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Miriam Meckel: It’s serendipity, stupid! – drei Management-Tipps

Miriam Meckel: It’s serendipity, stupid! – drei Management-Tipps

In einer Welt, in der Verlage punktgenau kalkulieren, Vorhersagen treffen und sich auf individuelle Produktnutzungsmuster, Kundenwünsche und das ganze Spektrum prädiktiver Daten zu Entscheidungen und Handlungsweisen einstellen können, wird kaum noch Spielraum für zufällige Entdeckungen bleiben. Serendipität als „zufällige Erkenntnis“ wird ganz einfach aus der Gleichung herausfallen. Für Verlage birgt dieser Prozess eine Gefahr, die sich unter „Erfolg erzeugt Misserfolg“ zusammenfassen lässt.

Von einem fachspezifischen Gesichtspunkt betrachtet, beschreibt dies, wie die ungesteuerten Innovationsprozesse, die über bekannte Vorlieben und Wünsche sowie vertraute Lösungen hinausgehen, völlig zum Erliegen kommen – eine echte Herausforderung für die Verlagsbranche.

Betrachten Sie Überraschung als zentralen Motor der Lebenserfahrung
Das Gegenmittel zum Zustand der auf Big Data beruhenden Langeweile ist Serendipität – ungeplante Entdeckungen, die durch Zufall gemacht werden. Sie kann nicht nur bei der Innovation eine entscheidende Rolle spielen, sondern sich auch bei der Ermittlung neuer Kundenverhaltensmuster und der Entwicklung neuer Produkte als unverzichtbar erweisen. Verlage können diese Erkenntnis zu ihrem Vorteil nutzen: Was könnte verlockender sein als eine Geschichte, eine Erzählung, die den Leser überrascht und inspiriert? Das Geschichtenerzählen ist nicht tot. In einer immer stärker auf Kundenwünsche ausgerichteten Welt wird es sogar eine Wiederbelebung erfahren. Und es wird sich zu einem gegenseitigen Austausch zwischen Autoren, Lesern und Verlagen entwickeln.

Hüten Sie sich vor übermäßiger Personalisierung im Verlagswesen
Es ist eine Sache, dass Amazon uns anhand unserer individuellen Vorlieben, die der umfangreiche Datenfluss im Internet dokumentiert, Bücher anbietet, die wir möglicherweise kaufen und lesen möchten. Eine andere ist es, dass die auf Vorlieben basierte Personalisierung Schritt für Schritt von den Geschichten und Erzählungen in der Verlagswelt Besitz ergreifen könnte. Indem sie einen elektronischen Reader benutzen, versorgen Kunden die Verlage mit einer riesigen Menge an Daten: Wie lange hat der Lesevorgang gedauert, wo gab es Unterbrechungen, welche virtuellen Lesezeichen wurden gesetzt, welche Kommentare ergänzt, welchen alternativen Handlungsablauf hätte man sich für die Erzählung gewünscht? Das mag alles hilfreiche Einsichten liefern, um sich noch besser auf die Bedürfnisse des Kunden einstellen zu können. Aber es birgt auch eine Gefahr für den Kunden als Leser: die Gefahr, in die Bequemlichkeitsfalle zu tappen, die darin besteht, sich zu sehr an Dienstleistungen und Produkte zu gewöhnen, die exakt an die individuellen Vorlieben angepasst sind. Wenn der Ausgang jeder Geschichte der Erwartung entspricht und vorhersehbar ist, bleibt am Ende nur Langeweile.

Machen Sie sich den Leser als Individuum und als Teil einer Community zunutze
Es kann also keine gute Idee sein, aufgrund einer übermäßigen Personalisierung in der Kundenbeziehung auf Serendipität zu verzichten. Gerade Verlage müssen ihre Kundenorientierung in Bezug auf strategische Finesse und die Entwicklung eines angemessenen Beziehungsmanagements mit den Kunden als Lesern überdenken. In einer überanalysierten, vollständig durchkalkulierten Welt, in der grundsätzlich jemand anders als Erster weiß, was ich will und was ich tun werde, können Verlage zu Trendsettern werden. Indem sie eine Social-Media-Strategie einführen, die nicht nur auf Marketingchancen ausgerichtet ist, sondern den Leser als „Komplizen“ definiert, können Verlage sich differenziertes und inspirierendes Feedback sichern, neue Strategien und Produkte testen und ein Community-Management entwickeln, das jedem Einzelnen ermöglicht, seine inspirierenden Ideen beizutragen – nicht nur als Datensatz für Marketingzwecke, sondern als Ideenscout für das Lesen und Geschichtenerzählen.

Dr. Miriam Meckel ist Professorin für Unternehmenskommunikation und Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen (Schweiz).

Meckel leitet im Rahmen des St. Gallen International Publishing Management Course eine Sitzung zum Thema „Social Media: Crowd-Management und Community-Aufbau“.

Der Kurs (1. Modul: 2.-6. September 2013 in St.Gallen, 2. Modul: 6.-11. Oktober 2013 auf der Frankfurter Buchmesse) wurde vom MCM Institut der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der Frankfurt Academy entwickelt und vermittelt Expertenwissen, um Verlage und Medienunternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen. Hier weitere Infos.

Im buchreport-Blog hat zuletzt auch Lucy Küng Management-Tipps gegeben.

