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Michael Dreusicke: Geschichten ganzheitlich verwerten

Michael Dreusicke: Geschichten ganzheitlich verwerten

Der Gründer von Paux steuert auf ein neues Geschäftsfeld. In einem Joint-Venture mit Verane Pick von der Agentur Counter Intelligence aus New York will Michael Dreusicke Dienstleistungen für Transmedia-Produktionen anbieten. Erstes Projekt der Kooperation soll ein Film und ein Buch von Barry Alexander Brown, oskarnominierter Filmemacher und Editor von Spike Lee, werden. Im Interview erläutert der Berliner den Transmedia-Ansatz.

Auch hierzulande beginnen einzelne Verlage wie Lübbe, ihre Buch-Texte in weiteren Kanälen und unterschiedlichen Formaten zu vermarkten, in Communities, mit digitalen (Text-)Serien bis hin zu Fernsehserien. Sehen Sie eher Risiken oder Chancen?
Als Risiko ließe sich vielleicht befürchten, dass die Abkehr von den Kernkompetenzen der Verlage eine Verwässerung des Angebotsprofils aus der Sicht der Kunden mit sich bringen könnte, etwa wie beim Buchhandel, der mit wachsendem Non-Book-Sortiment immer mehr zum Tchibo-Klon mutiert, ohne jedoch dessen Marketingkonzept korrekt erfasst und übertragen zu haben, insofern als austauschbarer Gemischtwarenhändler sein originäres Profil verliert und sich damit kulturell wie wirtschaftlich immer entbehrlicher macht.

Was ist die Kernkompetenz von Verlagen?
Aus einer Geschichte möglichst ganzheitlich erlebbare Verlagsprodukte herzustellen. Beim Vermarkten von Buchtexten auf unterschiedlichen Medienkanälen sehe ich die Sache daher vielschichtiger: Zunächst bleibt das Kernprodukt aus Kundensicht in gewisser Hinsicht dasselbe, nämlich die Manifestation einer Geschichte. In welchem Gewand sie in die Erlebniswelt des Kunden Einzug hält, ob als Erzählung, Schriftstück, Hörbuch, Spiel oder Film, ist für das Erleben insofern zweitrangig: „Harry Potter“ behält seine Identität in allen Medien, er ist in der Wahrnehmung des Kunden immer dieselbe Person.

Gibt es Grenzen bei der Übertragbarkeit von Geschichten von einem ins andere Medium?
Vielleicht würde ich es nicht „Grenzen“ nennen, sondern die Notwendigkeit, beim Wechsel von einem ins andere Medium die Vor- und Nachteile genau abzuwägen.

Was heißt das bei der Verfilmung eines Buchs?
Die Medien unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf die inneren Prozesse des Rezipienten fundamental. Jeder von uns kennt ja das ernüchternde Gefühl, wenn wir nach der Lektüre eines Buchs mit dessen Verfilmung konfrontiert werden. Hatten der reine Buchtext einst ein individuelles Kopfkino angeworfen und die Phantasie des Lesers eine Art kostenloses Customizing des Inhalts beigetragen, so wird diese persönliche Erlebniswelt durch die notwendigerweise als fremd erlebte konkrete Ausgestaltung des Films ersetzt.

Mit welchen Folgen?
Dieser Vorgang ist nicht umkehrbar, selbst wenn einem der Film zum Buch nicht gefallen hat: Man wird den Darsteller im Film nur schwer wieder vergessen und durch seine frühere Vorstellung ersetzen können. Wo in 1.000 Leser-Köpfen einst 1.000 unterschiedliche, individuelle, virtuelle Verfilmungen schlummerten, werden sie nach dem Anschauen des einen offiziellen Films von den Vorgaben des Regisseurs ersetzt, glattgebügelt, ärmer gemacht und ähneln sich nun fast wie ein Ei dem anderen. Diesen Preis zahlen wir natürlich, wenn wir das gedankliche Ausmultiplizieren der Facetten einer Geschichte nicht mehr dem menschlichen Geist, sondern Hollywood überlassen. Schon die Betrachtung von Buchtext und Film zeigt meines Erachtens, dass die inneren Prozesse, die beim Kunden ausgelöst werden, recht unterschiedlich sind und sich ergänzen, aber auch stören können.

