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Mit Schönheit allein kommt man nicht weit

Trotz Konzentration und Filialisierung gibt es immer noch Unikate der Branche, Buchhandlungen mit un­verwechselbarem Ambiente. Rainer Moritz, Chef des Hamburger Literaturhauses, und der Fotograf Reto Guntli haben für den Gerstenberg Verlag ihre 20 schönsten Buchhandlungen Europas porträtiert (das Buch haben wir hier ausführlich vorgestellt). Im Interview spricht Moritz über die Ästhetik von Buchhandlungen, die Bedeutung einer gu­ten Beratung und die Unterschiede in der Buchhandelslandschaft von Deutschland und anderen europäischen Ländern. (Das Foto zeigt die Kunstbuchhandlung Bookabar in Rom)

Wie kam die Idee zum Buch zustande?
Das Buch entsprang einer Idee des  Gerstenberg Verlags, der bereits vor ein paar Jahren einen Bildband über Privatbibliotheken publiziert hatte und mir vorschlug, ein ähnliches Buch über die schönsten Buchhandlungen Europas zu machen. Der Verlag hat eine Liste mit möglichen Kandidaten erstellt, ich habe versucht, zu ergänzen und nachzutragen, so dass am Schluss eine – natürlich subjektive und willkürliche – Auswahl besonders eindrucksvoller Buchhandlungen aus dem deutschsprachigen Raum und Westeuropa vorlag.

Nach welchen Kriterien wurde die Auswahl getroffen?
Es ist eine Mischung aus Buchhandlungen, die architektonisch besonders bemerkenswert sind, eine besonders eindrucksvolle Geschichte aufweisen, Bücher ungewöhnlich präsentieren und die durch hervorragenden Service auffallen. Es kommen verschiedene Komponenten zusammen, wobei in den Buchhandlungen die einzelnen Aspekte unterschiedlich ausgeprägt sind.

Was fällt stärker ins Gewicht: Eine umfangreiche und gut sortierte Buchauswahl oder eine besonders schöne Gestaltung?
Es muss beides zusammenkommen: Schönheit allein nützt wenig, eine Buchhandlung, die nur eine schöne Architektur oder ein schönes Interieur hat, kommt nicht weit, wenn sie nicht auch über einen guten Service verfügt, ein außergewöhnliches Angebot hat und besondere Schwerpunkte im Sortiment setzt. Zum Glück gibt es ja Buchhandlungen, die das perfekt verbinden.

Wann trifft die Gestaltung einer Buchhandlung Ihren Sinn für Ästhetik?
Da gibt es sehr große Unterschiede: Wir haben mit Bookàbar eine Buchhandlung in Rom in einem Museum besucht, die ganz modern gestaltet ist, in kühlem Weiß gehalten und mit klaren Strukturen eingerichtet. Dann gibt es die klassischen Traditionsunternehmen. Das Musterbeispiel ist wohl die Buchhandlung Lello in Porto, die in einem eigens dafür gebauten 100 Jahre alten Haus residiert, gestaltet in einer Art neugotischem Stil mit einer knallrot lackierten Schmucktreppe, wie man sie eher im Entree eines Schlosses erwartet. So hat jede Buchhandlung letztlich ihren eigenen besonderen Charme, aber der hängt nicht davon ab, dass es unbedingt nur alte Buchhandlungen sind, wo die Patina von den Wänden rieselt, auch eine moderne Gestaltung kann für ein besonderes Erscheinungsbild sorgen.

Haben Sie Schönheitstipps für Buchhändler ohne denkmalgeschützte Immobilie, mit durchschnittlich großem Ladenlokal an wenig spektakulärem Standort einer Kleinstadt?
Schon die Auswahl in unserem Band zeigt, dass man auch unter diesen Voraussetzungen einen prägnanten Auftritt haben kann. Es muss nicht immer London oder Paris sein, nehmen Sie beispielsweise die Buchhandlung Schaumburg in Stade, das nicht der Nabel der Welt ist. Es ist eine sehr alte Buchhandlung, wo man es verstanden hat, die Tradition einerseits zu pflegen, dann aber auch immer wieder zu modernisieren. So werden besondere Requisiten eingebaut, Dinge, die mit dem Ort Stade verbunden sind. Ein weiteres Musterbeispiel ist in Freiburg die Buchhandlung zum Wetzstein, wo der Inhaber Thomas Bader im wahrsten Sinne des Wortes seiner Buchhandlung eine eigene Handschrift gegeben hat: Er hat Gedichte ins Fenster gehängt, in seiner sehr markanten Handschrift. Das zeigt: Man kann aus jedem Ort etwas machen, wenn man eine Idee hat, originelle Wege geht und nicht auf 08/15 setzt.

