Die Herausforderungen für unabhängige Verlage steigen, wie gelingt das Gegensteuern?
Leif Greinus ist gerade mit dem K.-H. Zillmer-Verlegerpreis der Hamburgischen Kulturstiftung ausgezeichnet worden. Die finanzielle Spritze in Höhe von 20.000 Euro ist bei seinem Verlag Voland & Quist einerseits hochwillkommen, an den grundsätzlichen Problemen ändere sie jedoch wenig: Seit März spürt der unabhängige Verlag die Kaufzurückhaltung der Leser deutlich und leidet unter auf allen Ebenen steigenden Produktionskosten. Hinzu kommt als Dauer-Herausforderung die (unzureichende) Sichtbarkeit in Medien und Handel.
Dabei findet Greinus durchaus Aufmerksamkeit. Er ist in diesem Jahr vor allem durch die von ihm und Kanon-Verleger Gunnar Cynybulk initiierte Buchmesse Pop-up in Leipzig aufgefallen, die die Indie-Verleger innerhalb weniger Wochen als Ersatz für die ausgefallene Leipziger Buchmesse auf die Beine stellten. „Die Aufmerksamkeit in der Presse war für uns besser als zu den normalen Messen“, resümiert Greinus. Die Terminverschiebung der Leipziger Buchmesse 2023 auf Ende April sieht er allerdings kritisch: „Die Frühjahrstitel werden es schwer haben.“ Mit der ehemaligen Aufbau-Key-Accountlerin Jutta Schiecke will der Verlag jetzt die größeren Buchketten erneut gezielt adressieren.
Strukturelle Förderung im Strukturwandel
Greinus’ Beobachtungen decken sich mit denen von Karin Timme, Sprecherin der IG Unabhängige Verlage im Börsenverein und Verlegerin des Wissenschaftsverlags Frank & Timme: „Die mangelnde Sichtbarkeit im Buchhandel und in den Medien bleibt eines der großen Probleme unabhängiger Verlage.“ Zwar werde die Vielfalt kleiner Verlage immer wieder positiv hervorgehoben, über schöne Worte gehe es jedoch selten hinaus. Durch Corona habe es in den Verlagen sehr unterschiedliche Entwicklungen gegeben, alle aber spürten derzeit die große Kaufzurückhaltung: „Selbst die oft potentere Schicht der Buchkäufer hält ihr Geld zusammen. Wir müssen einen größeren Aufwand für dieselben Ergebnisse betreiben.“
Auch die Kurt Wolff Stiftung, die sich der Förderung unabhängiger Verlage verschrieben hat, verweist auf die zunehmend prekärere Lage: „Wir beobachten mehr Kooperationen bis hin zu Fusionierungen unabhängiger Verlage. Und immer öfter sagen Kolleginnen und Kollegen offen, dass die Fortführung ihrer verlegerischen Arbeit ohne Unterstützungen wie sie das Programm ‚Neustart Kultur‘ oder der Deutsche Verlagspreis bieten, in Frage stünde.“ Im Buchhandel habe sich die Sichtbarkeit der Programme der unabhängigen Verlage in den letzten Jahren etwas verbessert, sie seien aber nach wie vor „erschreckend unterrepräsentiert“. Aufgrund des Strukturwandels in der Branche spricht sich die Stiftung daher für eine strukturelle Verlagsförderung aus: „Als wichtige Ermutigung empfinden wir die Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung, in der es heißt, gemeinsam mit den Ländern eine Förderung unabhängiger Verlage zum Erhalt kultureller Vielfalt auf dem Buchmarkt prüfen zu wollen.“
Das begrüßt auch die IG Unabhängige Verlage. Einzelne, durchaus gut dotierte Preise hälfen zwar den ausgewählten Verlagen, sagt Sprecherin Timme, „die Masse der Unabhängigen fällt dabei aber hinten über.“ Entscheidend: „Mit einem Preis kann man nicht kalkulieren.“ Die Förderstrukturen von Film und Theater könnten als Vorbild dienen und eingeführte Programme wie die Titelförderung durch „Neustart Kultur“ fortgeführt werden. Auch die Übertragbarkeit des „Schweizer Modells“ wird diskutiert. Im Rahmen der Schweizer Verlagsförderung können sich Verlage, die bereits 4 Jahre am Markt sind und Werke herausbringen, die eine „kulturelle Wertschöpfung“ beinhalten, um eine jeweils vierjährige Förderung bewerben. In der aktuellen Förderperiode (2021 bis 2024) werden über 90 Verlage unterstützt.