Viele Potter-Fans haben sich über die Verfilmungen ihrer Lieblingsbücher gefreut.
Klar, wer seinen Helden liebt, freut sich über weitere Produkte hierzu. Außerdem ermöglicht der Film ein kollektives Erlebnis, indem man ihn gemeinsam anschaut und sich über einzelne Szenen austauscht. Beim Buchtext hat sich das nicht so durchgesetzt. Das gemeinsame Gespräch nach einem Film-Abend ist ja für Viele fast das Schönste, wenn man sich mit funkelnden Augen an die tollsten Szenen erinnert. Und genau diese intensive emotionale Erfahrung führt zu einer stärkeren Identifizierung des Kunden, die den Weg für weitere Monetarisierung ebnet.

Wovon hängt die Identifizierung des Kunden mit einer Geschichte ab?
Unter anderem aus der Lernpsychologie wissen wir, dass die Identifizierung des Kunden mit einem Produkt umso größer wird, je umfangreichere Interaktions- und Integrationsmöglichkeiten er hat. Je mehr der Nutzer sich über ein Produkt mit anderen austauschen, es individualisieren und um seine Beiträge anreichern, es in seine Erlebnis- und ggf. sogar Alltagswelt integrieren kann, umso höher ist die Identifikation, umso realer, wertvoller, wichtiger wird das Produkt. Ein Blick auf einen eingefleischten „Star-Wars“-Fan, der sich selbst die Ostereier im Darth-Vader-Look kauft, zeigt vielleicht am besten, was ich meine. Das eröffnet Chancen für zusätzlichen Umsatz durch crossmediale oder sogar transmedialen Verwertungen.

Wo liegen die Unterschiede zwischen „crossmedial“ und „transmedial“?
Das Verständnis von Kommunikation und Wertschöpfung ist bei transmedialen Konzepten ein neues, das sich erst aufgrund der weitreichenden Vernetztheit aller Beteiligten u.a. durch Social Media Plattformen entwickeln konnte. Während bei Crossmedia-Kampagnen hauptsächlich auf Konsistenz beim Information-Push geachtet wird, bezieht eine Transmedia-Kampagne die spätere Interaktion des Kunden mit dem Produkt sowie dessen Kommunikation mit anderen Kunden sowie weiteren Beteiligten – wie Produzenten, Autoren, Blogs etc. – schon bei der Herstellung mit in das Produkt-Konzept mit ein. Transmedial bedeutet, dass sich Interaktion nicht nur „in“ und „zwischen“ den Medien („cross“), sondern vor allem auch „jenseits“ der Medien abspielt („trans“), dass sich Menschen offline begegnen und physische Produkte erwerben und mit ihnen interagieren. Erst durch die Kombination verschiedener Medienkanäle mit den Aktivitäten der Offline-Welt erschließt sich dem Kunden die Geschichte in ihrer Ganzheit. Bei einem Transmedia-Projekt werden oft schon zu Beginn Autoren, Lektoren, Multimedia-Produzenten, technische Umsetzer, Suchmaschinenoptimierer sowie Vertriebs-, Marketing- und Social-Media-Experten an der strategischen Produktentwicklung beteiligt.

