Die Suche nach Büchern ist nicht nur in Bibliotheken (wie hier in der Mexico City Public Library, Foto: Timothy Neesam, CC BY-ND 2.0) eine Herausforderung. In der digitalen Welt sind Bücher ohne gute Metadaten quasi unsichtbar. Die Verbesserung der Infos rund ums Buch ist daher ein Dauerbrenner. Tobias Streitferdt und Peter Starke ziehen eine Bilanz für Verlage.
Laut der Börsenvereins-Tochter MVB haben die Verlage ihre Metadaten so stark in Richtung Gold-Status optimiert, dass die gesamte Kalkulation des Verzeichnisses lieferbarer Bücher (VLB) in die Schieflage geriet. Ist bei den Metadaten derzeit alles Gold, was glänzt?
Peter Starke: Angespornt durch das neue Preismodell haben viele Verlage im vergangenen Jahr sehr intensiv an der Optimierung ihrer Metadaten gearbeitet. Auch unter unseren 102 Verlagskunden war das ein ganz wichtiges Thema, und eine ganze Reihe von ihnen haben mit unseren Tools dann auch für 100% ihrer Titel den Gold-Status erreicht.
Tobias Streitferdt: Ich denke, viele Verlage haben das Thema Metadaten 2015 erstmals richtig in den Fokus genommen. Das neue Preismodell des VLB stellte gerade große Verlagsgruppen wie unsere vor große Herausforderungen, was Anpassungen der Workflows und Bearbeitung der Backlist angeht. Es war jedoch auch ein hilfreicher Denkanstoß.
Also sind alle weitestgehend zufrieden?
Starke: Wirklich deutlich verbessert haben sich die Metadaten in erster Linie im Bereich der neuen Thema-Systematik, die bisher vom Buchhandel allenfalls ergänzend eingesetzt wird. Außerdem wirkt es auf Verlage natürlich nicht gerade motivierend, wenn das VLB nun die Preise wieder erhöht und damit ein Teil der Ersparnisse gleich wieder verschwindet. Schließlich ist der Begriff Gold-Status etwas unglücklich gewählt, da er eigentlich nur das Minimum definiert, welches ein Produktdatensatz für den Online-Verkauf mitbringen sollte: Ohne die für den Gold-Status erforderlichen Elemente, wie Cover, Beschreibungstext und drei Schlagworte, ist ein Produkt online nur sehr schwer bis unmöglich zu verkaufen. Schon als ich vor 18 Jahren bei BOL den Bereich Produktpräsentation verantwortet habe, war klar, dass man Kunden auch die Möglichkeit bieten muss, sich mit Lese- und Hörproben, Innenansichten und Inhaltsverzeichnissen ein eigenes Bild von einem Medienprodukt zu machen. Auch war es schon damals keine Frage, dass Informationen zum Autor und Empfehlungen in Form von Pressestimmen, Bestseller-Positionen und Kundenrezensionen für den Verkauf ganz entscheidend sind.
Streitferdt: Tatsächlich zeigt sich heute, dass eine rein quantitative Auswertung des Metadaten-Status im VLB wenig hilfreich ist. Manche Häuser haben – sicherlich auch aus Kapazitätsmangel und Zeitdruck – den einfachen Weg gewählt und beispielsweise bei der Thema-Vergabe einfach ein Mapping aus der bestehenden Warengruppen-Systematik gemacht. Damit ergibt sich freilich kein Mehrwert für den Kunden und den Handel. Bereits mehrere Verlagsvertreter haben das VLB aufgefordert, der rein quantitativen auch eine qualitative Kontrolle folgen zu lassen und branchenweit wirklich einen Fortschritt bei Metadaten zu erreichen. Mit dem VLB-Gold-Status ist ein erstes Grundset gesetzt, aber wirklich spannend wird sein, die Auswirkungen der Metadaten-Qualität zu testen. Wie ändert sich beispielsweise die Positionierung meines Titels in den Webshops, wenn ich die Thema-Kategorien ändere? Welche Schlagworte und vor allem Wortkombinationen sucht der Kunde, um themengleiche Titel zu finden?
Unabhängig vom Gold-Status: Wie weit sind die Verlage insgesamt beim Thema Metadaten?
