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Mit Leidenschaft am kalten Material

Hubert Winkels beschäftigt sich seit über 30 Jahren beruflich mit Büchern. In seinem neuen Buch „Kann man Bücher lieben?“ erzählt er von seiner Passion: „Ich schätze den Bestand allein der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (nach 1945 also) auf über 5000 Bücher. In etwa auf dieselbe Zahl kamen die Bücher in meinem Ar­beitszimmer, hier allerdings so hoch gestellt und gestapelt, dass man nur mit einer etwas wackligen selbst gezimmerten Bücherleiter an die oberen 1000 kam.“

Ihr neues Buch heißt: „Kann man Bücher lieben?“ Darf man es denn als Literaturkritiker?
Das ist die heikelste Frage überhaupt. Vor einigen Jahren gab es eine Grundsatzdebatte zwischen Emphatikern wie Elke Heidenreich, die Leidenschaft und Emphase für ein bestimmtes Buch auf ihrer Seite reklamierten, und Gnostikern wie mir, die für einen kritischeren Zugang plädierten. Aber der Zwiespalt bleibt: Einerseits sind Liebe und Leidenschaft für das schöne Buch die Grundvoraussetzungen für einen Literaturkritiker, um seine Arbeit gut machen zu können. Andererseits muss er sein Material kalt halten, rational operieren und durchschauen, wie Bücher gearbeitet sind. Eine andere Frage ist die Liebe zu Büchern als Gegenständen, die schwer in der Landschaft herumstehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass diese Liebe auch zur Belastung werden kann: Ich habe früh angefangen, Bücher zu sammeln und damit auch nie aufhören können. Das hat mich schon in schwere Nöte gebracht. Ich habe zum Beispiel mittlerweile zwei Wohnungen voller Bücher zu vermieten. Da kann nur jemand einziehen, der bereit ist, zwischen ca. 2000 Büchern zu leben.

Ihr Kollege Tilman Krause hat vor kurzem in der „Literarischen Welt“ beklagt, dass zur Zeit statt Literaturkritik viel zu oft „Literaturpolitik“ zwischen gegnerischen Lagern betrieben werde …
Ich behaupte schlichtweg das Gegenteil: In der Literaturkritik gibt es nicht mehr so schroffe Gegensätze von Lagern und Mentalitäten wie früher. Da waren zum Beispiel Avantgardisten und Konventionelle klar getrennt, und dass es etwa in den 60-er Jahren politisch viel deutlicher geschiedene Lager gab, versteht sich von selbst. Diese Oppositionen haben sich weitgehend verloren, politische und ästhetische Haltungen sind flexibler und wandelbarer geworden, und das ist auch gut so. Vielleicht steht hinter der Analyse von Tilman Krause in Wirklichkeit Wunschdenken: Er hätte gerne ein richtig freches Gegenüber, das er zum Duell fordern kann.

Krause schreibt zum Beispiel vom Gegensatz zwischen „Hanser-Fraktion“ und „Suhrkamp-Fraktion“ …
Dazu würde ich halb scherzhaft sagen: Viel zu eng gezogen. Ich plädiere für die KiWi-Kultur, als einer zur Populärkultur hin geöffneten Intellektualität. Da gibt es im Verlagsprogramm Helge Schneider und Mario Adorf neben David Foster Wallace, Thomas Hettche und Anne Duden – das ist schon etwas anderes als die strenge Prominenz der Intellektualität, wie Suhrkamp sie immer gepflegt hat. Zu der ist doch Hanser nur ein Seitenzweig, der zwischendurch mal die besseren Bücher macht. Aber im Ernst: So ein Statement kann ich mir auch nur erlauben, weil ich selber seit 25 Jahren KiWi-Autor und mit dem Verleger eng befreundet bin. Da nimmt es sowieso niemand ernst …

Heißt das im Klartext, dass Literaturkritiker zwar Bücher, aber nicht Verlage lieben dürfen?
Sie sollten es tunlichst nicht. Man kann eine bestimmte Verlagskultur mögen, aber es darf nicht den Blick verstellen; bei der Beurteilung von Büchern darf es keine Rolle spielen. Wenn ich zum ersten Mal ein Buch nicht so hart anfassen würde, weil es aus einem mir nahestehenden Verlag kommt, müsste ich sofort den Beruf wechseln. Wer als Kritiker arbeitet, muss an jedem Punkt seiner Tätigkeit seine komplette Unabhängigkeit zu erkennen geben. Es ist, nebenbei bemerkt, allerdings etwas weniger streng, wenn ich eher als Literaturjournalist auftrete denn als Kritiker, etwa wenn ich bei einer Festveranstaltung eine Laudatio halte, Interviews mache oder eine homestory schreibe.