Mit welchem Ziel auf Seiten der Unternehmen?
Im Ergebnis mehr Umsatz. Allerdings nicht durch direkte Bewerbung von Produkten, sondern durch indirekte Wege zum Kunden, die oft erst aufgrund der Initiative des Kunden eröffnet werden. Um das zu erreichen, verfolgt die Transmediastrategie mehrere Ziele. Die Kunden sollen in die Produktion möglichst umfassend einbezogen werden (Abstimmung, Customer-Co-Creation und entsprechende Wettbewerbe). Die Nutzer sollen durch reichhaltige Interaktionsmöglichkeiten einbezogen werden (kommentieren, teilen, bewerten, favorisieren, anpassen, eigenen Content wie Geschichtsteile und Videos beitragen etc.), wodurch die Identifizierung mit dem Produkt und damit die Bereitschaft zunimmt, zu bezahlen und im eigenen Freundeskreis Positives über das Nutzungserlebnis zu berichten. Die Geschichte kann durch Alternate Reality Games – bei denen dem Spieler oft nicht klar ist, ob ein Ereignis, etwa das Auftauchen eines Lebensmittelbeauftragten zu einer Veranstaltung, „echt“ ist oder Teil des Spiels – möglichst weitgehend in die „Realität“ des Kunden integriert werden. Schließlich können physische Treffen von Fans, Autoren sowie Aktionen (Versteckspiele, Flashmobs etc.) unterstützt werden.

Wo sehen Sie konkret neue Umsatzquellen?
Ein wichtiger Bereich ist Markenintegation. Früher wurden z.B. Produkte in Filmen recht offensichtlich platziert: James Bond fuhr das Auto einer bestimmten Marke. Heute geschieht das subtiler, indem z.B. nur ein Ton im Hintergrund erklingt, der vom Kunden wiedererkannt wird, wie etwa das Login-Geräusch von Skype.  In Geschichten aus Büchern ließen sich bereits im Vorfeld Werbepartner einbinden, die z.B. Interesse daran haben, dass der Held der Geschichte aufgrund bestimmter Produkteigenschaften seiner Ausrüstung überlebt. Oftmals muss die entsprechende Marke dafür gar nicht genannt werden, die positive Botschaft kommt dennoch an und prägt die Marke im gewünschten Sinn. der Getränkehersteller Red Bull etwa ist als Medienhaus überaus erfolgreich damit, auf spektakulären Events sichtbar zu sein und sich so als „cool“ zu präsentieren – durch Geschmack oder die Zutaten des Getränks dürfte dessen Erfolg nicht vollständig zu erklären sein. Wäre ich Autor, würde ich daher eine Geschichte für die Zielgruppe von einem Unternehmen schreiben, das bereits medienübergreifende Kampagnen mit starker Endkundenintegration betreibt und mich darum bemühen, dieses Unternehmen oder einen Mitbewerber als Sponsor zu gewinnen.

Ich sehe noch weitere Umsatzquellen: Mit der passenden Technologie lassen sich zusätzliche Inhalte wie weitere Geschichtsteile, Comics, Videospiele, Zugänge zu Online-Fanclubs oder Veranstaltungen direkt aus einer Geschichts-App heraus erwerben bzw. gegen Entgelt freischalten. Die Kunst liegt hierbei in der geschickten Präsentation der ergänzenden Produkte und Dienstleistungen, die sich im Idealfall aufgrund der Geschichte als nächste Erlebniswelt geradezu anbieten, wie das nächste Level in einem Spiel. Eine gute Transmedia-Strategie schafft es, zwischen den verschiedenen Kanälen, Plattformen und Erlebniswelten möglichst viele Brücken für den Kunden zu bauen und diese Brücken so verheißungsvoll erscheinen zu lassen, dass der Kunde von der Geschichte gefesselt gerne für den nächsten Schritt bezahlt. Idealerweise geschieht das im Rahmen einer App, weil dort die Bezahlung komfortabel ist.

Für welche Geschichten bietet sich der transmediale Ansatz an?

Für eine umfassende Verwertung ist neben aller Technik und Strategie, wie eh und je, eine wirklich gute Geschichte die Basis. Nur sie enthält so viel Energie, dass sich die Kunden involvieren und die Geschichte durch ihren Beitrag zum Leben erwecken. Die Bedeutung des Rechtehandels wird künftig vor diesem Hintergrund vermutlich zunehmen, da es eine Vielzahl bekannter und bewährter Geschichten gibt, die transmedial noch gänzlich unerschlossen sind, deren Rechteinhaber also selbst aktiv werden oder für die Geschichten Lizenzen vergeben können.

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