hg. W.-D. Lange, 1979, 128–135. • N. Morello: F. S. ›Bonjour tristesse‹, 1998.
Werner Arnold
Zur Person: Françoise Sagan
geb. 21.6.1935 Cajarc/Lot (Frankreich)
gest. 24.9.2004 Honfleur/Calvados (Frankreich)
d.i. Françoise Quoirez
Industriellentochter; 1935–1939 in Paris, während der Okkupation in Lyon; kehrte 1944 nach Paris zurück; unregelmäßiger Schulbesuch; fiel 1953 an der Sorbonne durch und schrieb danach in drei Wochen ihren ersten Erfolgsroman; Reisen in die USA; 1957 schwerer Autounfall, heiratete den Verleger Guy Schoeller, später den Bildhauer Bob Westhof; erfolgreiche Vertreterin des französischen Unterhaltungsromans, der das Lebensgefühl der Nachkriegsgeneration einfängt.
Lit.: N. Morello: F. S., 2000. • A. Vircondelet: F. S., 2002.
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