Wie steht es um die inneren Werte: Welche buchhändlerischen Dienstleistungen halten Sie für unverzichtbar?
In Porto habe ich mit Antero Braga gesprochen, dem Inhaber von Lello, einer Buchhandlung, die in jedem Porto-Reiseführer steht und als Sehenswürdigkeit im Stadtplan verankert ist. Trotzdem ist Braga natürlich klug genug zu sagen, dass er allein mit dieser Attraktion nicht durchkommt. Er hat Mitarbeiter, die besser bezahlt werden als in anderen Buchhandlungen, die aber auch entsprechend hoch qualifiziert und dem Service verpflichtet sind. Ganz auffällig war es in Paris bei Galignani, dort habe ich ein wenig bei Kundengesprächen gelauscht: Die Mitarbeiter sind literarisch beschlagen, wissen etwa bei Nachfragen zu Romanen, welche Übersetzungen es gibt und welche Qualitäten die unterschiedlichen Übertragungen haben. Das ist ein Aspekt, der immer wichtiger wird, wo man doch heute immer klagt, dass in großen Buchhandlungen kaum noch fundierter Rat gegeben wird.

Der Schriftsteller Max Goldt schätzt an einer Buchhandlung „Geräumigkeit und Staubfreiheit“. Die bei Buchhändlern beliebteste Antwort, „gute Beratung“, nehme er dagegen nie in Anspruch.
Dem stimme ich zu, aber die gute Beratung muss möglich sein. Ich gehe in eine Buchhandlung und bin auch erst einmal froh, wenn ich nicht angesprochen werde. Ich werde auch im Hosenladen nicht gern angesprochen, weil ich mir erst einmal ein Bild des Beinkleidersortiments machen möchte. Aber man muss die Gewähr haben: Wenn ich eine Frage habe oder etwas Bestimmtes suche, muss sofort jemand Kundiges ansprechbar sein. Für den Buchhändler ist es eine Sache des psychologischen Gespürs, wann der Kunde etwas will. Was die Geräumigkeit betrifft, hat Goldt ebenfalls recht: Man muss Sitzgelegenheiten haben, muss Möglichkeiten bieten, sich zurückzuziehen, und jede vernünftige Buchhandlung schafft es, solche Nischen einzurichten. Im zu Thalia gehörenden Buchhaus Campe in Nürnberg führen breite Gänge zu den Segmenten, gleichzeitig hat man es sehr gut verstanden, auf der riesigen Fläche genügend Rückzugswinkel zu schaffen.
Als Literaturkritiker sind Sie gut informiert über Neuerscheinungen der Verlage.

Wann haben Sie zuletzt eine literarische Entdeckung in einer deutschen Buchhandlung gemacht?
Ich streife regelmäßig ein bis zweimal die Woche durch Buchhandlungen. Wir haben hier bei uns im Hause etwa die Buchhandlung Samtleben, die sehr gut sortiert ist. Dabei finde ich eigentlich immer etwas, was mir zuvor nicht aufgefallen war. Und genau das ist ein gutes Zeichen: Wenn es einer Buchhandlung gelingt, neugierig zu machen, nicht nur das klassische Bestsellersortiment zu präsentieren, sondern auch Entlegenes und Bücher aus Kleinverlagen anzubieten.

