Die Auswertung der Kundendaten, unter dem Stichwort „Big Data“ zusammengefasst, bietet Verlagen neue Chancen und Möglichkeiten, ihre Produkte auf die Zielgruppe zuzuschneiden. Gleichzeitig drängen branchenfremde Unternehmen in den Markt – und drohen damit, die Verlage überflüssig zu machen. Wie Verlage sich auf die Entwicklung einstellen, war Thema einer Podiumsdiskussion der Akademie des Deutschen Buchhandels auf der Frankfurter Buchmesse – moderiert von buchreport-Chefredakteur Thomas Wilking.
Dank der Social-Media-Angebote können Verlage und Unternehmen heute auf sehr viele, kleinteilige Informationen zurückgreifen, die über verschiedene Plattformen verstreut sind, erläutert Tim Bruysten, Professor für Kommunikationsmanagement an der Mediadesign Hochschule Düsseldorf und geschäftsführender Gesellschafter von „Richtwert“. Beim Social Media Monitoring gehe es darum, diese Datensätze ausfindig zu machen, in eine relevante Struktur zu bringen und auszuwerten. Anders als der Name vermuten lässt, gehe es bei „Big Data“ nicht etwa darum, möglichst viele Daten zu gewinnen. Sondern darum, die richtigen Fragen zu stellen – und mithilfe der Daten Lösungen zu entwickeln.
Aus Sicht von Gunther Schunk, Leiter Kommunikation und Corporate Marketing beim Fachverlag Vogel Business Media, sind Fachverlage prädestiniert für Social Media Marketing: Entscheidend für den Kunden sei nicht die Menge des Wissens – heutzutage würden die Menschen mit Wissen und Informationen überschüttet. Wichtig sei es vielmehr – und darin liege die Aufgabe der Fachverlage – die relevanten Informationen für den Kunden zu kanalisieren. Dank Social Media könne man diese Informationen passgenau und individuell auf die Zielgruppe zuschneiden.
Big Data sei aber kein neues Phänomen, ergänzt Ulrich Hermann, Chef von Wolters Kluwer Deutschland. Nur: „In der digitalen Welt sind die Eintrittsbarrieren inzwischen viel niedriger, man muss kein Marktforschungsinstitut beauftragen, um diese Daten zu bekommen.“ Es finde ein Wandel statt – von den reinen Inhalten hin zum Kunden und seinen Arbeitsprozessen. Der Verlag könnten jetzt analysieren: Wie arbeitet ein Kunde mit Inhalten? In welchem Kontext braucht er welche Informationen? Dadurch habe er die Möglichkeit, die relevanten Informationen passgenau zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Über die Plattform „Jurion“ wisse Wolters Kluwer genau, was die Kunden in welchem Moment gesucht haben. „So kann ich dem Kunden das Passende anbieten oder auch Kunden zusammenführen, die an ähnlichen Themen arbeiten.“ Die Informationen würden viel granularer und detaillierter.
Für Jörg Plathner, Leiter Digitale Medien bei MairDumont, bietet Social Media vor allem die Chance, bei der Entwicklung der Produkte auch die Zielgruppe miteinzubeziehen. „Ein Haus wie MairDumont ist ein Empfehlungsbusiness. Bisher haben wir vor allem auf Experten gesetzt, die sich in einem bestimmten Gebiet gut auskennen und darauf basierend Empfehlungen ausgesprochen haben“, so Plathner. Jetzt habe der Reiseführer-Verlag die Möglichkeit, auch die Nutzer einzubeziehen und zu ermitteln, welche Orte und Sehenswürdigkeiten vor Ort besonders beliebt sind. Aufgabe des Verlags sei es, diese Nutzungsszenarien zu erfassen und auswerten – und auf diese Weise relevante Informationen zu generieren – basierend auf den Meinungen des Publikums und der Experten.
Auch wenn die auf dem Podium anwesenden Verlage hierzulande weit vorne lägen, was Social Media angehe, lägen sie im weltweiten Maßstab hinten, warnt Kommunikationsprofessor Bruysten. Die Verlage müssen aufpassen, dass ihre Inhalte nicht von großen Technologiekonzernen vereinnahmt werden. So habe IBM mit „Watson“ ein Werkzeug entwickelt, das das Potential habe, die Fachverlage zu ersetzen – indem es etwa die Fragen der Ärzte direkt im Operationssaal beantwortet und dafür auf 80% der Fachliteratur zurückgreift.
„Wir haben kaum Sorge, dass Google oder andere Dienste in unseren Workflows Fuß fassen, da wir die relevanten Inhalte im Arbeitsprozess bereitstellen“, entgegnet Hermann von Wolters Kluwer. Verlage hätten einen Wissens- oder Wettbewerbsvorteil, weil sie die Arbeitsprozesse ihrer Kunden genau kennen und Drittanbietern diese Workflow-Informationen nicht zur Verfügung stehen.
„Wir alle haben erkannt, dass das Wettbewerbsfeld nicht mehr der Verlag von gegenüber ist. Statt in einem lokalen, stehen wir in einem globalen Wettbewerb, in den branchenfremde Betriebe in andere Bereich einbrechen“, verweist Plathner von MairDumont darauf, dass Google, der kürzlich den Reiseführerverlage Frommers gekauft hat. Die Verlage müssten ihre Strategie daran anpassen, dass ihre Wettbewerber inzwischen an ganz anderen Stellen sitzen.
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