Starke: Ohne Frage gab es in den vergangenen 20 Jahren im Metadatenmanagement im deutschen Buchhandel eine gewaltige Entwicklung von Fax und Excel zu digitalen Daten und ONIX. Ich würde schätzen, dass heute mehr als 90% aller Titelmeldungen im ONIX-Format übermittelt werden und sich die grundsätzliche Ausstattung von Shops und Katalogen, insbesondere im Bereich der Mindestanforderungen, der Beschreibungen und Cover, deutlich verbessert hat.
Streitferdt: Durch Initiativen wie das VLB-Preismodell oder die digitale Vorschau begreifen immer mehr Verlage, wie wichtig gut gepflegte Metadaten für den Ein- und Abverkauf ihrer Titel sind. Einen nicht unbeträchtlichen Teil machen in Deutschland aber auch Kleinstverlage aus, für die der monetäre Anreiz durch das VLB-Preismodell nicht wirklich eine Rolle spielt, weil sie ohnehin nur die Mindestgebühr zahlen. Dagegen sind viele Selfpublisher heute schon da, wo wir Verlage erst noch hinmüssen: Sie experimentieren mit den Metadaten, um die perfekte Positionierung ihres Titels in den Shops zu erreichen.
Klingt zunächst nach einer sehr positiven Entwicklung.
Starke: Oberflächlich betrachtet, ja. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich allerdings große Unterschiede. Neben Häusern, die das Thema von der Datenerfassung und Speicherung bis zu Exporten und Qualitätssicherung professionell durchorganisiert haben, gibt es immer noch Verlage, die ihre Titeldaten in Excel-Tabellen oder Word-Dokumenten verwalten, manuell ins VLB eingeben, von dort exportieren und dann ebenfalls manuell bei den Barsortimenten hochladen. Auch die Qualität und Vollständigkeit der Meldungen an sich variieren von Verlag zu Verlag noch gewaltig. Viele Verlage liefern nur die nötigsten Informationen und schöpfen damit die Möglichkeiten der Präsentation ihrer Titel in den Shops nicht aus. Gleichzeitig ist das zur Titelmeldung verwendete ONIX-Format so komplex, dass man ein und dieselbe Information oft unterschiedlich übermitteln kann. Dies führt dazu, dass immer wieder auch gelieferte Informationen von den Empfängern nicht ausgelesen werden. Außerdem geschehen hier wie überall natürlich auch Fehler. Unser Monitoring der Listung und Vollständigkeit von Titeln in den wichtigsten Shops und Katalogen sowie die Anfragen unserer Kunden liefern uns täglich von neuem überraschende Einblicke, was hier alles schief geht und schief gehen kann. Auf der Abnehmerseite erleben wir es immer wieder, dass durch systemseitige Veränderungen plötzlich bestimmte Inhalte überhaupt nicht mehr oder sehr viel ungünstiger dargestellt werden. Das führt dann dazu, dass Verlage sich nicht mehr die Arbeit machen, diese zu produzieren oder die Qualität herunterschrauben.
Herr Streitferdt, Sie sind als erster Metadaten-Manager bei einer Publikumsverlagsgruppe eingestellt worden. Was haben Sie seitdem erzielt?
Streitferdt: Ich arbeite gemeinsam mit den Verlagen S. Fischer, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch und Droemer Knaur vor allem in vier Bereichen zusammen. Zu Beginn stand die Analyse der Metadatenqualität in den Verlagssystemen und im Handel im Vordergrund, um daraus effiziente Maßnahmen zur Optimierung der Metadaten abzuleiten. Seitdem sind die beiden wichtigsten Bereiche sicherlich Beratung und Training. Durch gezielte Schulungen ist das Verständnis vor allem im Lektorat, in dem ja die meisten Metadaten entstehen, enorm gewachsen und wir konnten die Metadatenqualität in vielen Bereichen nachhaltig verbessern. Im vierten Bereich Tools versuche ich Projekte zur Automatisierung von Metadaten verlagsübergreifend voranzubringen. Aufgrund der sich ständig ändernden Marktsituation, Relaunches von Websites und Schnittstellen ist das Thema Metadatenoptimierung nie zu Ende – da kann ich mich Herrn Starkes Worten nur anschließen.