Wohin zieht es Sie als Erstes, wenn Sie eine neue Buchhandlung betreten?
Ich versuche mir immer ein Überblick zu verschaffen, gehe erst einmal durch die ganze Buchhandlung, schaue in die Winkel und bleibe meist zunächst am Belletristik-Regal oder am Tisch mit den Neuerscheinungen stehen, um zu sehen, welche Novitäten mir vielleicht entgangen sind. Man bekommt schon einen ersten Eindruck, wenn man vor dem Schaufenster einer Buchhandlung steht: Wie wird präsentiert? Ist die Gestaltung individuell? Wie werden inhaltliche Schwerpunkte gesetzt?

Die im Band vorgestellten Buchhandlungen bieten Buchrecherche, Geschenkdienst und monatliche Empfehlungen. Reicht das, um gegen die Filialisten zu bestehen?
In dieser Frage ist Daunt Books besonders aufschlussreich, ein Unternehmen mit fünf Filialen in London, das als Flaggschiff der unabhängigen Buchhandlungen in Großbritannien gilt. Vor allem aus dem Grund, weil in England und den USA ja noch ein schärferer Wind weht auf dem Buchhandelsmarkt; es wird mit viel härteren Bandagen gefochten als in Deutschland. Bei Daunt Books wird ein besonderes Sortiment geboten, verbunden mit sehr professioneller Betreuung, denn man sollte nicht so tun, als sei jede kleine altmodische Buchhandlung automatisch eine gute Buchhandlung. Das wirkt immer rührend, aber viele Buchhändler sind auch selber schuld, wenn ihnen die Kunden weglaufen, weil sie keinerlei Rücksicht nehmen auf den Publikumsgeschmack. Es lässt sich sehr wohl gängige Ware bieten, ohne nur John Grisham oder Patricia Cornwell im Angebot zu haben. Es sind wohl diejenigen unabhängigen Unternehmen erfolgreich, die Professionalität mit einem Rahmen verbinden, der so etwas wie eine Aura vermittelt.

Mittlerweile sind eine ganze Reihe an klangvollen Namen unter das Dach von Buchfilialisten gewandert. Zwei davon – Stauffacher und Campe – haben Sie im Buch porträtiert. Was bleibt von der Individualität, wenn der Filialist seinen Stempel aufdrückt?
Wir haben bewusst diese Buchhandlungen aufgenommen, weil ich bei beiden den Eindruck hatte, dass kein Einheitsbild oktroyiert wird. Thalia hat einerseits natürlich versucht, die Unternehmen einzubinden in die Strategie des Konzerns, aber andererseits auch darauf geachtet, dass den Mitarbeitern der nötige Spielraum gelassen wird. Schließlich wurde über Jahre eine individuelle Note entwickelt, die in der Stadt ankommt. Bei Stauffacher etwa ist ein sehr eigener Charakter bis in die Gestaltung mit den schwarzen Regalen und grünen Fußböden spürbar. Da ist man als Konzern gut beraten, solchen erfolgreichen Unternehmen keine Einheitsmaske aufzusetzen.

Unvermeidlich ist aber offensichtlich der bei Filialisten übliche Nonbook-Kram, mit Pralinen, Plüschtieren und Duftkerzen. Wie passen solche Zusatzsortimente ins Profil einer Qualitätsbuchhandlung?
Ich war erstaunt, wie viele Buchhandlungen, von denen man es nicht vermutet, solche Produkte haben. Dass in Hamburg Thalia oder Heymann ein Nonbook-Sortiment haben, ist selbstverständlich. Aber auch Felix Jud verkauft Wein, zum Wetzstein hat auf Kundenwunsch Marmeladen von Staud aus Österreich und diese schrecklichen Marmite-Hefeaufstriche aus England ins Programm genommen. Es gibt im guten Buchhandel ein kluges Sortiment an Geschenkartikeln, die mal mehr und mal weniger buchaffin sind. Wichtig ist immer, dass es nicht die üblichen Schreibwarenutensilien oder grauslichen Geschenkartikel sind, die man überall bekommt.