Kommentare

4 Kommentare zu "Miriam Meckel: It’s serendipity, stupid! – drei Management-Tipps"

  1. Woher stammt denn die Annahme, das „Verlage punktgenau kalkulieren, Vorhersagen treffen …“? Die Realität sieht doch ganz anders aus. Ganz wenige Bücher bringen den Verlagen so viel Gewinn, damit man die Verlustbringer kompensieren kann. Das geht Verlagen genau so wie der Musikindustrie oder Venture Kapitalisten, wo nur ein kleiner Bruchteil der Invests Profit abwirft, Weiterhin würde ich sagen, das „Big Data“ bei den Verlagen als zwar als Buzzword vorkommt, jedoch kaum ein Verlag die Möglichkeiten einer echten Big data Analyse hat. Wenn überhaupt, so kann das Amazon und vielleicht Apple. Den Verlagen fehlen nicht nur die Daten, sondern auch meist die Statistiker, die sie richtig deuten können. Die Realität ist doch eher so, dass es Shops wie Amazon mit gewaltiger Statistik manchmal schaffen, den Kunden sinnvolle Kaufempfehlungen aus der Analyse des einzelnen Kunden und der riesigen Masse zu geben. Die Mehrzahl der Käufe wird doch ganz anders getriggert: Empfehlungen von Freunden, Presseberichte und häufig blanker Zufall. So zu tun, als ob alles schon so determiniert wäre, dass es kaum noch Zufälle gibt, ist doch absurd. Das genaue Gegenteil ist der Fall. man kennt die Leser garnicht, aber manchmal landet ein Verlag zufällig einen Treffer.

    Es gibt böse Gerüchte, dass aus St. Gallen viel Marketing Gedöns kommt. Hmm! Das kommentiere ich mal nicht.

  2. birgitgrundler | 17. Mai 2013 um 15:54 | Antworten

    Nicole Krauss hat 2011 einen Artikel geschrieben, der in die gleiche Richtung geht:

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/e-books-retten-wir-die-buchhandlung-1608973.html

  3. Ich glaube, dass mit dem Gegensatz von „Big Data“ und „Serendipität“ („zufällige Erkenntnis“) eine Chimäre aufgebaut wird, der in der wirklichen Welt nichts entspricht.

    Was ist denn eigentlich eine „Erkenntnis“? Erkenntnis besteht doch darin, dass wir die Welt beobachten und auf der Basis dieser
    Beobachtungen Hypothesen darüber aufstellen, wie wir (im weitesten Sinne) erfolgreich handeln können.

    Die Beobachtung, die uns mit der Welt bekannt macht, kann man auch als Strom von Sinnesdaten beschreiben, die wir mit Hilfe unseres Geistes verarbeiten. Verglichen mit den Daten, die Amazon sammelt, ist dieser Strom von Sinnesdaten wirklich „Big Data“.

    Der Buchhändler kann die Kunden, die in seinen Laden kommen,
    beobachten und mit ihnen reden. Aus den Sinnesdaten, die er so erhält, kann er mit Hilfe seines Denkvermögens Erkenntnisse ableiten, die zu Handlungen führen mit dem Ziel erfolgreich zu sein (wie immer er Erfolg als Ziel definiert).

    Herr Bezos kann seine Kunden aber nicht in gleicher Weise
    beobachten, wenn diese am Computer sitzen, hin- und herklicken und dann irgendwann etwas kaufen. Wenn er einen einigermaßen relevanten Überblick haben will, muss er einen Strom von Daten erzeugen, der abstrakter ist, als die üblichen Sinnesdaten. Aber dennoch handelt es sich um zwei Datenströme, die mit der gleichen Absicht aufgenommen und verarbeitet werden.

    Einen Teil dieser verarbeiteten Daten stellt Amazon wieder zur Verfügung – in Form von Buchempfehlungen. Mit diesen Daten geht der Kunde um wie mit Sinnesdaten: er versucht mit Hilfe des Denkvermögens abzuleiten, wie man auf ihrer Basis erfolgreich handeln kann. Das hat bei mir schon mehrfach gut funktioniert, nämlich immer dann, wenn ich auf Grund von solchen Empfehlungen ein wirklich passendes Buch gefunden habe.

    Wenn ich Frau Dr. Meckel richtig verstehe unterscheiden sich für sie die Erkenntnisse, die aus „Big Data“ gewonnen werden, von denen, die aus Sinnesdaten gewonnen werden. Letztere können „zufällige Erkenntnisse“ sein, während erstere determiniert sind. Dieser Einschätzung liegt offenbar einerseits der Pessimismus zugrunde, dass die Welt vollständig berechenbar sein könnte, und andererseits der Optimismus, wir könnten etwas finden, was wir nicht schon suchen.

    Beides sind aber Glaubensfragen. Jedenfalls führt Frau Dr. Meckel für keine der Positionen ein Argument an.

    Die These des Textes, dass man als Buchhändler oder Verleger erfolgreicher sein wird oder sich jedenfalls besser fühlt, wenn man sich auf Sinnesdaten statt auf abstrakte Daten verläßt, ist deshalb meiner Meinung nach nicht haltbar.

  4. Je mehr Kalkulationen es gibt, desto weniger Individualismus wird vorhanden sein. Die Verlage sollten sich darauf konzentrieren, wie besonders ein Werk ist anstatt es in Zahlen zu packen. Eins geht nicht mit dem anderen, auf Dauer.

    LG

    Clemens
    http://www.esmokeking.de/

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