Der ehemalige Innenminister Otto Schily sagte: „Wer Musikschulen schließt, gefährdet die Innere Sicherheit“. Das liegt bald 20 Jahre zurück. Er zeigte damit, dass Orte der kulturellen Praxis und Übung für Gesellschaften essentiell sind.
Der Eindruck, dass der Satz heute als noch absurder empfunden wird als damals, dass diese Gesellschaft mithin solche Orte immer weniger zu erhalten bereit scheint, drängt sich auf.
Vertiefte Kenntnis und souveränes Können der Bürger sind die beiden entscheidenden Säulen der Demokratie. Nichts weniger leisten Musikschulen – wie andere Kulturinstitutionen.
Es ist ein Irrglaube, dass Grundwerte und Demokratie sich von allein ergeben, da es sie ja nun mal gibt. Im Gegenteil, das Projekt der Demokratie fußt auf bürgerschaftlichem Engagement und dieses beruht auf Wissen, Können und Bildung.
Demokratie braucht reale Orte des Diskurses, nicht virtuelle Netze
Wie anders aber soll diese Kenntnis vermittelt, wo sonst soll dieses Können erprobt werden als an den Stätten der Kultur. Vieles von dem, was früher an Orten wie Theater, Rathaus und Kneipe den entscheidenden sozialen Entfaltungsort für bürgerschaftliches Engagement abgab, ist längst von Zusammenlegung, Schließung und Funktionsverlust bedroht. Andere Medien haben das übernommen und damit das Engagement sozial entkernt.
Wer glaubt aber noch ernsthaft, dass der digitale Postmaterialismus, der diese alten Orte obsolet erscheinen lässt, mit Demokratisierung einherginge?
Für die angemessen komplexe Gesamtdarstellung der Gesellschaft bleibt das Buch ihr wichtigstes Medium und Buchhandlungen wie Bibliotheken die Medien dieser zentralen Darstellungsform. Sie sind kulturelles Gedächtnis, Erfahrungsort und geben Impulse zur gesellschaftlichen Veränderung.
Es mag Zufall sein, zeigt aber eine bittere Ironie, dass die Deutsche Bahn sich in Köln genötigt sah, für den erweiterten Platzbedarf der Bundespolizei ausgerechnet einer Buchhandlung den Mietvertrag im Hauptbahnhof nicht zu verlängern. Der lange Schatten der dortigen Silvester-Nacht 2015, die man auch schon als Kulturbruch bezeichnete, liegt auf dieser Kündigung.
Die Bücher gehen, die Polizei kommt
Um Sicherheit weiter zu gewährleisten, wird nun genau das aufgegeben, um derentwillen Sicherheit geschaffen wird. Die Bücher gehen, die Polizei kommt. In diesem Wechsel der Mieter liegt zugleich der Wechsel von geistiger Wachheit zur Wachtmeisterei.
Damit auch das klar ist: Stadt, Bahn und Polizei haben ihre Aufgaben, an deren Erledigung auch der Kulturbetrieb lebhaftes Interesse hat. Aber man fragt sich dann doch, durch welche politische Willensbildung wollen eigentlich diejenigen gewählt werden, die die Voraussetzungen des politischen Bewusstseins so sehr vernachlässigen?
Buchhandlungen halten dem digitalen Postmaterialismus, der gerade dabei ist, die soziale Moderne auszuhebeln, das gut geschriebene und gut gemachte Buch entgegen. Hier gehen Bildungsstand als selbstreflexives Wissen und Mittelstand als selbstbewusstes Können eine produktive Allianz ein.
Und die Buchhandlung Ludwig im Hauptbahnhof von Köln – alles andere als das, was man sich so unter Bahnhofsbuchhandel vorstellen mag – hat Dank der geistigen Eigenständigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Sortiment, das der Komplexität der Verhältnisse mit angemessen komplexer Literatur begegnet.
Wechsel von Schönheit zur Sicherheit
In diesem Wechsel von Schönheit zur Sicherheit liegt der eigentliche Kulturbruch, weil hier mit dem Glauben an die Kultur wahrhaft gebrochen wird. Von der Schalterhalle aus können wir die Buchhandlung gut sehen, bald soll die Bundespolizei von dort aus uns besser sehen.
Ausgerechnet die gewalttätige Barbarei der Kölner Silvester-Nacht, der ja mit nichts mehr als mit Kultur (Rechtskultur natürlich eingeschlossen) begegnet werden muss, führt zur Angleichung an sie: Den Hirnen werden die Helme übergestülpt. Was gefährden Gefährder eigentlich? Was sichern Sicherheitskräfte? Buchhandlungen, so hoffe ich.
Michael Schikowski ist Autor, Verlagsvertreter und Lehrbeauftragter an den Universitäten Bonn und Düsseldorf. Er publizierte u.a. „Warum Bücher?“. Seit einigen Jahren stellt er die Erzähler des 19. und 20. Jahrhunderts in Leseabenden vor, die auf seiner Seite www.immerschoensachlich.de mit weiteren Rezensionen zu finden sind.
Der hier publizierte Text wurde zuerst bei Deutschlandradio Kultur veröffentlicht.
War zutiefst entsetzt, als ich von der geplanten Schließung, der zurecht legendären Bahnhofs-Buchhandlung Ludwig, Köln hörte. Eine Polizeikaserne statt dessen? Ich schäme mich für die gnadenlose Kulturlosigkeit der Bahn und vieler unserer Entscheidungsträger. Pfui!