Nun sind Campe und Stauffacher Ausnahmen: Welchen optischen Eindruck machen die Auftritte der Filialisten insgesamt auf Sie?
Ich will jetzt gar keine einzelnen Läden nennen, aber wer mit Buchhandel zu tun hat, weiß, dass dieses flächendeckende Zuschütten mit Modernem Antiquariat und Bestsellern keine Freude bereitet. Diese Strategie ist nicht das, was Buchkultur auszeichnet, da muss man sich nichts vormachen. Trotzdem haben viele der großen Filialen ein erstaunliches Sortiment auch an Büchern abseits des Mainstreams. Wer sich für Lyrik interessiert, findet oft dort mehr Auswahl als in einer literarischen Buchhandlung.

Wie beurteilen Sie den oft erhobenen Vorwurf der Austauschbarkeit?
Natürlich ist da etwas dran, das ist ja auch ein Teil der Produktidee, so wie sich auch alle Ibis-Hotels ähnlich sehen. Es war nicht zuletzt die Idee unseres Buches, aufzuzeigen, dass es auch anders geht: Statt seelenloser Durchschnittspräsentation versprechen viel eher ein gediegenes Sortiment und ein Auftritt mit besonderer Ausstrahlung Erfolg.

Die Ketten wollen beides: Einerseits Wiedererkennbarkeit durch eine einheitliche Gestaltung, andererseits sollen die Geschäfte sich individuell in die lokale Landschaft einfügen. Kann das funktionieren?
Das Buchhaus Thalia-Campe ist dafür ein schönes Beispiel. Es hängt allerdings sehr von den Personen ab, die solche Häuser führen. Es muss jemand Lust und Laune haben, über das einheitliche Konzept einer Großbuchhandlung hinaus mehr zu wollen.

Die Filialisierung hat in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen, viele traditionsreiche Buchhandlungen sind von der Buchhandelskarte verschwunden. Droht der Buchhandelslandschaft in Deutschland eine Monokultur?
Die deutsche Buchhandelslandschaft ist ja noch vergleichsweise gut bestückt, aber natürlich ist diese Entwicklung nicht zu leugnen. Viele inhabergeführte Buchhandlungen werden an die Seite gedrückt, wenn der große Filialist mal eben schnell in eine mittlere Kleinstadt geht, es dort einmal ausprobiert, was dazu führt, dass ein oder zwei alteingesessene Buchhändler die Waffen strecken müssen. Bleibt der Erfolg aus, wird die Filiale eben nach zwei Jahren wieder geschlossen.

Noch hat Deutschland mit etwa 4000 Unternehmen im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA, wo es noch 800 unabhängige Buchhandlungen gibt, eine recht abwechslungsreiche Buchhandelskultur. Welche Unterschiede zum deutschen Buchhandel haben Sie in den von Ihnen bereisten europäischen Ländern bemerkt?
Am auffälligsten ist es in England gewesen. Wenn man sieht, wie dort Marketing-Schlachten geführt werden, erscheint einem die deutsche Buchhandelslandschaft als ein Hort der Seligen. Preisaktionen à la „drei Bestseller zum Preis von zweien“ oder ähnliche Unterbietungswettbewerbe sind dort die Regel, da muss man wie etwa Daunt Books schon sehr innovativ und um den Kunden bemüht sein, um dagegen anzukommen.

Bewahrt die Buchpreisbindung den deutschen Buchhandel vor einer solchen Entwicklung?
Zumindest würde sich die momentane Situation durch einen Fall der Preisbindung noch einmal anspannen, weil die Bestseller anders abgewickelt würden. Und letztlich leben ja auch kleinere und mittlere Buchhandlungen von Bestsellern, es ist ja nicht so, als würde dort nur slowenische Lyrik verkauft. Auch die Konzentration würde sich mit Sicherheit beschleunigen.

Gibt es etwas, was deutsche Buchhändler von ihren Kollegen im europäischen Ausland lernen können, was sie übernehmen sollten?
Jeder Buchhändler sollte sich umschauen, auch in anderen Einzelhandelsbranchen. Christian Stauffacher hat mir erzählt, wie er sich von Londoner Buchhandlungen hat inspirieren lassen für die Gestaltung seines eigenen Geschäfts. Bewährte und interessante Ansätze von anderen zu übernehmen, das kann jeder Buchhändler: Man sollte nicht erwarten, dass man immer selber die besten Ideen hat.

Die Fragen stellte Till Spielmann

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