Wie messen Sie Ihren Erfolg?
Streitferdt: Für quantitative Analysen nutzen wir vor allem Tools, die uns die Verlagssysteme bzw. unsere Handelspartner in ihren Backends bieten. Auch der VLB-Status hilft da weiter. Für die qualitative Verbesserung nutzen wir ebenfalls Tools (z.B zur Keyworddichte-Messung), jedoch sind hierfür zusätzliche Analysen durch SEO-geschulte Mitarbeiter für uns unerlässlich. Am Ende zählt natürlich der Umsatz, aber den auf das einzelne Metadatenfeld zurückzuführen, ist – noch – nicht möglich.
Auch andere Branchen haben Probleme mit ihren Produktdaten. Nach einer Studien des Software-Anbieters Fact-Finder sitzt fast jeder zweite Händler auf mangelhaften Produktdaten. Wie schlägt sich die Buchbranche im Branchenvergleich?
Streitferdt: Die Buchbranche schneidet sicher besser ab als andere. Als klassischer Content-Produzent ist das auch nicht verwunderlich. Da die Digitalisierung jedoch die Buch- und Medienbranche kräftig durchschüttelt, sind einige in eine Art Abwehrhaltung geraten, wodurch meiner Meinung nach viele Chancen vergeben werden. Hier sind andere Branchen offener, was sich nicht zuletzt an deren Produktpräsentationen und Marketing-Aktionen im Online-Handel zeigt. Allerdings würden wir Verlage uns manchmal mehr Offenheit für neue begleitende Meta- und Mediadaten wünschen. Beispielsweise lässt auf Amazon.de das Template für die Produktkategorie „Buch“ hier nicht allzu viele Spielräume. So können für Bücher keine Videotrailer direkt neben dem Cover angezeigt werden, was bei Videospielen und anderen Produktkategorien möglich ist.
Starke: Von Hause aus hatte die Buchbranche in Sachen Metadaten eine Poleposition, da ihr Produkt aus Texten, Bildern und Informationen besteht und damit digitale Daten quasi schon im Herstellungsprozess automatisch entstehen. Gleichzeitig war das Buch für den E-Commerce ein willkommenes Produkt, da es logistisch leicht zu verarbeiten war, und stand aus diesem Grund anfänglich im Zentrum des Interesses. Unter dem Motto „Content ist King“ wurden damals von allen Buchshops mit gewaltigem Aufwand Inhalte von Verlagen eingesammelt. Das ist nun schon lange vorbei. Amazon hat den einst einfach zugänglichen Kanal zur Zulieferung von Bildern und Texten abgeschaltet. Nur noch ausgewählte Verlage haben über Advantage oder ONIX-Schnittstellen Möglichkeiten, Daten direkt zuzuliefern. Alle anderen werden auf die indirekten Wege über Barsortimente und VLB verwiesen, die leider nicht immer zuverlässig funktionieren. Ich mache mir immer mal den Spaß, bei Amazon durch verschiedene Produktbereiche zu stöbern und muss sagen, dass andere Sortimente in den vergangenen zehn Jahren gegenüber dem Buch gewaltig aufgeholt haben.
Welche denn?
Starke: Wenn Sie heute die Ausstattung der Bestseller im Bereich Babyphon oder Gartengeräte mit den Bestsellern im Bereich Bücher vergleichen, sehen Sie, was ich meine. Das hängt sicher mit der Priorisierung der Warengruppen bei Amazon zusammen und auch mit der durchschnittlichen Unternehmensgröße in der Buchbranche. Es zeigt aber meiner Einschätzung nach auch, dass es uns letztlich bis heute nicht flächendeckend gelungen ist, das Thema Metadaten im deutschen Buchmarkt so zu organisieren, dass Verlage und Händler die Potenziale ausschöpfen können, ohne ständig beträchtliche Ressourcen in die vielfältigen Formate und Anforderungen sowie in die Qualitätssicherung zu investieren.
Die Fragen stellte Daniel Lenz
Das Interview ist zuerst erschienen in pubiz.kompakt Dienstleister 2016, hier kostenlos digital zu lesen
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