Wie frustrierend ist es für Literaturkritiker, dass sie heutzutage keine Bestseller mehr „machen“?
Zunächst einmal: Der Einfluss der Literaturkritiker war immer schon begrenzt. Es wird gelegentlich getuschelt, dieses oder jenes Medium habe große Resonanz im Buchhandel, aber das ist meistens nicht recht nachzuvollziehen. „Das Literarische Quartett“ oder Elke Heidenreich, die ich aber ohnehin nicht als Literaturkritikerin im engeren Sinne bezeichnen würde, waren Ausnahmen. Für den Kritiker selber ist das in seinem Selbstverständnis aber auch unerheblich. Natürlich will man mit einem Urteil über ein Buch, das man aus ästhetischen Gründen für wichtig hält, in der literarisch-kulturellen Öffentlichkeit wahrgenommen werden, aber nicht um jeden Preis. Ich bemühe mich zum Beispiel, keine Sätze zu formulieren, die sich als Werbezitate für den Buchdeckel eignen. Man sollte andererseits aber auch nicht unterschätzen, dass wir Literaturkritiker ja an vielen Stellen im Literaturbetrieb daran mitarbeiten, Bücher bekannt zu machen, zum Beispiel als Mitglieder in Buchpreis-Jurys oder als Moderatoren auf Literaturfestivals. Dadurch nehmen wir schon wahrnehmbar daran teil, dass Autoren bekannt werden und sich durchsetzen. Das ist nicht das erklärte Ziel meiner Arbeit, aber es ergibt sich einfach daraus, wenn man sich hauptberuflich mit Literatur beschäftigt. Insofern hält sich meine Desillusionierung in Grenzen.

Schlägt Ihnen das Internet-Rauschen um Literatur aufs Gemüt oder bereichert es Ihre Arbeit?
Ich bin ein für sein Leben endgültig geprägter Mensch der klassischen Medien. Mit  dieser unscharfen Öffentlichkeit, die sich im Netz bildet, kann ich in kaum einem Bereich etwas anfangen. Ich bin auch der Meinung, dass wir weiterhin ein Forum brauchen, auf dem die Gebildeten und Interessierten eine klare Auswahl und kenntnisreiche, historisch begründete und ausgewogene Urteile bekommen. Das gibt es im Internet sicher auch, aber es ist mühselig und schwierig, es dort aus all dem Trash auszugraben. In den überregionalen Zeitungen, die sich Literaturkritik gönnen, besteht dagegen eine späte bürgerliche Öffentlichkeit, in der von freien Individuen verhandelt wird, was ihnen ästhetisch wichtig und teuer ist. An dieser Form möchte ich so lange wie möglich festhalten. Nicht nur, weil ich sie als gesellschaftliche Form für sinnvoll und gut befinde, sondern auch, weil es die Welt repräsentiert, in der ich und viele andere lesen gelernt und ihren Weltzugang erworben haben.

Wie können Literaturkritiker damit umgehen, dass der Buchmarkt immer schneller wird?
Man muss eben damit umzugehen lernen. Das Zeitfenster, in dem man im Feuilleton etwas platzieren kann, verengt sich stark. Man muss bei immer mehr Büchern schon fast an ihrem Erscheinungstermin präsent sein, und damit nimmt natürlich auch der Zeitdruck zu. Als Diagnose für den Kulturbetrieb kann man das natürlich nur bedauern, denn warum soll man über ein gutes Buch nicht auch ein halbes Jahr nach seinem Erscheinen sprechen können? Und natürlich geht mit der zunehmenden Schnelligkeit auch Nachhaltigkeit im Umgang mit Literatur verloren. Was das langfristig für die Rezeption von Literatur bedeuten wird, ist noch völlig offen. Für das operative Geschäft der Literaturkritik, gerade im Bereich der schönen, anspruchsvollen Literatur, wäre eine Entschleunigung zu wünschen.

Die Fragen stellte David Wengenroth

Zur Person: Hubert Winkels

1955 geboren, studierte Germanistik und Philosophie, promovierte über deutsche Gegenwarts­literatur und lebte als Literaturkritiker und freier Schriftsteller. Seit 1988 ist er Literaturkritiker für die „Zeit“. Seit 1997 ist er außerdem Literaturredakteur beim Deutschlandfunk. Winkels ist selbst als Autor belletristischer Werke sowie zahlreicher literaturkritischer Bücher in Erscheinung getreten. Bei Kiepenheuer & Witsch sind von ihm u.a. erschienen: „Ausnahmezustand. Erzählungen“ (1986), „Leselust und Bildermacht. Über Literatur, Fernsehen und Neue Medien“ (1997), „Gute Zeichen. Deutsche Literatur 1995–2005“ (2005).

Foto:

Amrei-Marie

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