Die Schweizer Verlagsförderung wird vom deutschen Börsenverein explizit als Vorlage für einen politischen Neuansatz genannt. In der Umfrage gibt die Mehrheit der Befragten an, dass sie dank der Förderung neue Projekte entwickeln konnte, auch die dadurch gewonnene Planungssicherheit wird gelobt. Dörlemann-Verlegerin Sabine Dörlemann unterstreicht zudem, dass keine Gegenleistungen an die Unterstützung geknüpft seien und damit absolute Programmfreiheit bestünde. Die erhaltene Unterstützung fließt zum Großteil in Lesungen und Veranstaltungen sowie in die Herstellung. Kritisiert wird jedoch auch in der Schweiz, dass die erhaltenen Beiträge unzureichend seien. Auch der Aufwand wird moniert: Die Verlage müssen für die Förderung einen Bericht verfassen, kostenlose Exemplare abliefern, die Förderung im Impressum erwähnen und beim Antrag eine Darstellung des Verlagsprogrammes sowie die Bilanz mit Erfolgsrechnung abgeben.
Eigenen Antrieb nutzen
Aber reicht das ewige Klagelied und der Ruf nach externer Förderung? Wo bleibt der unternehmerische Anspruch der Indies und was können sie selbst tun? Timme nimmt auch die Verlage in die Pflicht:
- Selbst wenn die Buchpreise der Indies gegenüber denen der Konzernverlage notgedrungen oft ohnehin höher seien, müssten sie weiter steigen. Timme: „Wir müssen mutiger sein.“
- Schlanke Strukturen hätten die Indies sowieso, interne Prozesse gelte es aber weiter anzupassen.
- Unabhängige müssen besser mit Geschäftspartnern verhandeln, sagt Timme: „Wir sind wendige Schiffe, die den Kurs rasch anpassen können.“
- Die in den letzten Jahre erfolgte Professionalisierung müsse deutlich nach außen kommuniziert werden.
- Print-on-Demand werde zunehmend im Buchhandel akzeptiert, für manche sei das eine gute Variante, um über den Katalog im Buchhandel sichtbar zu sein.
Unabhängiges Verlegen neu denken
Einen ganz eigenen Ansatz hat das 5-köpfige Team des Verlags Das Kulturelle Gedächtnis: Im Jahr werden maximal 8 Bücher produziert, die Einnahmen werden unmittelbar in die Produktion reinvestiert, die Gesellschafter erhalten keine Löhne, bei eigenen Konzeptionen lediglich ein Autorenhonorar ab Deckungsauflage. Möglich ist das nur, da das Projekt für keinen der Beteiligten den Hauptjob darstellt. Ohne diese Kostenbelastung laufe der Verlag „wirtschaftlich gut“, sagt Verleger Peter Graf.
Titel wie „Da war ich eigentlich noch nie. Die Wunderkammer des Reisens in Deutschland“ befinden sich in der 5. bzw. 6. Auflage und haben sich 16.000 Mal verkauft. Per Aufgabenteilung und monatlichen Treffen entsteht ein Programm mit hochwertiger Ausstattung, das aus Sicht der Macher bislang auf dem Buchmarkt fehlt. Graf: „Die Möglichkeiten am Markt sind risikobehafteter geworden als vor 20 Jahren. Deshalb sollten Indie-Verlage über ihr Konzept nachdenken und darüber, ob das Gewinnstreben immer der richtige Weg ist. Es lassen sich auch andere Mischformen finden, wie Autoren das häufig auch tun.“
Graf selbst konzipiert und produziert unter anderem Bücher für andere Verlage wie Klett-Cotta. „Das ist auch eine Form des Verlegens, es muss nicht alles zwingend im eigenen Verlag erscheinen.“ Außerdem empfiehlt er, auf die funktionierenden Vertriebsstrukturen größerer Verlage aufzusetzen. Seinen eigenen unabhängigen Buchladen in Berlin sieht er vor allem als Lieblingsort (s. Kasten unten).
Schaufenster der unabhängigen Leidenschaft
Im Oktober 2021 eröffnete der Verleger Peter Graf in den Verlagsräumen des unabhängigen Verlages Das Kulturelle Gedächtnis in Berlin eine Buchhandlung, die ca. 850 Titel aus über 75 unabhängigen deutschen Verlagen anbietet. „Ich wollte zum Teil dieser Straße werden“, sagt er. Der Name der Buchhandlung „Viel Gluck mit die Bücher“ erinnert an den Abschiedsgruß eines amerikanischen Studenten, mit dem er früher in einer WG wohnte. 3 Tage die Woche (donnerstags bis samstags) öffnet Graf seine 50 qm fürs Publikum. Was für ihn vor allem inspirierendes Arbeiten bedeutet, würde er anderen unabhängigen Verlagen aber nicht grundsätzlich als Konzept empfehlen.
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