In den aktuellen Frühjahrs-Programmen finden sich zahlreiche Romandebüts deutschsprachiger Autorinnen und Autoren. buchreport stellt 15 dieser Newcomer in Steckbriefen vor. Heute: Mithu Sanyal.
Mein Roman in drei Sätzen
Saraswati ist Professorin für Postcolonial Studies und (Medien)Star der Debatten um Rassismus und Identität(en) in Deutschland. Doch dann kommt heraus, dass Saraswati in Wirklichkeit weiß ist, und während draußen der Shitsturm tobt, geht ihre Studentin Nivedita zu Saraswati, um von ihr Antworten zu bekommen. Außerdem geht es noch um Sex.
Mein Weg zu Hanser
Vor 20 Jahren veröffentlichte ich eine wirklich schöne Kurzgeschichte in einer Anthologie. Darauf rief mich Karin Graf an und wurde meine Agentin. Doch anstatt meinen versprochenen Roman fertig zu schreiben, schrieb ich Sachbücher über die Vulva und über Vergewaltigung. Damals dachte ich, das läge an mir. Inzwischen weiß ich, dass es an mir lag und an der deutschen Literaturlandschaft. Ein Roman über Identitätspolitik(en), race und mixed race, wäre hier damals einfach nicht verstanden worden. Das ist inzwischen anders, aber zum Glück ist Karin noch immer meine Agentin.
Das Verdienst meines Lektors
Florian Kesslers Verdienst um „Identitti“ ist so groß, dass er sich gar nicht in Worte fassen lässt. Weshalb werde ich es jetzt natürlich trotzdem versuchen werde. Ich schätze alle meine Lektorinnen und Lektoren sehr (bis auf eine, doch das war in Amerika), aber ich hatte vorher noch nie ein ebenso sorgfältiges wie behutsames Lektorat erlebt wie bei Florian. Es hilft, dass er bereits alle Bücher der Welt gelesen hat und anscheinend auch alle, die noch geschrieben werden müssen. Zwischendurch war ich mir nicht sicher, ob Florian real ist oder ich einfach durch eine Tür in der Rückwand eines Kleiderschranks in eine Parallelwelt gelangt war, in der Geschichten an Bäumen wachsen, sodass man sie nur pflücken muss. Und dann merkte ich, dass ich noch vor Florians immensem Wissen seine wahnsinnige Begeisterungsfähigkeit schätze. Und dass er immer nur an den richtigen Stellen begeistert ist.
Mein Eindruck von Literaturbetrieb und Buchbranche
Der Literaturbetrieb ist ein ziemlich guter Spiegel der Gesellschaft, nur dass es mehr Bücher gibt und weniger schwarze Menschen und People of Colour, aber das ändert sich ja gerade.
Meine Lieblingsbuchhandlung
Die Bilker Basis-Buch-Zentrale, kurz BiBaBuze, in Düsseldorf-Bilk
Meine Lieblingsautoren
Es gibt so viele großartige Autorinnen und Autoren, und es werden immer mehr. Hier ein paar meiner Allerliebsten: Meera Syal und Emily Bronte, Jacinta Nandi und Virginia Woolf, Shappi Khorsandi und P.G. Wodehouse, Dorothy L. Sayers und Dee Wells, Gypsy Rose Lee und Phil Rickman …
So lese ich
Wahrscheinlich liegt es an meiner katholischen Erziehung, dass ich jedes Buch in der Hoffnung lese, dass es meine Seele rettet – aber überraschend viele haben das tatsächlich getan, also mache ich damit weiter.
Schreiben ist für mich
Der magische Vorgang Leben durch Worte zu erschaffen. Leider ist das nicht von mir, sondern von Flannery O’Connor, die noch viele andere brillante Dinge über das Schreiben festgehalten hat. Aber, wie Saraswati aus meinem Roman sagen würde: Stehle immer nur von den Besten.
Wenn ich nicht gerade schreibe
rieche ich an Dingen und Menschen. Mein momentaner Lieblingsgeruch: Zitroneneukalyptus.
Warum haben Sie dieses Debüt ins Programm genommen?
Im Fall von „Identitti“ bin egoistisch und spreche nicht für den Verlag oder irgendwelche Programmabsichten: Ich bin schlicht und ergreifend glücklich, dass es dieses Buch einer deutschsprachigen Autorin gibt. Ein so kluger, lustiger, ambitionierter, schneller, frischer, wilder, von Liebe erfüllter, hochpolitischer Roman – mit ihm beginnt meine Liste der mich prägenden und verändernden Romane der 20er-Jahre.
Florian Kessler, Lektor
Debütantinnen und Debütanten – im buchreport.magazin 01/2021
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